„Aachens reichste Frau“ besitzt ein stattliches Ankleidezimmer

Zum Gnadenbild im Aachener Dom gehören Dutzende Kleider und hunderte Schmuckstücke – im Laufe des Kirchenjahres wird die Marienfigur mehrfach umgezogen

Nur alle sieben Jahre während der Heiligtumsfahrt wird dieses historische Festgewand angelegt. Es ist mit mehr als 70.000 Flussperlen(splittern) geschmückt. (c) Helmut Rüland
Nur alle sieben Jahre während der Heiligtumsfahrt wird dieses historische Festgewand angelegt. Es ist mit mehr als 70.000 Flussperlen(splittern) geschmückt.
Datum:
22. Mai 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 21/2024

Viele Frauen träumen von einem eigenen Ankleidezimmer. Oder zumindest einem begehbaren Kleiderschrank, der Platz bietet für die komplette Garderobe plus Schmuck und Accessoires. Aachens „reichste Frau“ verfügt über diesen räumlichen Luxus. 

Auch im unterirdischen Depot der Domschatzkammer gehören mehrere Schubladen zum Fundus des Gnadenbilds. Textilrestauratorin Monica Paredis-Vroon sieht den Bestand regelmäßig durch. (c) Alexander Müller
Auch im unterirdischen Depot der Domschatzkammer gehören mehrere Schubladen zum Fundus des Gnadenbilds. Textilrestauratorin Monica Paredis-Vroon sieht den Bestand regelmäßig durch.

In der neuen Sakristei des Aachener Doms gehört ein beträchtlicher Teil des Stauraums ihr. In extra angefertigten, metertiefen Schubladen, in Regalen und Schatullen sowie in Tresorfächern der Domschatzkammer sind ihre Preziosen verstaut.

Aktuell 46 Kleider aus feinsten Stoffen, gut 350 Schmuckstücke und Insignien (Krone, Zepter und Reichsapfel) sowie diverse Schleier gehören zur Garderobe der „Kaiserin von Aachen“, dem gotischen Gnadenbild der Muttergottes im Dom. Die wertvolle Statue Marias mit Kind hat seit dem 14. Jahrhundert eine große Fangemeinde. Immer wieder spendeten Gläubige ihr Schmuckstücke, Rosenkränze oder andere Kostbarkeiten. Reiche Stifterinnen ließen für sie die schönsten Kleider anfertigen. Im Volksmund wird Maria aufgrund der vielen Geschenke gerne als „reichste Frau Aachens“ bezeichnet.

Fakt oder Vorurteil? „Tatsächlich wissen wir nicht, was das alles zusammengenommen für einen Wert hat“, sagt Birgitta Falk, Leiterin der Domschatzkammer. „Es ist auch viel Modeschmuck darunter. Jedes einzelne Stück ist jedoch katalogisiert, viele Teile werden verwendet.“

Seit Jahrhunderten ist es Tradition, das Gnadenbild im Laufe des Kirchenjahres in den jeweils anlassbezogenen liturgischen Farben anzukleiden und zu schmücken – stets im Partnerlook mit dem Jesuskind. Bis zu 16 Mal im Jahr werden die Kleider gewechselt. Vor den Hochfesten und besonderen Festtagen obliegt es Textilrestauratorin Monica Paredis-Vroon, die prächtigen Gewänder im Magazin durchzusehen und ein „Outfit“ zusammenzustellen. Zu einem wahren Modemarathon kommt es in der Osterzeit.

„Palmsonntag wird von Violett auf schlichtes Dunkelrot geschaltet und zur Osternacht auf prächtig Weiß“, erklärt sie. Da die Umkleidungen abends nach Schließung des Doms stattfinden, also nach Feierabend, teilt sich ein kleines Team die Dienste auf.

Im Laufe der Jahrhunderte haben Gläubige nicht nur ihre Sorgen vor die Statue mit Kind getragen, sondern sie auch reich mit Schmuck beschenkt. (c) Domkapitel Aachen/Daniela Lövenich
Im Laufe der Jahrhunderte haben Gläubige nicht nur ihre Sorgen vor die Statue mit Kind getragen, sondern sie auch reich mit Schmuck beschenkt.

Einige Kleider hält Monica Paredis-Vroon inzwischen unter Verschluss, da sie bereits sehr alt sind und beschädigt werden könnten. Das älteste Kleid stammt aus dem Jahr 1627 (oder 1629) und ist eine Schenkung der Infantin Isabella Clara Eugenia, Statthalterin der spanischen Niederlande (1566–1633). Beinahe ehrfürchtig streift Monica Paredis-Vroons Blick über den ursprünglich silbernen Stoff, der stark nachgedunkelt ist. „In diesem Kleid mit seinen floralen Motiven sind mehr als 70000 echte Flussperlen eingearbeitet. Manche sind so klein wie ein Splitter, andere wie ein Stecknadelkopf oder größer. Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass die Lilien beispielsweise komplett aus Mikroperlen bestehen.“ Dieses historische Gewand wird nur alle sieben Jahre während der Heiligtumsfahrt verwendet.

Manchmal hat die Restauratorin ein Dilemma, vor dem auch Frauen im wirklichen Leben stehen: Der Schrank ist voll, aber man findet nichts Passendes zum Anziehen. Schlichte Kleider sind rar. Die meisten sind sehr prunkvoll und aufwendig verarbeitet. Nach der Wahl der Kleider müssen das Kronenset, der Schleier, die Rosenkränze und der Schmuck passend kombiniert werden. Goldkreuze und Perlenketten in verschiedenen Größen und Farbtönen, Rosenkränze, Uhren, Broschen oder sogar Hermelinchen – die Auslage eines Juweliers könnte da locker mithalten. Was nicht fehlen darf: Die Froschbrosche am Jesuskind, ein Geschenk der katholischen Kirche Kolumbiens an das Partnerbistum Aachen. Der Frosch ist in der präkolumbischen Mythologie ein Symbol der Liebe und Fruchtbarkeit und soll dem Schutz der Kinder dienen.

„Ja, es macht  Spaß, die Muttergottes einzukleiden. Das gehört zu den Highlights meiner Arbeit“, schmunzelt Monica Paredis-Vroon. In ihren Händen liegt der umfangreiche Textilbestand der Domschatzkammer mit rund 2500 Objekten. Neben dem Schatz des Gnadenbildes betreut sie unter anderem die Paramentensammlung und die frühmittelalterlichen Stofffragmente.

Doch warum ist die Marienverehrung im Aachener Dom so ausgeprägt? „Das liegt daran, dass der Dom seit jeher eine Marienkirche ist. Karl der Große hat der Muttergottes seine Kirche gewidmet, sie ist die Patronin“, erläutert Dompropst Rolf-Peter Cremer, der das Gnadenbild zu seinem Lieblingsobjekt erklärt hat. Bereits die Inschrift über dem Eingangsportal deute auf die Muttergottes hin: SANCTISSIMUM TEMPLUM MARIAE VIRGINIS DEVOTE MEMENTO INGREDI (Gedenke andächtig einzutreten in den heiligsten Tempel der Jungfrau Maria).

Wenn Dompropst Cremer bei seinen Führungen die Geschichte erzählt, dass die verehrte Figur 1676 verbrannt ist, erntet er oft ungläubige Blicke. „Man sieht keine Schäden, da die Köpfe von Maria und dem Kind sowie eine Hand gerettet werden konnten. Die Aachener ließen eine neue Figur anfertigen, die der alten sehr ähnlich war. Die Asche der verbrannten Teile wurde in einem Hohlraum in den Rücken der neuen Figur eingefügt.“ 
Kerzen vor dem Gnadenbild zünden die Menschen heute immer noch gerne an. Hunderte pro Tag, um genau zu sein, allerdings seit der Katastrophe vor 348 Jahren mit ausreichendem Sicherheitsabstand. 

Die Kleider des Gnadenbildes durch das Kirchenjahr

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