2075 Follower im Netz

Ein Jahr Diakon: Christian Harttig über Verantwortung, Erfahrung und Inspiration und seinen Twitteraccount

Die Täuflinge werden von Christian Harttig auch über das Sakrament hinaus betreut. (c) privat
Die Täuflinge werden von Christian Harttig auch über das Sakrament hinaus betreut.
Datum:
11. Nov. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 46/2020 | Dorothée Schenk

Schon der erste Blick zeigt: Das Gegenüber ist ein Mann mit vielen Facetten. Sportlich gekleidet in Jeans und Streifenhemd, darunter ein schwarzes Oberteil mit Kollar und halbschaftigen schwarzen Stiefeln. Drei Silberringe schmücken die Finger. Einen davon ziert ein auffälliges Kreuz. Einer steckt am Daumen. Um den Hals hängt an einem schlichten Band ein „D“ mit Querbalken. Christian Harttig wurde am 23. November 2019 zum ständigen Diakon geweiht.

Reichlich Visitenkarten hat der Diakon schon auf Festen verteilt. (c) Dorothée Schenk
Reichlich Visitenkarten hat der Diakon schon auf Festen verteilt.

„Hammer!“, ist die spontane Äußerung von Christian Harttig, gefragt nach seinem Gefühl bei der Weihe im Dom zu Aachen. „Kirchlich heiraten war auch toll“, sagt der überzeugte Ehemann, der freudig erzählt, dass er ja schon mehr als sein halbes Leben mit der Frau an seiner Seite verbringt. „Aber was der Dom in Aachen da auffahren kann, mit der Musik, dem Personal und Glanz. Das war schon sehr beeindruckend.“ Hier passt alles zusammen: Das Strahlen im Gesicht, die Begeisterung, die in der Stimme schwingt, und die Worte, die er findet. Allerdings empfiehlt es sich, gut zuzuhören: Die Geschwindigkeit, mit der Diakon Harttig Sätze bildet, kennt die ältere Generation vielleicht noch von Dieter Thomas Heck aus der Hitparade.

Keine Minute hat der 41-Jährige offenbar bereut. So wundert es nicht, dass im Büro, das er sich im Niederzierer Heim eingerichtet hat, das dokumentarische Weihe-Foto einen gut sichbaren Platz an der Wand einnimmt. Es hängt in direkter Nachbarschaft zu einem Bild des Firmaments, das für sein Bekenntnis als „Trekki“ steht, also Fan der Science-Fiction-Serie Star Trek, und einem kleinen Stimmungsgemälde, das ihm Inspiration ist. Apropos: Auf der gegenüberliegenden Wand prangt ein A1-Plakat seiner Lieblings-Punkband Betontod mit Autogrammen der Musiker. „Über deren Song Bengalo möchte ich unbedingt mal eine Predigt halten“, sagt Harttig, und das glaubt man ihm aufs Wort.

Stichwort: Glaube(n). Der Findungsweg des gelernten ITlers, in dessen Mundwinkel immer ein Grinsen in Wartestellung zu sein scheint, war nicht ganz eben. Vielleicht findet er sich auch deshalb im „Bengalo“-Text wieder, in dem es heißt: „Wenn die Welt da draußen dunkel ist, wenn die schwarze Nacht die Hoffnung frisst, bin ich nicht allein.“ So einige Täler – persönliche wie gesundheitliche – hatte er als Kind, Jugendlicher und auch Erwachsener zu durchschreiten. Obschon Christian Harttig so traditionelle Ämter wie Messdiener, Sternsinger und auch Küsterdienste übernommen hat, sieht er sich selbst nicht als katholisch sozialisiert. „Ich habe da noch einiges nachzuholen. Mir fehlt viel alltäglicher Background wie das Tischgebet, Heiligenverehrung, Rosenkranz.“ Trotzdem hielt das Band zum katholischen Glauben offenbar auch durch kirchenferne Zeiten. In einer privaten „Talsohle“ war es seine Ehefrau, die ihm sagte: „Du musst wieder in die Kirche gehen. Das fehlt dir.“ Das war der Anfang auf dem Weg zur Weihe. 


Ein Dienstleister, der sich noch im Gesang üben muss

Christian Harttig erzählt von seinen Gedankengängen: „Du bist jetzt 36, alt genug für ein Diakonat. Deine Talente passen dazu.“ Das sind welche genau? „Ich bin, glaube ich, offen, kann auf Menschen zugehen, kann Menschen im positiven Sinne einfangen, kann mit Menschen über den Glauben sprechen und dass er wichtig ist, und mir ist es nicht unangenehm, wenn mein Name mit der Kirche in Verbindung gebracht wird.“ Seine Frau sei anfangs etwas verhalten gegenüber dieser finalen Entscheidung gewesen, räumt der Diakon ein, aber „wir sind beide daran gewachsen und hineingewachsen“.

Und immer noch, erzählt Harttig, sei er in der Findungsphase, denn das Corona-Jahr hat natürlich die Pläne reichlich durcheinandergewirbelt. Gottesdienste fanden nicht statt, Taufen und Hochzeiten wurden abgesagt. Selbst seinem Vorhaben, sich mit dem Kantor im Gesang zu üben, konnte der Diakon noch nicht in gewünschter Form nachgehen. Als er das erste Mal vor der Gemeinde das „Herr, erbarme Dich“ singen sollte, sei er unglaublich aufgeregt gewesen: „Ich hab’ die Orgel nicht gehört, weil das Blut so rauschte und das Herz so pochte. Das muss ich auch noch üben.“ 
Bei allem jungenhaften Charme und Sprachgebrauch ist die Überzeugung für seinen Glauben offenkundig unverrückbar. Auf Du und Du zu sein, ist ihm wichtig, „das schafft Nähe“. Aber letztlich ist ihm auch wichtig, dass die Menschen verstehen, was sie in einer Unauflöslichkeit der Ehe versprechen. Oder als Paten, wenn sie beim Taufritus für das noch sprechunvermögende Kind dem Teufel abschwören mit der Formel: „Ich widersage.“ Weil es im aktiven Sprachgebrauch keine Verwendung mehr hat, sei die Formel für viele sinnleer. Darum braucht es, davon ist der 41-jährige Punkfan überzeugt, auch schon mal neue Worte. „Widersprechen ist aber zu schwach. Ich suche noch.“

Wichtig ist dem Diakon auch, über den Tag der Sakramentenspenden da zu sein für die Ehepaare und Familien. „Nachsorge“ nennt das der Seelsorger. Brautpaaren bietet er an, für sie da zu sein. Auch in schweren Zeiten. Und ganz besonders wichtig ist es ihm bei den Täuflingen. „Es ist unmöglich, dass wir die Kinder taufen, ich den Paten und Eltern das Versprechen abnehme, dass sie das Kind katholisch erziehen, und ich sie dann acht Jahre bis zur Erstkommunion allein lasse.“ Hinzu käme, dass aus seiner Generation wenige noch katholisches Grundwissen sicher vermitteln könnten. „Da muss ich Unterstützung anbieten“, ist er überzeugt. „Viele verlassen sich auf die Grundschule, die Grundschulen verlassen sich auf die Kirchen, die Kirchen auf die Eltern – hinterher ist es keiner gewesen.“ 
Er bleibt dran, denn ­– da verbinden sich Erwerbsberuf und Berufung – sowohl als ITler, als auch als Diakon sieht sich Christian Harttig als Dienstleister. Manche Dienstleistung erfindet er für sich selbst, wie bei Twitter. 2075 Follower hat er auf seinem Account „Chrittig“, auf der er über 33000 Tweets veröffentlicht hat. Seit Mai hat sich seine „Gemeinde“ verdreifacht, denn seine Angebote für eine „Abendrunde“, in der immer um 19 Uhr die schlichte Frage im Netz steht: „Wie war Dein Tag“, finden ebenso Widerhall wie die Aktion „Kerze für Dich – nimm Dir ein Licht“, bei der er Kerzen in der Kirche für persönliche Anliegen entzündet, und das Angebot, einmal im Monat die Anliegen von Menschen mit zur stillen Anbetung zu nehmen, sie in die Gebete einzuschließen. „Ich habe gedacht, das Outsourcen kann nicht funktionieren, tut es aber.“ Die Menschen, so ist seine Erfahrung, haben eine Sehnsucht nach Austausch, nach einem offenen Ohr und gerade in der Corona-Zeit der Isolierung auch Anteilnahme. Anfangs hätten sich zwei bis drei gemeldet, inzwischen kommt es vor, dass sich bis zu 40 Menschen an einem Abend melden. Das geht an die Substanz. Hilfe hat sich Twitter-Seelsorger Harttig geholt, um die Anfragen und Sorgen nicht im Netz verhallen zu lassen. „Ich möchte das Gesamtpaket liefern, wenn ich es kann.“

Dass dies keine leeren Phrasen sind, spüren wohl auch die Menschen sofort. Für die Nachcorona-Zeit hat Diakon Christian Harttig schon fleißig Visitenkarten verteilt an junge Paare, die sich entweder unbedingt von ihm trauen lassen oder ihr Kind von ihm taufen lassen wollen. Da kommt es auch schon mal zu kuriosen Anfragen: Eine „Rock-Hochzeit“ wünscht sich ein Paar. „Mal sehen, was wir da machen können,“ sagt Christian Harttig und grinst.