Wohin mit den Kindern?

Im besetzten Süchteln wurde vor 75 Jahren der Kindergarten St. Franziskus gegründet

Kein Fest mit Gästen – aber die gute Laune lassen sich die „Franziskuskinder“ und das Erzieher-Team nicht verderben. (c) Horizonte
Kein Fest mit Gästen – aber die gute Laune lassen sich die „Franziskuskinder“ und das Erzieher-Team nicht verderben.
Datum:
7. Okt. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 41/2020 |Cordula Pohl-Gerhard

Anfang März 1945: Die Alliierten besetzen den Niederrhein, Süchteln steht unter dem Kommando des britischen Feldmarschalls Bernhard L. Montgomery. Der Krieg ist noch nicht zu Ende. Es herrscht Zerstörung, Chaos und Elend. Die Lage ist unübersichtlich und gefährlich; alles ist provisorisch. Es geht darum, zu überleben und das in Trümmern liegende Land wieder aufzubauen. Vor allem die Frauen tragen die Verantwortung, da viele Männer gefallen oder noch in Kriegsgefangenschaft sind.

Blättern im Fotoalbum: So sahen in den Anfangsjahren um 1949 Kindergartengruppen aus. (c) Horizonte
Blättern im Fotoalbum: So sahen in den Anfangsjahren um 1949 Kindergartengruppen aus.

Doch wohin mit den Kindern? Wer kümmert sich um sie, wenn die Mütter arbeiten, 
um das Überleben aller zu sichern? In dieser Situation reagierte der Seelsorger des damaligen Gemeinderektorats St. Franziskus, Rektor Paul Koß, schnell. Noch vor offiziellem Kriegsende im Mai nahm er seinen früheren Plan wieder auf, einen Kindergarten einzurichten. Seine größte Sorge galt der Raumbeschaffung. Das Gemeinderektorat selbst hatte keine passenden Räumlichkeiten. Koß setzte sich mit dem Gastwirt Konrad Eickes in Verbindung. Sein Gasthof hatte einen großen Spielplatz neben dem Haus. Man wurde sich einig, den kleinen Vorraum des Saalbaus für den provisorischen Kindergarten zu nutzen. Am 4. Juni eröffnete der Kindergarten mit etwa 40 Kindern unter der Leitung von Schwester Maria Notburga Kowalski. Betreut wurden die Kinder von Fräulein Fine (Josefine) Kahlen, die später die Leitung übernahm, und zwei 14-jährigen Mädchen.

Solange der Sommer währte, spielten die Kinder im Freien. Doch der strenge Winter 1945 zwang den Kindergarten zur Schließung, denn es gab nicht genügend Heizmaterial. Zwar eröffnete er im Frühjahr wieder, aber die Umstände blieben die nächsten vier 
Jahre schwierig. Platzmangel und schlechte hygienische Bedingungen machten es den Betreuerinnen schwer. Die Kinder wurden mehrfach „umgesiedelt“, unter anderem in den Keller der Notkirche, zwei Kleinkinder starben an Diphtherie. Rektor Koß und sein Nachfolger Rektor Karl Kirschgen wagten trotz schwieriger Finanzlage den Neubau des Kindergartens, der im März 1949 begann und schon am 29. Mai eingeweiht werden konnte. Fröhlich zogen die Kinder in den neuen Kindergarten, der heute noch an der Stelle steht, an der er zu damaliger Zeit erbaut wurde.

Doch die schnelle Bauweise hatte auch ihre Nachteile. Die damals zur Verfügung stehenden Materialien waren teilweise von geringer Qualität, und der Bau wurde mit den Jahren zu klein. Pläne zur Erweiterung und Renovierung reiften. Nach mehrjährigen Verhandlungen gelang es der Kirchengemeinde St. Clemens, den städtischen Spielplatz, der an die Kindertagesstätte grenzte, im Jahr 1968 zu erwerben. Somit war der Weg für eine erste Erweiterung und größere Außenspielfläche geebnet. 1970 konnte der Erweiterungsbau eingeweiht werden.

Es folgten in den nächsten Jahrzehnten noch zwei weitere Veränderungen: Mit der Umstellung auf die Ganztagsbetreuung 1989 benötigten die Kinder wieder mehr Platz. Daher erhielt die Kindertagesstätte zwischen 1992 und 1994 ihr charakteristisches Spitzdach, in dem ein Schlafraum und eine Mehrzweckhalle untergebracht werden konnten. 2014 übertrug die Kirchengemeinde der gemeinnützigen Trägergesellschaft Horizonte die Kindertagesstätte. Die Horizonte erweiterte die Kindertagesstätte im Jahr 2019 um 110 qm auf ihre heutige Größe und renovierte die bestehenden Räumlichkeiten. Seitdem können dort 106 Kinder spielen, toben und lernen.

In der Kindertagesstätte St. Franziskus haben Generationen von Kindern aus Süchteln und der näheren Umgebung in den letzten 75 Jahren ihre Kindergartenzeit verbracht. Zwölf Kindertagesstätten-Leitungen hinterließen in dieser Zeit ihren pädagogischen Fußabdruck, seit 2010 tut dies Gabriele van den Heuvel.

 

Feier verschoben

„Die Gesundheit unserer Kinder und unserer Mitarbeiter steht im Vordergrund!“, erklärt Gabriele van den Heuvel, Leiterin der Kindertagesstätte. „Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Geplant war eigentlich ein Tag der offenen Tür, in dem wir die Süchteln-Vorster Gemeinde einladen wollten, mal wieder ihren alten Kindergarten zu besuchen. Die Hygienemaßnahmen, die wir hätten ergreifen müssen, wären zu aufwendig geworden. Die Besucher hätten nur in Kleingruppen und unter strengen Vorkehrungen durchgeschleust werden können. Und nach jeder Besuchsgruppe hätten wir desinfizieren müssen. So macht Feiern keinen Spaß. Gemeinsam mit Pastor Schlößer haben wir daher beschlossen, in diesem Jahr kein Jubiläum zu feiern. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wir werden das Fest in ein oder zwei Jahren nachholen. Und dann wollen wir richtig groß feiern!“, versichert die Leitung. Die Geschäftsführung der Horizonte, Sylwia Digiacomo, wünscht gemeinsam mit der Kirchengemeinde St. Clemens allen Kindern, Eltern und Mitarbeitern trotz der heute herrschenden schwierigen Bedingungen eine glückliche und schöne Kindertagesstätten-Zeit. „Wir freuen uns auf das noch ausstehende Fest!“, sagt sie.