Die Chronik des St.-Antonius-Hospitals (SAH) an der Dechant-Deckers-Straße in Eschweiler liest sich wie ein Krimi. Aber es handelt sich hier um verheerende Tatsachen.
14. Juli 2021, 13 Uhr – Der Wasserpegel der Inde steigt, im SAH trifft sich der Krisenstab, alle 30 Minuten werden sensible Stellen begangen; 15.30 Uhr – Spundwände werden durch hauseigenes Personal montiert, das garantiert einen Hochwasserschutz bis zu einer Höhe von 340 cm; 16.30 Uhr – das Wasser erreicht die Dechant-Deckers-Straße; 19 Uhr – der Wasserspiegel steigt 10 cm pro Stunde; 23.53 Uhr – normale Pkw können die umgebenden Straßen nicht mehr befahren.
15. Juli 2021, nach 0 Uhr – Patienten aus den Überwachungsbereichen werden auf die Intensivstation verlegt; Mitarbeiter erhalten Taschenlampen, um die Patienten auf einen Stromausfall vorzubereiten und zu beruhigen; die Feuerwehr installiert drei Notstromaggregate auf dem Hubschrauber-Landeplatz; 3.30 Uhr – der regionale Stromversorger kappt die Leitungen zum SAH; 3.35 Uhr – eine Flutwelle verwü̈stet das komplette erste und zweite Untergeschoss, Geschäftsführer Elmar Wagenbach entscheidet, das Haus aufzugeben; 4 Uhr – Intensivstation-Patienten gelangen auf Tragen vom siebten Stockwerk zur Dachplattform, von wo aus sie mit drei Helikoptern ausgeflogen werden …
Und wie sieht es heute aus? SAH-Geschäftsführer Elmar Wagenbach hat gute Nachrichten: Die Demontagen sind weitestgehend abgeschlossen, die Heizung im Keller ist neu errichtet worden, Stromversorgung inklusive Notstromanlage sind ebenfalls komplett neu in Betrieb genommen, die komplette medizinische Diagnostik läuft wieder, die Strahlentherapie soll bald wieder eröffnen.
Weitere gute Nachrichten gibt es auf der finanziellen Seite. Über die Bezirksregierung erhielt das SAH jetzt einen Fördermittelbescheid für die Kosten der Gebäudeschäden über rund 100 Millionen Euro. „Auch die Kompensation der Kosten für den Betriebsausfall im vergangenen Jahr über 10 Millionen Euro sind gesichert,“ fügt Wagenbach hinzu.
Was die betroffenen Menschen angeht, ist wohl noch lange nicht alles wieder im Lot. Pastoralreferent Christian Hohmann, Seelsorger im SAH, hatte Dienst, als sich seinerzeit die Katastrophe anbahnte. Er berichtet von Dialysepatienten, die damals im SAH festsaßen. Nicht zu wissen, was gerade mit ihrer Familie passierte, habe die Leute fast um den Verstand gebracht.
Bei den Aufräumarbeiten zeigte sich dann das ganze Ausmaß der Tragödie – sowohl was die Sachschäden anging, aber mehr noch, was die Menschen betraf. Viele Beschäftigte des SAH trugen an einer Doppelbelastung: Einerseits drohte ihnen der Jobverlust – anfangs war ja fraglich, ob das SAH jemals wieder öffnen könne. Und gleichzeitig standen daheim Haus oder Wohnung unter Wasser und damit ganze Existenzen auf dem Spiel. Wie gut, dass Christian Hohmann als Seelsorger da stets ansprechbar war. Denn selbstredend beteiligte er sich bei den Aufräumarbeiten, betrieb auf diese Weise sozusagen
aktive Seelsorge. Dankbar wurde zum Beispiel sein Hinweis auf die Caritas-Beratungsbüros angenommen – ein „erster Anker“ der Hoffnung. Die große Solidarität, die alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SAH an den Tag legten, beeindruckt Christian Hohmann noch heute.
Einige „seiner“ evakuierten Patienten besuchte der Seelsorger auf deren Bitten hin später in den umliegenden Kliniken. Die seelsorgliche Begleitung hört für ihn nicht auf, nur weil jemand das Krankenhaus wechselt. Allerdings ist es für ihn nach wie vor ein kleines Wunder, dass bei der abenteuerlichen Räumung des Krankenhauses niemand zu Tode kam – mussten die Intensiv-Patienten doch über Tragen aufs Dach geschafft werden. Nicht minder erstaunlich ist, dass in Europa die passenden Transformatoren fürs SAH gefunden wurden, die üblicherweise nur auf Anfrage individuell angefertigt werden.
Als die Stationen im SAH Anfang Oktober 2021 wieder geöffnet werden konnten, wurde als Zeichen der Dankbarkeit für die Errettung aus großer Not eine Lebensbaumkerze entzündet und gesegnet. Sie brennt zurzeit in der Notkapelle und soll später einen bleibenden Platz in der Kapelle erhalten, die sich aktuell im Umbau befindet. Durch die Flut wurden die bodentiefen Fenster wunderbarerweise nicht zerstört. Glasmaler Ludwig Schaffrath (1924–2011) hatte sie 1976 eigens für die Krankenhauskapelle entworfen.
Das Angebot einer Notkapelle wird
von den Patienten sehr gut angenommen. Selbstverständlich ist der Besuch der Interims-Kapelle nicht an eine Konfession oder Religion gebunden. „Es ist wichtig, dass die Menschen hier im Krankenhaus einen Raum haben, wo sie zur Ruhe kommen können,“ stellt Christian Hohmann fest. So klein der Raum auch ist, so einladend wirkt er. Wer mag, kann die Türe schließen, um vollkommen ungestört zu sein. Neben der oben erwähnten Lebensbaumkerze zieht auch ein Kreuz die Blicke auf sich. Kreuz und Kerzenleuchter sind Erinnerungsstücke an die 2015 entwidmete und später niedergelegte Kirche St. Michael. Beinahe wären die beiden Kunstgegenstände in dem großen Durcheinander nach der Flut beim Metallschrott gelandet, erzählt Christian Hohmann. Sozusagen in letzter Minute habe ein Helfer die beiden Stücke erkannt und sie gerettet.
Eine hölzerne Gebetsbank ermöglicht das Niederknien in stiller Andacht. Alternativ laden auch Stühle zum Platznehmen vor einer Muttergottesstatue ein. Es handelt sich um die Skulptur aus der Krankenhauskapelle, vor der immer viele Lichter entzündet wurden. Diese Anlaufstelle sollte den Patienten in Not und deren Angehörigen erhalten bleiben.
Seit der Wiedereröffnung des SAH werden immer wieder Patienten eingeliefert, die die Flutereignisse krank gemacht haben. Für sie sind Christian Hohmann und sein Kollege im Seelsorgeteam Thomas Kolligs willkommene Ansprechpartner. Allerdings befand sich Kolligs letztes Jahr zur Zeit der großen Flut in Urlaub, so dass er die ersten Schreckenstage nicht miterlebte.
Und wie geht es weiter mit dem SAH? „Im Hauptgebäude gehen wir von einer Sanierungszeit von weiteren 24 Monaten aus,“ erklärt Elmar Wagenbach. Dann werden weitere Neubaumaßnahmen folgen. Es wird sich also noch manches tun.