Am Anfang stand der KIM-Prozess, das kirchliche Immobilien-Management, mit dem sich in den 2010er Jahren alle Gemeinden und Pfarreien beschäftigen mussten. Zu entscheiden war, welche Gebäude im Kirchenbesitz aus der bistümlichen Förderung fallen würden. Jetzt geht es einen Schritt weiter: Inzwischen stehen viele Kirchen selbst zur Disposition – wie in Jülich.
„Uns sind Zahlen präsentiert worden, die besagen, dass die Pfarrei im Jahr 2030 theoretisch nur noch eine Kirche benötigt.“ Ganz sachlich legt Thomas Surma als Vorsitzender des Kirchenvorstandes der Pfarrei Heilig Geist Jülich die Fakten auf den Tisch. 1992 zählte die damalige GdG Heilig Geist rund 23700 Katholiken. 2017 nach der Fusion zur Pfarrei waren es noch 19200 – obwohl 2013 eine weitere Gemeinde, nämlich Schophoven, mit rund 700 Katholiken hinzugekommen war. 1992 besuchten 20 Prozent der Pfarrangehörigen den Sonntagsgottesdienst, 2017 waren es noch 7 Prozent. Dem gegenüber stehen 16 Kirchtürme, die sich derzeit alle noch im Besitz der Pfarrei befinden. Inzwischen stehen 12 von ihnen zur Disposition.
Vor einem Jahr hatte „Heilig Geist“ ihre Gemeinden dazu aufgerufen, „ihre“ Kirchen mit Inhalt zu füllen. Das Ergebnis: Benötigt werden demnach Orte für Familienpastoral (St. Franz von Sales im Nordviertel, wo schon die Jugendkirche 3.9zig zu Hause ist), Trauerpastoral (in Selgersdorf, gewählt wegen des Gleisanschlusses), eine „Kunstkirche“, um die beweglichen Schätze der Pfarrei aufzunehmen und zu präsentieren, sowie die Hauptpfarrkirche im Stadtzentrum. Alle übrigen Kirchen können bei entsprechender Vorlage einer sensiblen Folgenutzung erworben werden – das gilt natürlich auch für die zugehörigen Pfarrhäuser und weiteren Immobilien. „Uns ist nicht der letzte Euro wichtig, sondern dass die Menschen dazu passen. Wir geben uns extrem viel Mühe, die richtigen Menschen für unsere Immobilien zu finden“, sagt Thomas Surma.
Er zählt auf, was es abzuwägen gilt: Wiegt die Nähe zu Schule und Kindergarten schwerer als die bauliche Substanz einer Kirche? Denkmalschutz ist eine Verpflichtung – die kann sich aber auch darin widerspiegeln, dass für den baulichen Erhalt, den man als Kirche nicht mehr gewährleisten kann, ein Verkauf die richtige Lösung ist. Einige Kirchen der Pfarrei Heilig Geist sind auf „Basisbetrieb“ gestellt, wie Surma es nennt. Das heißt, es werden keine teuren Reparaturen mehr vorgenommen. Ein Beispiel ist St. Agatha in Mersch, wo seit zwei Jahren die Heizung kaputt ist und die Reparatur über 100000 Euro kosten soll.
Andere Kirchen sind wahre Schatzkammern, genannt sei hier nur der Apostelbalken in der Barmener Kirche, die man nicht aufgeben möchte. St. Martinus ist eine Kirche, die aber nicht viel Raum bietet – anders als in Güsten St. Philippus und Jakobus, die auch ein im Wortsinn reiches Innenleben hat. „Da tragen wir große Verantwortung“, ist sich Thomas Surma bewusst. „Für den einen ist es eine Kirchenbank – für den anderen ein emotionales Möbel. Wir müssen die Empfindungen der Menschen in allen Facetten ernst nehmen.“ Keineswegs banal sind entsprechend diese Abwägungsprozesse. Aber es wird an konstruktiven Lösungen gearbeitet. Proaktiv, so stellt Surma klar, würden aber keine Käufer gesucht. Man warte eher darauf, dass potenzielle Interessenten Kontakt aufnähmen.
So sind wegen der Nähe zum Forschungszentrum Jülich und dem entstehenden Brainergy-Park Umnutzungen zu „Digital Hubs“ oder „Coworking Spaces“, also externe Arbeitsbereiche, im Gespräch, die mit entsprechender Datenleitung ausgestattet würden. Ein weiteres Modell ist, Partnerschaften zu knüpfen, etwa mit der Stadt Jülich, um in den Dörfern Versammlungsräume zu erhalten oder zu schaffen. Ein Haus, mehrere Nutzungen – etwa durch die Gemeinde mit der Feuerwehr. Diese Überlegungen stehen aktuell an zwei Orten an. Interesse an Kirchen bekundet haben auch schon ein Künstler und ein Archäologe. Letztlich scheiterte die Vertragsunterschrift daran, erklärt Thomas Surma, dass die Verfahren im Bistum zu lange brauchen. „Das ist ein Problem für die Pfarreien.“
Mindestens ein halbes Jahr vor einer möglichen Profanierung soll, so schreibt Generalvikar Andreas Frick in seiner „Handreichung zur Profanierung und Umnutzung von Kirchen und Kapellen im Bistum Aachen“, Kontakt mit dem Bischöflichen Generalvikariat aufgenommen werden, „auch wenn nicht alle Fragen geklärt sind“.
Dann ist zunächst die Abteilung 1.2 – „Pastoral in Lebensräumen“ im Bischöflichen Generalvikariat Aachen, zu informieren und in den Prozess einzubeziehen. Abteilung 1.2 hat die Federführung und koordiniert das Verfahren mit anderen Abteilungen und Stabsstellen. Im weiteren Verlauf des Verfahrens wird über den Hauptabteilungsleiter Pastoral/Schule/Bildung der Antrag auf Profanierung eines Kirchengebäudes dem Diözesanpriesterrat zur Beratung vorgelegt.
In diesem Stadium befindet sich gerade die Zukunftsplanung für die Rochuskirche in Jülich. Noch im September soll der Priesterrat hierzu eine Entscheidung fällen. Das letzte Wort hat aber in jedem Fall der Bischof. Ein ortsansässiger Fahrradhändler mit – als einstiges Kommunionkind – sehr persönlicher Bindung an die Kirche ist bei der Suche nach mehr Raum auf St. Rochus aufmerksam geworden. Die zugehörigen Gebäude, die derzeit noch bewohnt werden, unter anderem von einem Priester, und als Pfarrheim genutzt werden und eine dauerhafte
Einnahmequelle durch Vermietung darstellen, blieben unangetastet. Die Werktagskapelle stünde weiter für Gottesdienste zur Verfügung, und selbstverständlich werde kein Nagel in die Kirchenwand geschlagen. Das Innere solle in seiner jetzigen Form erhalten werden. „Er wird nur mit Ständerwerk arbeiten,“ betont Thomas Surma. Der Kirchenvorstand und auch die Gemeinde sind von dieser Lösung sehr angetan, weil sie die unterschiedlichen Bedürfnisse berücksichtigt. Nun hofft die Pfarrei, dass der Priesterrat diesem Ansinnen folgen kann. Wenn ein potenzieller Käufer anböte, sogar die Glocken zu läuten, die Kirche weiterhin für Gläubige auf Nachfrage zu öffnen, der Kirchturm stehen bliebe und damit „die Kirche im Dorf“ bleiben könne, dann würde im Sinne der Menschen viel erreicht, ist der Kirchenvorstand überzeugt.