» Keiner von uns ist im Alleinbesitz der Wahrheit«

»Kommt mal alle wieder runter! Überraschung — auch andere können mal Recht haben. Für mich gilt: Wer ’ne andere Meinung hat, warum auch immer, ist nicht mein Feind. Er hat nur ’ne andere Meinung.«

Mit Rückgrat für Klartext und mit einem guten Verhältnis zum lieben Gott: Wolfgang Bosbach. (c) Maurice Kohl
Mit Rückgrat für Klartext und mit einem guten Verhältnis zum lieben Gott: Wolfgang Bosbach.
Datum:
19. Nov. 2025
Von:
Aus der Kirchenzeitung, Ausgabe 31/2025 | Jörg Peters

Wolfgang Bosbach ist bekannt für seine klare Haltung und Standhaftigkeit. Trotz gesundheitlicher Herausforderungen ist der ehemalige Innenpolitiker  zuversichtlich und will nicht an Dingen verzweifeln, die man nicht ändern kann. Hier trage ihn der Glaube durch das Leben.

Herr Bosbach, Ihnen wird eine tiefe Verbundenheit zur Kirche nachgesagt. Wann waren Sie das letzte Mal in der heiligen Messe?

Wolfgang Bosbach: Vorige Woche in der Kirche zum hl. Michael in Ellmau in Tirol. Ein wunderbares Beispiel für sakrale Baukunst. Nicht pompös, nicht mit Prunk überladen, eher ein Kleinod und gerade deshalb eindrucksvoll. Da würde ich gerne mal eine Christmette feiern.


Was zieht Sie an einen solchen Ort, also in die Kirche oder in eine solche Form einer spirituellen Feier?

Bosbach: Das sind die Momente der Ruhe, der Besinnlichkeit, der totalen Hinwendung zu Gott, zum christlichen Glauben. Vielleicht ist es auch ein wenig Erziehung und Tradition, denn der Glaube hat bei uns zu Hause immer eine große Rolle gespielt.

Als Experte gefragt: Wolfgang Bosbach ist nach wie vor öffentlich präsent. (c) Maurice Kohl
Als Experte gefragt: Wolfgang Bosbach ist nach wie vor öffentlich präsent.

Sie sind bekannt dafür, mit Rückgrat eine klare Haltung zu vertreten und mit Überzeugung auch schon mal gegen den Strom zu schwimmen. Was hält Sie in der Kirche?

Bosbach: Für mich ist die Mitgliedschaft in „meiner“ Kirche nicht so etwas wie eine beliebige Vereinsmitgliedschaft, die man mal wechselt oder aufgibt. Für mich ist das ein ganz persönliches Bekenntnis zu meiner religiösen Prägung, und ich habe in meiner Jugendzeit in der Kirche ausnahmslos gute, wichtige Erfahrungen gesammelt. Ich bin ihr auch dankbar. Umso bitterer, dass andere ganz fürchterliche Erfahrungen machen mussten.

Sie gehen mit der Institution Kirche auch schon mal hart ins Gericht. Wie trennen Sie diese Institution und Ihren persönlichen Glauben?

Bosbach: Na ja, hart ist für mich was anderes. Was glauben Sie denn, was ich in 53 Jahren Politik alles einstecken musste!? Ich bin immer für Klartext, will aber niemanden persönlich angreifen oder gar verletzen. Ich habe ein gutes Verhältnis zum lieben Gott, aber gelegentlich Probleme mit seinem Bodenpersonal. Und wenn mich jemand in der Kirche hält, dann Willibert Pauels (Diakon; bekannt als Büttenredner „ne Bergische Jung“ — Anm. d. Red.). Er ist die beste Werbung für unsere Kirche, den Glauben. Und ein echter Freund!


Was gibt Ihnen der Glaube für Sie ganz persönlich, für Ihren Umgang mit den Menschen oder für Ihre Arbeit?

Bosbach: Man kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand. Und der christliche Glaube ist im Kern eine frohe, keine traurige Botschaft. Das hilft besonders in schweren Zeiten.

Sie sagten in einem Interview: „Der Glaube heilt nicht, aber er hilft.“ Sie leiden an einer Herzinsuffizienz und sind unheilbar an Prostatakrebs erkrankt. Dennoch wirken Sie immer lebensfroh und zuversichtlich. Wie hilft der Glaube Ihnen dabei?

Bosbach: Et es, wie et es un et hätt noch emmer joot jejange. – Nie an Dingen verzweifeln, die man nicht ändern kann. Ich habe tatsächlich echte gesundheitliche Sorgen, bin aber auch dankbar, dass ich trotz allem immer noch das in Beruf und Freizeit tun kann, was ich gerne tun möchte. Insofern trägt mich der Glaube durch das Leben.


Sie werden zitiert, dass anfängliche Heilungshoffnungen sich nicht erfüllt haben. Was hat sich dadurch an Ihrer Lebensperspektive verändert?

Bosbach: Natürlich war die Krebsdiagnose eine böse Überraschung, aber die eigentliche Zäsur war die Botschaft „mit Heilung ist leider nicht zu rechnen“. Ich muss jetzt damit leben. Das heißt: Ich habe schon einige Eingriffe hinter mir, muss viele Medikamente nehmen und leide unter chronischer Müdigkeit. — Na und? Vielen geht es viel schlechter als mir. Also: „Lebbe geht weider“ — wie mein Freund Stepi immer so treffend sagt (gemeint ist der ehemalige Fußballtrainer Dragoslav Stepanović — Anm. d. Red.).


Welche „alltäglichen Quellen“ der Zuversicht tragen Sie zusätzlich? — Gebet, Familie, Humor, nach wie vor als politischer Experte gefragt zu sein?

Bosbach: Gute Frage … Irgendwie ist es bei allen Anstrengungen ja doch schön, noch gefragt zu sein, eingeladen zu werden, vor vollen Sälen sprechen zu können. Das tut gut. Und ganz egal, wohin ich komme, die Leute sind immer freundlich und zugewandt. Das hat auch therapeutische Wirkung.

 

Immer das Beste geben: Wolfgang Bosbach packt auch gerne selbst mit an. (c) Maurice Kohl
Immer das Beste geben: Wolfgang Bosbach packt auch gerne selbst mit an.

Man sagt, wer Parteifreunde hat, brauche keine Feinde. Wo beginnt für Sie Nächstenliebe in der politischen Streitkultur? — Nicht nur bei Partei„freunden“, auch mit Blick auf den politischen Gegner.

Bosbach: Nächstenliebe hat für mich was fürsorglich-caritatives. Das ist mir in der Politik noch nicht begegnet. Und Freundschaften, die den Namen verdienen, gibt es auch über Fraktionsgrenzen hinweg. Konkretes Beispiel: In einem halben Jahr geht es gemeinsam mit Stephan Mayer (CSU) und Burkhard Lischka (SPD) nach Griechenland. Ich tippe: mehr Ouzo als Politik (lacht).


Wie verbinden Sie unverrückbare Menschenwürde mit handfesten sicherheits- und migrationspolitischen Maßnahmen — wo sind Grenzen, wo Spielräume?

Bosbach: Die unverrückbare Menschenwürde beinhaltet nicht das Recht, sich jenseits aller rechtlichen Regelungen den Aufenthaltsort weltweit selber aussuchen zu können. Die Beachtung von Recht und Gesetz ist jedenfalls in rechtsstaatlichen Demokratien die Voraussetzung für ein konfliktfreies Miteinander. Und am Beispiel Syrien könnte die Union verdeutlichen, dass eine differenzierte Rückführung von Ausreisepflichtigen ganz verschiedenen Interessen gerecht werden könnte.

 

Fällt Ihnen ein konkretes Beispiel ein, wo Politik sichtbar dem Gemeinwohl diente und eines, wo Politik (die Ihrer Partei) versagt hat und Sie heute anders entscheiden würden?

Bosbach: Es dürfte weltweit nur wenige Länder mit einem Sozialsystem wie dem deutschen geben. Die wichtigsten, wegweisenden Sozialreformen wurden unter politischer Verantwortung der Union beschlossen. — Glauben Sie nicht? Ist aber so. Der überhastete Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie hat weder der Wirtschaft, noch der Umwelt genutzt. Und der Bevölkerung auch nicht.


Sie warnen vor zunehmender Polarisierung: Wo sehen Sie hier die Ursachen? Und welche Gegenmittel sehen Sie?

Bosbach: Kommt mal alle wieder runter! Keiner von uns ist im Alleinbesitz unumstößlicher Wahrheiten. Und — Überraschung — auch andere könnten mal Recht haben! Für mich gilt: Wer ’ne andere Meinung hat, warum auch immer, ist nicht mein Feind. Er hat nur ’ne andere Meinung. Hoffentlich auch Ahnung …


Wie können Kirche, Zivilgesellschaft und Kommunalpolitik gemeinsam Räume schaffen, in denen man das Gute im Anderen wieder entdeckt?

Bosbach: Wie gerade bereits gesagt: Offen sein für andere Meinungen, Haltungen, Überzeugungen, nach Gemeinsamkeiten suchen. Besser: finden!


Sie bekräftigen die Abgrenzung zur AfD; kirchliche Bedenken gegen eine angebliche „aufgeweichte Brandmauer“ halten Sie für unbegründet. Was ist Ihr Maßstab für politische Kooperation? — Und was ist Ihre rote Linie?

Bosbach: Die Union hat zwei Unvereinbarkeitsbeschlüsse: zur Linkspartei und zur AfD. Weil deren politische Überzeugungen mit denen der Union nicht vereinbar sind. Hier geht es nicht um Kleinigkeiten, sondern um Grundsätzliches. Und dabei muss es bleiben. — Ende der Durchsage!


Sie sagten einst: „Die Kirche muss Menschen unabhängig von deren politischer Überzeugung erreichen“. Wie gelingt das praktisch in Pfarreien, Verbänden oder Caritas?

Bosbach: Der für mich schönste Begriff in der Kirche ist der des Seelsorgers. Sich um die Seele von Menschen kümmern ist tagtäglich gelebte christliche Botschaft. Ganz unabhängig von der Herkunft oder der Mitgliedschaft der Seele in der Kirche.


Sie kritisieren, dass Kirche oft zu politisch ist. Was wünschen Sie sich stattdessen: mehr Verkündigung, Stille, Gebet, Begegnung? Wie sollte Kirche sich im gesellschaftlichen Diskurs einbringen?

Bosbach: Das liegt vermutlich daran, dass ich jeden Tag von morgens bis abends mit der Politik beschäftigt bin. Da muss ich mir nicht auch noch in der Kirche wie auf einem Parteitag vorkommen. Ich wünsche mir Verkündigung des — und damit Werbung für den Glauben; Inspiration für das alltägliche Leben. — Was bedeutet uns der Glaube im Alltag?


Wo erleben Sie persönlich Kirche dennoch als „Heimat“ – trotz mancher Enttäuschungen?

Bosbach: In jedem Gespräch mit Priestern, die mir das Gefühl geben, dass ihnen die Menschen wichtig sind; wichtiger als die Institution Kirche. Konkretes Beispiel: Papa war katholisch, meine Mutter ist evangelisch. 60 Jahre sind meine Eltern gemeinsam in den katholischen Gottesdienst gegangen. Eines Tages sagte unser Pastor zu meiner Mutter: „Sie können gerne mit Ihrem Mann die hl. Kommunion empfangen.“ Ich habe spontan gefragt, ob ihm das nicht Ärger brächte. Antwort: „Ist mir egal.“ — Guter Mann! Ein Seel-Sorger eben.


Wem möchten Sie mit Ihrer Offenheit Mut machen? Was hat Ihnen in belastenden Phasen geholfen?

Bosbach: All denen, die in schwierigen Phasen des Lebens zweifeln, verzagen, den Mut verlieren. Nie an Dingen verzweifeln, die man nicht ändern kann. Nie aufgeben. Es geht immer irgendwie weiter.


Welche Rolle spielt für Sie das Gebet für andere – etwa für Menschen, die Ihnen politisch widersprechen?
Bosbach: Meine Gebete für andere gehen nur mich etwas an. Das ist meine Privatsache. Nur so viel: Für mich ist meine Familie wichtig und seit einigen Jahren meine Enkel. Ich bin total gerne Opa.


Wenn Sie einem kirchenfernen, politikmüden jungen Menschen einen Satz mitgeben dürften: Welcher wäre das?

Bosbach: Vielleicht gehen Sie nicht in die Kirche. Vielleicht haben Sie gar keinen Glauben. Aber Sie sollten dankbar sein für die Botschaft und die Kraft des christlichen Glaubens, denn in einer gottlosen Welt wollen Sie garantiert nicht leben.


Woran möchten Sie sich eines Tages messen lassen – an Kompromissfähigkeit, an Prinzipientreue, an gelebter Nächstenliebe?

Bosbach: Mir ging und geht es immer darum, meiner Verantwortung gerecht zu werden, immer mein Bestes zu geben. Die Menschen, die mir vertrauen, nicht zu enttäuschen. Niemand soll sagen können: Er hat uns getäuscht oder enttäuscht. Das reicht mir völlig.

Zur Person

Wolfgang Bosbach war von 1994 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. Von Februar 2000 bis November 2009 stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Union und von November 2009 bis Juli 2015 Vorsitzender des Innenausschusses. Seit 1994 leidet er an einer Herzinsuffizienz und erkrankte 2010 unheilbar an Prostatakrebs. Als Innenexperte ist seine Meinung nach wie vor in Interviews sehr gefragt. Ebenso spricht er öffentlich über seine Erkrankung und die für ihn stützende Rolle seines Glaubens.