Wie steht es um die Frauen?

Kirchengeschichte schreiben: Politik der kleinen Schritte oder perspektivisch entscheiden? Ein Streitgespräch

Pastoralreferentin Annette Diesler und Propst Josef Wolff haben sich zusammen auseinander-gesetzt. (c) Dorothée Schenk
Pastoralreferentin Annette Diesler und Propst Josef Wolff haben sich zusammen auseinander-gesetzt.
Datum:
18. Aug. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 34/2020

Die Stellungnahme des Bistums zur jüngsten Aktion von Maria 2.0 (S. 2/3) lautet: „Die Diskussion darüber wird in der Öffentlichkeit als innerkirchlicher Konflikt und nicht als Dialog wahrgenommen, das birgt die Gefahr für Polarisierung.“ Pastoralreferentin und Geistliche Leiterin des KFD-Diözesanverbands Aachen Annette Diesler und Propst Josef Wolff von der Pfarrei Heilig Geist Jülich diskutieren aus diesem Anlass das Thema „Frau in der Kirche“.

Diesler: Ich finde nicht, „Maria 2.0“ ruft die Polarisierung hervor, sondern die Polarisierung gibt es bereits. Frauen stehen schon seit langem in den Startlöchern und sind bereit, ihre Charismen, ihre Berufungen in allen Funktionen zu leben. Das wird nicht durch die Bewegung hervorgerufen, sondern sie bekommt durch die Bewegung ein Sprachrohr.

Wolff: Frauen in Leitungsfunktion ist immer schon Thema gewesen, weil es ein berechtigtes Anliegen ist. Wir haben schon während meines Studiums darüber diskutiert, als Papst Johannes Paul II 1994 mit „Ordinatio Sacerdotalis“ die Diskussionen zum Frauenpriestertum beenden wollte. Hinter der Frauenfrage steht die Frage nach Macht, nach Aktualität von Kirche und nach ihrem Verhältnis zur Gesellschaft. Ich meine, dass diese Hintergrundfragen die Frage, ob Frauen als Priesterinnen geweiht werden können oder nicht, fast überlagert.


Diesler: Im Rahmen des Zweiten Vatikanums ist ein Dokument verabschiedet worden: „Gaudium et spes“. Darin ist die Rede davon, dass man jede Diskriminierung, sei sie gesellschaftlich-kultureller Art oder aufgrund des Geschlechts, überwinden muss, da sie dem Plan Gottes widerspricht. So heißt es wörtlich. Die Kirche hat das immer mit aller Vehemenz in allen möglichen gesellschaftlichen Zusammenhängen gefordert. Nach außen hin ist sie da sehr stark, nur nach innen macht sie ihre Hausaufgaben nicht.

Wolff: Es gibt sehr wohl eine Entwicklung, die wenig gesehen wird. Die früher undenkbare Praxis, auch Ministrantinnen und nicht nur Ministranten einzusetzen, hat der Papst 1992 bestätigt; auch Frauen dürfen in der Liturgie im Altarraum Dienste übernehmen.

Diesler: Die Entwicklung in den Frauenämtern anhand des Ministrantinnendienstes aufzuführen, finde ich peinlich. Schon zu Paulus’ Zeiten haben Frauen Leitungsverantwortung in ihren, zugegebenermaßen kleinen, Gemeinden wahrgenommen. Es gibt sogar Kirchengeschichtler, die sagen: „Es gab Diakoninnen.“ Da gibt es ja einen Rückschritt in dieser Ämterentwicklung.

Wolff: Vor der französischen Revolution, im Mittelalter, erst Recht in der Antike war Kirche sehr vielfältig. Im 16. Jahrhundert ist die Einheitsmesse eingeführt worden – vorher gab es viele unterschiedliche Riten. Aber ganz vieles von dem ist untergegangen oder untergegangen worden – auch was die Rolle der Frau angeht, das ist richtig.

Diesler: Für die Entwicklung von Frauen innerhalb der Kirche ist ganz elementar, wie Ordensfrauen – beispielsweise Hildegard von Bingen –  im 11. Jahrhundert zum Teil mächtig dem Papst widersprochen und ihre Positionen vertreten haben. Mir geht es nicht darum, was sie als „Frauen“ gesagt haben, sondern sie haben damit Kirche nach vorne gebracht. Wenn wir darauf schauen, was den Gemeinden und der Kirchenentwicklung 
gut tut, ist es doch gut, wenn man nach menschlichen Stimmen schaut, die der Kirche gut tun. Da sind Frauen wie Männer gleichermaßen vorhanden. Diese einseitig zu unterdrücken, ist auch theologisch gesehen – wenn ich vom Wohl der Gemeinde argumentiere –  für mich unschlüssig.

Wolff: Ich würde mal so sagen, dass man sich später wundern wird, dass es 
so spät Priesterinnen gegeben hat. Meine Schätzung ist, dass es, ja, in 50 bis 100 Jahren wie selbstverständlich Priesterinnen geben wird in der katholischen Kirche. Es wird einen Zusammenbruch von Hierarchie und Strukturen geben, das heißt der Einheitlichkeit. Katholische Kirche muss lernen, sich vielfältiger aufzustellen. Die Einheit dabei zu wahren, das ist ja die große Sorge von Papst und Bischöfen. 

 

Diesler: Sie haben Papst Johannes Paul II zitiert, der 1994 sagte: „Die Diskussion für Frauen ist beendet.“ Papst Franziskus könnte sie wieder eröffnen. Das ist ein Spielraum, den wir als nichtmächtige Frauen leider nicht haben. Und deswegen sind da die Rollen ungleich verteilt. Ich war auch lange gegen die Quote in Führungspositionen, nur die Wirklichkeit hat leider gezeigt, wenn man das der Freiwilligkeit überlässt, passiert nichts. Es geht nicht, wie man, vielleicht naiverweise, denken könnte darum, dass jemand die nötige Kompetenz und eben die fachliche Zurüstung hat. Ich finde außerdem, dass die gesellschaftlichen Grundlagen noch unzureichend gelegt sind. Beispiel Kinderbetreuung. Das ganze System muss gesellschaftlich anders aufgestellt sein. Wir sind weit entfernt von einem Pari-Pari. Dann komm ich zur Frage der geschlechtergerechten Entlohnung, auf die schlechte Bezahlung von sozialen Berufen, etc. Die Kirche könnte mit gutem Beispiel vorausgehen. Auch wenn ich auf diktatorische Länder schaue. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Kirche wäre nicht nur ein Gewinn für die Pastoral, sondern könnte auch zur Befreiung der Frau aus unterdrückenden Systemen beitragen. Denn in vielen Ländern der Welt, leiden Frauen unter dem jeweils gesellschaftsprägenden patriarchalischen Frauenbild.

Wolff: Da sind Sie sehr optimistisch. Ich glaube nicht, dass sich irgendein Diktator beeindrucken lässt, wenn der Papst jetzt Frauen zu Priesterinnen weiht. Auch wenn ich vor dem Hintergrund, dass alle Menschen vor Gott gleich sind, ein Freund davon bin, dass Frauen geweiht werden, würde ich – wenn ich Papst wäre – Frauen nicht weihen. Und zwar wegen der politischen Auswirkungen, wegen der ökumenischen Konsequenzen. Aber ich würde Schritte in diese Richtung dazu gehen. Ich würde das Thema Sexualität und Macht rangehen und später auch an die Frauenfrage. Priesterinnenweihe ist für mich nur eine Frage der Zeit.

Diesler: Die kleinen Schritte gehen wir seit Jahrhunderten, da hat sich nichts getan…

Wolff: Doch! 1994 – Zulassung von Frauen im Altarraum. Das ist ein gewaltiger Schritt!


Diesler: Drehen Sie das nur mal um, versetzen sich in die Situation als Frau: Als Mann würden Sie sich das schon lange nicht gefallen lassen. Wären Sie zufrieden damit: „Seit 1994 gibt es ja immerhin schon Ministrantinnen. Da tut sich doch was?“ Das ist jetzt 25 Jahre her. Meine erste Stelle habe ich in der Schweiz im Bistum St. Gallen gehabt und dort sehr eng mit der reformierten Pfarrerin zusammengearbeitet. Bestimmte Dinge musste sie dann aber doch mit dem Pfarrer absprechen und konnte das nicht mit mir alleine abstimmen. Wir sind eben nicht auf Augenhöhe. Da ist die Frage: Wie ist Leitung? Wie ist Macht? Wie sind Systeme organisiert?

Wolff: Der Pfarrer hätte es einfach delegieren können. Grundsätzlich geht das.

Diesler: Eben. Wer die Macht hat, entscheidet, was delegiert werden kann und was nicht. 2017 wurden beim ökumenischen wissenschaftlichen Kongress in Osnabrück sieben Thesen verabschiedet. In These 3 heißt es dort: „Nicht der Zugang von Frauen zu den kirchlichen Diensten und Ämtern ist begründungspflichtig, sondern deren Ausschluss.“ Ich finde, es ist legitim zu sagen, dass Frauen sich in der katholischen Kirche berufen fühlen dürfen mit dem gleichen Selbstverständnis und dem gleichen Selbstbewusstsein, wie es Männer tun. Ich fühle mich in dieser Kirche beheimatet und möchte die Kirche von innen heraus verändern. Mir liegt etwas daran, sonst wäre ich auch nicht Pastoralreferentin geworden. Mir ist wichtig, Rückenstärkerin zu sein, damit Frauen ihre Charismen leben und einbringen können. Die Zeitschrift „Lebendige Seelsorge“ berichtet in der Ausgabe 3/20 von einer Umfrage in Brasilien, wo weltweit die meisten, nämlich 135 Millionen Katholiken leben, die sich zu 75 Prozent eine Frau hinter dem Altar vorstellen können. Lange Zeit wurde behauptet: „Das ist nur ein Thema in den deutschsprachigen Ländern oder Westeuropa.“ Das stimmt nicht. Es ist ein Thema in Asien, in Afrika, überall. Es täte der Weltkirche gut. Es ist keine Bremse, sondern es wäre ein Aufschwung für alle.

 

Wolff: Die andere Möglichkeit wäre die relationale Priesterweihe. In den Gesellschaften, in denen Frauen in Führungsformen akzeptiert sind, wo es beispielsweise eine Bundeskanzlerin gibt, da kann man Priesterinnen weihen, aber relational, für ein bestimmtes Bistum. Vielleicht wäre das auch eine Möglichkeit?

Diesler: Ein relationaler Zugang ist für mich ein Widerspruch. Es widerspricht fundamental der gleichen Würde. Es gibt keine spezifische Würde. Die Frau hat die gleiche Würde wie der Mann. Es gibt keine spezifische Theologie der Frau. Es gibt auch keine spezifischen Orte der Frau.

Wolff: Das ist alles richtig. Wir sind uns da einig. Nur: Ich muss doch die Leute mitnehmen.

Diesler: Sie brauche ich gar nicht mitzunehmen. Sie sind doch längst da!

Wolff: Nicht weltweit! Das sehe ich nicht. Mit Blick auf die Weltkirche habe ich die ganz große Sorge, dass ich den Menschen verliere, und wir die neue Kirchenspaltung haben. Da frag’ ich mich: Ist es das wert? Oder ist vielleicht dann nicht doch die Politik der kleinen Schritte, dass wir uns da so annähern, bevor wir den großen Sprung machen.

Diesler: Ich sehe es genau andersrum: Die Politik der kleinen Schritte haben wir lange genug gemacht und sie führt zu steigenden Austrittszahlen. Ich glaube, da kommen wir nicht überein. 

Das Gespräch führte Dorothée Schenk.