Ärger um den Tagestreff

Eine Bürgerinitiative wehrt sich gegen die Umnutzung einer Kirche für Obdachlose. Was ist da los?

Die Grünanlage des Adenauerplatzes wird derzeit neu gestaltet. Im hinteren Teil des Bildes ist die Albertuskirche erkennbar. (c) Garnet Manecke
Die Grünanlage des Adenauerplatzes wird derzeit neu gestaltet. Im hinteren Teil des Bildes ist die Albertuskirche erkennbar.
Datum:
3. Juli 2025
Von:
Aus der Kirchenzeitung, Ausgabe 21/2025 | Garnet Manecke

Erich Heckmann sitzt auf seiner Bank und genießt die Sonne. Auf der anderen Straßenseite grünt und blüht es auf dem Adenauerplatz. Noch ist er umzäunt, es wird noch gearbeitet. Im September soll eröffnet werden, die Bänke und Sonnenliegen sind schon aufgestellt, aber noch in Folien verpackt. „Was ist das denn für eine Planung?“, fragt der 102-Jährige. „Wenn der Platz eröffnet wird, ist der Sommer vorbei.“ Die Neugestaltung der Grünanlage ist nicht der einzige Punkt, der die Gemüter in diesem Viertel gerade bewegt.

Erich Heckmann sieht die Einrichtung eines Tagestreffs gelassen. (c) Garnet Manecke
Erich Heckmann sieht die Einrichtung eines Tagestreffs gelassen.

Gegenüber der Anlage steht die Albertuskirche, die nach ihrer Endwidmung und der Übernahme durch den Caritasverband jetzt Caritaskirche heißt. Die Caritas will die Kirche umbauen und darin neben Räumen für Veranstaltungen und die Verwaltung auch welche für den Tagestreff des Bruno-Lelieveld-Hauses schaffen. Hier sollen Obdachlose und bedürftige Menschen eine Zuflucht finden, sich waschen und duschen können und ihre Wäsche säubern können. Dazu soll eine medizinische Ambulanz eingerichtet werden. Einige Anwohner des Adenauerplatzes sehen das kritisch. Sie haben die „Bürgerinitiative Adenauerplatz“ gegründet, deren Ziel es ist, den Tagestreff zu verhindern.

Seit Mai 2025 gibt es auf den Social Media Kanälen Instagram und Facebook Accounts, auf denen die Bürgerinitiative Adenauerplatz ihren Unmut über die Pläne der Caritas äußert. „Wir fordern: Kein Tagestreff am Adenauerplatz“ heißt es da in einem Post vom 30. Mai. Ihre Befürchtungen formuliert die Bürgerinitiative in diesem Post ebenfalls: „neuer Drogenhotspot“ und „Konflikte mit Kindergärten, Stadtbibliothek und Anwohnern“. Deshalb soll der Tagestreff nicht zum Adenauerplatz ziehen.

 

Holger Knübben leitet den Tagestreff seit zwölf Jahren. Jeder ist hier willkommen. (c) Garnet Manecke
Holger Knübben leitet den Tagestreff seit zwölf Jahren. Jeder ist hier willkommen.

Das Bruno-Lelieveld-Haus ist auch sonntags und feiertags geöffnet. Nur samstags ist geschlossen. „An den Sonntagen gibt es sonst nichts in der Stadt“, sagt Holger Knübben. Er leitet den Tagestreff seit zwölf Jahren. Jeden Tag gibt es Frühstück, zum Brot mit Marmelade gibt es sonntags auch Käse und Wurst. Der erste Weg der Gäste führt zu der Flasche mit dem Desinfektionsmittel.  Erst, nachdem die Hände desinfiziert sind, gehen sie weiter an das Buffet, um sich ihre Brote zu schmieren. „Das ist noch ein Überbleibsel von Corona“, sagt Knübben.

An den Tischen bilden sich Gruppen, die Gespräche kreisen um Sport und Psychosen, um den Sommer oder Schwierigkeiten mit den Ämtern. Einige Gäste lesen Zeitschriften oder lösen Sudoku, andere holen Spiele hervor oder nutzen die Möglichkeit, von hier aus zu telefonieren. Einige Gäste kommen nur, um hier zu duschen. Der Schlüssel zum Duschraum ist gefragt. Ansonsten wird gelacht und diskutiert, fast wie in einem normalen Café.

 

„Es sind alles Menschen hier“, sagt Knübben. „Jeder, der hier ist, ist es wert, dass man ihm zuhört. Jeder Mensch hat einen Wert.“ In den Jahren, die er den Tagestreff leitet, hat sich vieles verändert. „Die Hälfte der Leute hier hat eine Wohnung, die aber zum Teil Zumutungen sind“, sagt Knübben.

Miro ist vom Gast zum Ehrenamtlichen im Tagestreff geworden. (c) Garnet Manecke
Miro ist vom Gast zum Ehrenamtlichen im Tagestreff geworden.

Einer, der so eine Wohnung hat, ist Miro. Seit 2000 kommt er in den Tagestreff, zuerst als Gast, heute gehört er als Ehrenamtlicher zum Team. Seit Monaten habe er kein Gas und keinen Strom mehr, im Gemäuer sei Ungeziefer. Eine neue Wohnung zu finden, ist nicht so leicht. „Vor zwölf Jahren haben die Leute noch Wohnungen gefunden“, sagt Knübben. „Jetzt findet man nichts mehr.“ Die Zahl der Obdachlosen oder Tagesobdachlosen nimmt zu.
Auch Mohamed Mardi kam als Obdachloser in den Tagestreff. Er habe unter einer Brücke geschlafen, erzählt der 61-Jährige. Andere haben ihm vom Tagestreff erzählt. Hier hat er Hilfe gefunden: im Umgang mit Behörden und beim Ausfüllen von Anträgen. Schließlich hat er einen Platz im Anna-Schiller-Haus bekommen. Zwei Jahre habe er dort gewohnt, sagt er, dann ist er in eine eigene Wohnung umgezogen. Jetzt kommt er immer noch jeden Tag in den Tagestreff, weil er hier soziale Kontakte hat.

Die Tagestreff-Räume an der Erzberger Straße sind zu klein und sanierungsbedürftig. (c) Garnet Manecke
Die Tagestreff-Räume an der Erzberger Straße sind zu klein und sanierungsbedürftig.

Träger des Anna-Schiller-Hauses, ein Projekt der Wohnungslosenhilfe, ist der Verein Wohlfahrt, der auch Träger des Tagestreffs im Bruno-Lelieveld-Haus ist. Der Caritasverband hat 2022 die Geschäftsbesorgung des Vereins übernommen. Die Entscheidung, den Tagestreff in die Albertuskirche zu verlegen, ist auch eine wirtschaftliche Entscheidung. „Der Verein Wohlfahrt bekommt eine Summe von der Stadt für den Tagestreff, aber er muss eine hohe fünfstellige Summe selbst zuschießen“, sagt Frank Polixa, Geschäftsführer des Caritasverbands Mönchengladbach. Dieser Betrag wird durch Spenden abgedeckt, weil die 190.000 Euro der Stadt nicht reichen.

Ein weiterer Punkt sind die Synergieeffekte, die sich in den Kirchenräumen an der Albertusstraße ergeben würden. Denn neben der Kirche ist die Geschäftsstelle, in der Fachpersonal arbeitet, das auch im Tagestreff einsetzbar wäre. „Dort kommen jeden Tag Menschen, die verarmt sind, die geflüchtet sind oder in schwierigen Lebenssituationen. Sie werden hier beraten“, sagt Polixa. „Auch Wohnungslose gehören zur Stadtgesellschaft. Bisher habe das auch niemanden gestört. Erst nach der Veröffentlichung der Pläne im November 2024 habe sich Widerstand formiert.

Seit vier Jahren gibt es einen Mittagstisch in der Caritaskirche. Zwei Mal in der Woche bekommen hier bedürftige Menschen und Obdachlose ein kostenloses Essen. Zielgruppe sind auch die Tagestreff-Besucher. Die Anwohner hätten davon gar nichts gemerkt, sagt Polixa. Im Dezember habe die Caritas den Bauantrag gestellt. Dem sei ein dreijähriger Prozess an Planungen vorausgegangen. „Unser Bauvorhaben ist von den städtischen Verantwortlichen gut mit durchdacht worden“, sagt Polixa. „Wir haben unser Vorhaben mit dem Bauamt und dem Sozialamt abgestimmt. Alle haben dem zugestimmt und das positiv gesehen.“

Die Bürgerinitiative Adenauerplatz ist von einer positiven Sichtweise weit entfernt. Es gibt viele Punkte, die sie kritisiert: die Präsenz der Drogenszene an der Erzbergerstraße zum Beispiel, die direkt gegenüber vom Tagestreff auf den Stufen zu einer ehemaligen Obdachlosen-Schlafstelle sichtbar ist und auf ihren Social Media Accounts auch bildlich dokumentiert wird. Oder die unmittelbare Nähe zu zwei Kindertagesstätten und der Stadtbibliothek, die viele Jugendliche nutzen.

Das Café Pflaster an der Kapuzinerstraße verbesserte das Umfeld. (c) Garnet Manecke
Das Café Pflaster an der Kapuzinerstraße verbesserte das Umfeld.

Diese Argumente kennt Brigitte Bloschak, Fachbereichsleiterin Wohnungslosenhilfe der Diakonie, aus eigener Erfahrung. Als die Diakonie im Oktober 2008 den Tagestreff Café Pflaster an der Brucknerallee in Mönchengladbach eröffnete, gab es ebenfalls heftigen Widerstand der Anwohner. Auch dort wurde eine Bürgerinitiative gegründet. Der Ton in Diskussionsveranstaltungen sei „teilweise verbal hochaggressiv“ gewesen, ist in einer Präsentation der Diakonie zum Thema „Wohnungslosenhilfe im städtischen Quartier – Beispiele aus Mönchengladbach“ zu lesen. Eröffnet wurde der Treff mit Polizeipräsenz. „Als wir geöffnet hatten, hat sich das gelegt“, sagt Bloschak. „Im Nachgang haben sich bei uns einige auch entschuldigt.“

Mohamed Mardi war obdachlos. Der Tagestreff hat ihm geholfen, eine Unterkunft zu finden. (c) Garnet Manecke
Mohamed Mardi war obdachlos. Der Tagestreff hat ihm geholfen, eine Unterkunft zu finden.

Auch an der Brucknerallee war die Angst groß, dass sich dort eine Drogenszene entwickeln könnte. Wie am Adenauerplatz durch die Stadtbibliothek ist die Brucknerallee durch eine weiterführende Schule von Jugendlichen frequentiert. Die Bürgerinitiative Adenauerplatz hat Sorge, dass mit dem Tagestreff auch die Drogenkonsumenten und Dealer von der Erzbergerstraße herüberkommen.

„Die sind doch schon hier“, sagt Agathe, ihr Begleiter Jürgen nickt zustimmend. Er besucht regelmäßig den Mittagstisch der Caritas, Agathe ist das erste Mal da. Die beiden sind selber Konsumenten. Sie seien im Substitutionsprogramm, sagen sie. „Auch im Gründerzeitviertel gibt es Substitutionsausgabestellen“, sagt Agathe. „Drogensüchtige werden auch zum Tagestreff kommen, aber nicht die Szene“, sagt Jürgen. Die halte sich lieber in Bahnhofsnähe auf.

Michaela kommt drei mal in der Woche, um Leute zu treffen. (c) Garnet Manecke
Michaela kommt drei mal in der Woche, um Leute zu treffen.

Das sieht auch Brigitte Bloschak so. Deshalb plädiert die Leiterin der Wohnungslosenhilfe der Diakonie für einen Anlaufpunkt im Bahnhofsumfeld. Im November 2024 hat die Diakonie in der Jenaer Straße ein Haus aufgegeben – weil es sanierungsbedürftig ist und die Brandschutzauflagen nicht erfüllt. Die Bürgerinitiative fordert, dort einen Tagestreff einzurichten.

Erich Heckmann versteht die Aufregung nicht. „Manchmal sieht man jemanden in die Kirche hineingehen“, sagt er. „Wenn sie Christenmenschen sind, müssten sie den Obdachlosen das doch gönnen.“ Die Bürgerinitiative Adenauerplatz wollte sich nicht äußern. Ein persönliches Interview mit der Kirchenzeitung lehnte sie ab. Die schriftlich gestellten Fragen wurden nicht beantwortet.