Zurück mit sauberen Pfeifen

Die Orgel in St. Remigius Viersen wurde umfassend gereinigt – mit einem Konzert am 12. September geht sie wieder „in Betrieb“

3500 Pfeifen gehören zur Orgel in der Viersener Innenstadtkirche. (c) Ann-Katrin Roscheck
3500 Pfeifen gehören zur Orgel in der Viersener Innenstadtkirche.
Datum:
11. Aug. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 32/2021 | Ann-Katrin Roscheck

Ordentlich in Reihe liegen die großen Orgelpfeifen sortiert auf dem Boden hinter der schweren Eingangstür von St. Remigius in Viersen. Manche Pfeifen sind durch handschriftliche Zettel gekennzeichnet, andere auf Holzgestellen und in Regalen abgelegt. Fast zehn Wochen benötigen Lea Kynast und Tobias Mesterom von der Orgelbaufirma Scholz, um die 1984 erbaute Orgel zu reinigen. 

Alle 15 bis 20 Jahre wird eine Reinigung veranstaltet, denn sie ist nicht nur kostspielig, sondern auch extrem aufwendig. „Wir bauen jede eigene Orgelpfeife aus, müssen diese säubern, aber vor allem auch die Mechanik, die dahinter liegt, teilweise auseinanderbauen“, erklärt Mesterom. „Anschließend werden alle Teile noch einmal auf Funktionalität geprüft, wieder eingebaut und die Orgel am Ende gestimmt.“

3500 Orgelpfeifen sind in insgesamt 52 Registern verbaut. Manche Pfeifen sind klein und schmal und können problemlos mit einem Finger umschlossen werden, andere sind außerordentlich groß und müssen mit beiden Händen getragen werden. „Deswegen bedarf auch der Ausbau der unterschiedlichen Werke ganz unterschiedlicher Zeit“, erklärt der Orgelbauer weiter. Alleine drei Tage haben die beiden Gladbacher benötigt, um das Hauptwerk auszubauen. Stehen auf den tiefsten Tönen die Registernamen, sind andere Pfeifen nachträglich durch die Experten mit Zetteln gekennzeichnet worden. „Die Bezeichnung ist wichtig, denn wenn hier zwei Drittel aller Pfeifen liegen, kommen wir schnell einmal durcheinander“, erklärt Kynast schmunzelnd.

Die Orgelpfeifen aber werden erst später gereinigt. Zuerst widmen sich Kynast und Mesterom den Windladen, Stöcken und weiteren freigelegten Teilen. Immer wieder nutzen sie Schraubenzieher und herkömmliches Handwerkerequipment, um festgeschraubte Bretter zu öffnen und das Instrument weiter in Einzelteile zu zerlegen. Ihr wichtigstes Arbeitsmittel aber ist ein Kompressor, der hilft, die diversen Öffnungen auszublasen und durch seinen Druck auch Teile zu säubern, die durch die Komplexität des Instrumentes nur schwer zugänglich sind.

Fast genauso wichtig sind zwei Hilfsmittel, die jeder aus dem eigenen Haushalt kennt. Denn mit Spülmittel und einem einfachen Lappen wischen die beiden sorgfältig jedes Teil ab und reinigen es klassisch. Anschließend kommt Schmierseife ins Spiel. „Schimmel ist im Orgelbau immer wieder ein wichtiges Thema“, weiß Kynast zu erzählen. „Eine Orgel ist meist auf sehr engem Raum geplant und hat immer wieder Probleme mit der Belüftung. Schmierseife beugt Schimmel vor.“ 
Auch die Orgelpfeifen werden auf ähnlichem Wege gereinigt: erst ordentlich mit dem Kompressor durchgepustet, damit der Schmutz gelockert wird, und dann mit Reinigungsmittel gesäubert. Anspruchsvoll sind dabei vor allem die kleinen Pfeifen. Denn sitzt am Labium, der lippenförmigen Klangöffnung, die bei einer kleinen Orgelpfeife teilweise nur fingernagelgroß ist, auch nur ein bisschen Dreck oder Ruß, verändert sich der Ton unter Umständen stark. 

Den Orgeln ihren Ton wiederbringen

Für die 23-jährige Lea Kynast und den 31-jährigen Tobias Mesterom beruht diese Sisyphusarbeit auf Leidenschaft. Schon mit seinem zehnten Lebensjahr wusste Mesterom vor mehr als 20 Jahren, dass er irgendwann einmal Orgelbauer werden wolle. Schon immer faszinierte ihn die Vielfältigkeit des Instruments. Im Jugendalter lernte er selbst, es zu spielen, ging nach dem Schulabschluss in die Schreinerlehre und absolvierte anschließend seine Lehre als Orgel- und Harmoniumbauer bei der Firma Scholz in Mönchengladbach.

Wusste Lea Kynast, die in Schwalmtal aufgewachsen ist, nach dem Schulabschluss erst einmal nicht, welchen beruflichen Weg sie einschlagen wollte, machte ihr ein Praktikum die Entscheidung plötzlich leicht. Auch sie wurde als Auszubildende vom Familienbetrieb Scholz übernommen. Bundesweit gibt es nur eine Schule, die diese besondere Ausbildung anbietet. Deswegen durchlaufen die Azubis eine dreieinhalbjährige Kombination aus Werkstattausbildung und Schulblöcken an der Oscar-Walcker-Schule in Ludwigsburg. Die Ausbildung endet mit dem Bau einer eigenen Miniaturorgel. „Noch heute ist es immer wieder aufs Neue so, dass, wenn wir die Orgel stimmen und jemand die Tasten drückt und die Register zieht, ich Gänsehaut bekomme“, erklärt die Handwerkerin und lächelt. „Dieser Klang löst ein wahnsinniges Gefühl aus. Und darüber hinaus bleibt die Orgel in der Regel für die Ewigkeit. Das fasziniert mich ungemein.“

Auch Tobias Mesterom kommt ins Schwärmen, wenn er an Projekte seiner beruflichen Laufbahn denkt. In der evangelischen Friedenskirche in Mönchengladbach hat er vor rund zwei Jahren beispielsweise dazu beigetragen, die in den 60er Jahren stillgelegte Seifert-Orgel zu restaurieren und zu reaktivieren.  „Wir haben den Ton wiedergebracht“, erinnert er sich. „Das war anspruchsvoll, aber das Ergebnis großartig.“

Gemeinsam mit Kynast freut er sich auch auf die Herbst-Winter-Saison. Dann nämlich packt die Orgelfirma Scholz all ihr Equipment zusammen und beginnt ihre jährliche Stimmtour durch ganz NRW. Rund 200 Orgeln werden ab September durch die Orgelbauer gestimmt. Deswegen werden Kynast und Mesterom voraussichtlich auch nicht dabei sein können, wenn die Orgel in St. Remigius nach der ausgiebigen Reinigung am 12. September mit einem besonderen Konzert gefeiert werden wird.

Extra aus Frankreich angereist weiht der bekannte Organist Olivier Penin die Gerald-Woehl-Orgel wieder ein. Schon immer gilt die Woehl-Orgel als französisch inspiriert, und so orientiert sich auch das Programm an einer besonderen französischen Länderfreundschaft: Penin wird Kompositionen von Bach und Mendelssohn spielen, aber genauso Lieder von César Franck mitbringen. Dabei pflegt Penin eine besondere Verbindung zum französischen Komponisten und Organisten deutsch-belgischer Abstammung. Denn wählten beide Musiker Paris als Mekka der Organisten zu ihrem Lebensmittelpunkt, teilten sie auch die Liebe zum selben Instrument. Franck wurde im Jahr 1858 der Titel des „Titularorganisten“ der Kirche Sainte-Clotilde in Paris verliehen. Seit 2012 trägt Penin den gleichen Titel in der Basilika. Sein Konzert in St. Remigius beginnt um 16 Uhr.

Weitere Infos, auch zu den aktuellen Coronaregeln rund um die Veranstaltung, sind online auf www.st-remigius.de zu finden. 

Die Reinigung der Woehl-Orgel in St. Remigius Viersen

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