Wir sind alle Menschen

Was man aus Reisen auf fremde Kontinente für das eigene Mensch- und Christsein mitnehmen kann

(c) Thomas Hohenschue
Datum:
14. Juli 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 29/2020 | Thomas Hohenschue

Aachen ist gleich nach Rom ein wichtiger, einflussreicher Ort der Weltkirche. Drei kirchliche Hilfswerke fördern und begleiten Tausende Entwicklungsprojekte auf allen Kontinenten der Erde. Zu diesem Schatz der Kirche im Bistum Aachen gehören auch die Mitarbeiter der Werke. Sie unterhalten vielfältige Beziehungen quer durch die Welt und nehmen aus ihrer internationalen Arbeit bedeutsame Lernerfahrungen für das Leben und die Kirche in Deutschland mit. Wie zum Beispiel Werner Meyer zum Farwig, der drei Jahrzehnte lang für Missio gearbeitet hat. Im KiZ-Interview zieht er einige Quintessenzen dieser Zeit.

Treffen im kleinen Kreis enden oft in der Dorfgemeinschaft. Hier dankt der Gast für ihr Geschenk. (c) privat
Treffen im kleinen Kreis enden oft in der Dorfgemeinschaft. Hier dankt der Gast für ihr Geschenk.

Still und leise hat er die Tür zugemacht, als er im Frühjahr das Katholische Missionswerk verließ. Corona hat auch bei dem 63-Jährigen Pläne platzen lassen. Erfüllt blickt Werner Meyer zum Farwig zurück, erfüllt blickt er nach vorne, in eine Zukunft, die mehr Zeit lässt für die wachsende Familie. Ehefrau, drei Kinder und vier Enkelkinder zählt sie bereits, auch die weitere Liebe Frankreich wird wohl mehr Zuwendung erringen können. Die Welt wird kleiner, aber sie wird intensiver für den gelernten Pädagogen, der so viel gesehen hat in seinem Leben.

Gereist sind die Deutschen vor der Pandemie – so lange ist das noch gar nicht her – sehr viel. Aber von alleine tritt nicht ein, was es immer heißt: „Reisen bildet“. Man muss als Reisender dafür auch offen sein. Um zu lernen, gilt es erstens, die Komfortzone touristischer Wege, Orte und Standards zu verlassen, und zweitens, sich wirklich auf die Menschen einzulassen. Werner Meyer zum Farwig hat viele Deutsche bei Reisen nach Afrika und Asien begleitet und ihnen immer einiges mit auf diesen Weg gegeben. Zum Beispiel, ein paar Worte der Landessprache zu lernen: zur Begrüßung, zum Dank, zur Verabschiedung. Das bedeutet keinen großen Aufwand, aber es ist ein schönes Zeichen der Wertschätzung, die man dem Gastgeber entgegenbringt. Es zeigt, dass man der örtlichen Bevölkerung als Menschen begegnet und sie nicht auf die Rolle eines Anbieters exotischer Reiseeindrücke reduziert.

Dafür haben die Menschen unabhängig von Herkunft und Bildungsstand eine feine Antenne, hat Werner Meyer zum Farwig beobachtet. Die Würde aller Beteiligten in allen Situationen zu wahren, ist das A und O einer gelingenden Begegnung. Respekt und Wertschätzung fangen mit einem offenen Lächeln an, sagt Meyer zum Farwig. Eine gute Atmosphäre ist überall auf diesem Planeten wichtig. Und dazu gehört, sich wirklich für das Gegenüber zu interessieren. Neben den paar regionalen Sprachfetzen, die man sich aneignen sollte, kommt man schon irgendwie mit einer anderen Sprache oder auch mit Händen, Füßen und Augen durch. Bei seinen vielen Reisen hat der langjährige Missio-Mitarbeiter gesehen, wie die Menschen sich öffnen, wenn man ihnen Fragen stellt, echtes Interesse an ihrem Leben zeigt. Und ebenfalls ganz wichtig, überall auf der Welt: Ganz nahe kommt man sich, wenn man gemeinsam feiert, trinkt und isst. Meyer zum Farwig schwärmt zum Beispiel von den lokalen Bieren, die es vielerorts gibt. Einfach ausprobieren, empfiehlt er, es schmeckt häufig richtig gut. Und beim Feiern, Essen, Trinken stellt sich dieses berauschende Gefühl der universellen Verbundenheit ein: Wir sind alle Menschen.
Auch für das eigene Christsein kann Reisen sehr bereichernd sein. Wie die geradezu beschämende, überbordend großzügige Gastfreundschaft inspiriert auch die Spiritualität anderer Länder und Kontinente den mitteleuropäischen Gast. Vorweg stellt Werner Meyer zum Farwig allerdings das Verbindende, das er bei seinen Reisen erlebt hat. Unter dem Dach der katholischen Kirche lässt sich der christliche Glaube als weltweite Gemeinschaft erfahren mit gemeinsamen Quellen, Sätzen und Riten. Von der religiösen Verortung her bildet die Kirche das Fundament, auf dem sich regionale Eigenheiten entwickeln.


Vom Glauben der anderen lernen, nicht ihn einfach kopieren

Und noch eines ist dem langjährigen Missio-Mitarbeiter wichtig: Bei aller Faszination für das Fremde bietet die Begegnung vor allem auch die Chance, sich der eigenen Identität zu vergewissern. Er selbst zum Beispiel hat sich in der Auseinandersetzung mit afrikanischen und asiatischen Kulturen und Kirchen immer als Europäer gesehen, mit seiner tiefen Verankerung in der römisch-katholischen Kirche europäischer Prägung, mit ihren ehrwürdigen Traditionen, wie sie sich in Klöstern und Kathedralen manifestiert. Und so sieht er auch das Gegenüber in Afrika und Asien zunächst einmal als jemand, der aus seiner kulturellen Verankerung und Identität heraus Glauben lebt.
Gleichwohl birgt die offene, wertschätzende Auseinandersetzung mit dem, was der andere denkt, fühlt und tut, wie, wo und wann er zu Gott betet, sein Christentum im Alltag lebt, große Chancen. Es geht nicht darum, etwas von dem Gegenüber einfach zu kopieren. Davor warnt Werner Meyer zum Farwig sogar. Aber eine Einladung, voneinander zu lernen, spricht er aus. Für die deutsche Kirche, die nach neuen Gemeindeformen sucht, nach neuen spirituellen Zugängen, können Erfahrungen aus anderen Kontinenten eine wertvolle Inspiration sein.

Umgekehrt, so glaubt der weltkirchliche Fachmann, schaut zurzeit die gesamte katholische Kirche sehr genau nach Deutschland. Wie sich die hiesige Ortskirche aufmacht, bestimmte universelle Fragen der Kirche für ihren Bereich neu zu besprechen und zu klären, interessiert viele. Fast überall auf dem Globus sieht sich die Kirche denselben Herausforderungen gegenüber. Dass die gewaltigen Probleme etwa im Umgang mit sexuellem Missbrauch durch Kleriker und im Umgang mit Frauen zunehmend kritisch hinterfragt werden, wird zum weltweiten Phänomen. Und genauso flächendeckend treten Säkularisierung, Pluralisierung und alternative, evangelikale Sinnanbieter der katholischen Glaubensgemeinschaft und -botschaft entgegen. Hier tragfähige Antworten zu formulieren, die jeweils kulturell übersetzt werden, könnte der Beitrag der deutschen Kirche sein.