Warum geht das nicht weg?

An der Katho NRW wurde ein Institut zur Antisemitismus- und Rassismusforschung gegründet

Bewegungen wie „Black Lives Matter“ in den USA und Europa decken den strukturellen Rassismus auf. Doch die Bewegung ist nicht unumstritten. Auch hier sind antisemitische Positionen zu finden. (c) www.pixabay.com
Bewegungen wie „Black Lives Matter“ in den USA und Europa decken den strukturellen Rassismus auf. Doch die Bewegung ist nicht unumstritten. Auch hier sind antisemitische Positionen zu finden.
Datum:
9. Dez. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 50/2020 | Kathrin Albrecht

Übergriffe auf Kippa tragende Juden auf offener Straße, Beschmieren von Hauswänden, Gewalttaten wie die Anschläge in Halle und Hanau: Auch Berichte der Innenministerien von Bund und Ländern belegen, was die beschriebenen Ereignisse ahnen lassen: Antisemitismus und Rassismus haben in den vergangenen Jahren zugenommen und gehören zum Alltag.  

Mit der Gründung des Zentrums für Antisemitismus- und Rassismusforschung (englisch Center for Antisemitism and Racism Studies, kurz Cars) will sich die Katho NRW verstärkt mit dem Thema auseinandersetzen. „Mit großer Sorge beobachten wir einen neuen und einen alten Antisemitismus, der im neuen Gewand erscheint und, wie wir in Halle gesehen haben, zu tödlichen Anschlägen führt“, sagte Heinz Hobelsberger, Rektor der Katho NRW, bei der offiziellen Eröffnung des Instituts in Aachen, die, Corona geschuldet, digital stattfand. Auch wenn die jüngsten Ereignisse die Dringlichkeit und Virulenz des Themas nahelegen, reicht die Idee zu einem solchen Institut weiter zurück. Seit 2016 kooperiert die Katho mit dem Gordon College of Education in Heifa. Regelmäßig findet ein Austausch zwischen Lehrenden und Mitarbeitenden der beiden Hochschulen statt. Forschungsschwerpunkte des Gordon College liegen in der Erinnerungskultur, der Gedenkstättenarbeit und in der Frage, wie präventiv gegen Antisemitismus gerabeitet werden kann. Fragen, in denen Martin Spetsmann-Kunkel, Dekan des Fachbereichs Sozialwesen und Leiter des Cars, viele Anknüpfungspunkte sieht und die mit den Anstoß zur Gründung des Institutes, die bereits im Sommer vonstatten ging, gaben.

Angesiedelt ist das Cars zwar in Aachen, gelehrt und geforscht werden soll aber an allen vier Standorten der Katho. Außerdem will die Hochschule vor Ort die Vernetzung und Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Akteuren suchen, beispielsweise der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit oder den Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen. Die Gründung des Cars sei keine Reaktion auf die jüngsten Entwicklungen in Deutschland, sondern die Pflicht einer Hochschule, dem Unwissen und der Indifferenz gegenüber Rassismus und Antisemitismus entgegenzuarbeiten, unterstrich Bernward Robrecht, Kanzler der Katho NRW. Leisten soll dies die jetzt ausgeschriebene Professur, die als Querschnittsprofessur alle Studiengänge und Standorte abdecken wird. Wenn die Rahmen-
bedingungen es wieder zulassen, soll auch die Kooperation mit Heifa wieder intensiviert werden. 

Ein solches Institut sei an einer katholischen Hochschule sehr gut verortet, 
befand Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Sie referierte bei der Eröffnung zum Besonderen des Antisemitismus im Dreieck Religion, Rassismus und Judenfeindlichkeit. Antisemitismus könne ohne seine christlichen Wurzeln nicht verstanden werden. Sie erinnerte auch an die ambivalente Rolle der beiden Kirchen, die auf der einen Seite über Jahrhunderte Antisemitismus in die Gesellschaft trugen, in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten aber zu den ersten gesellschaftlichen Akteuren gehörten, die für einen anderen anderen Umgang mit den Juden plädierten. 

Mit Stephan Grigat, aktuell Dozent für Politikwissenschaft an der Uni Passau und Lehrbeauftragter an der Uni Wien, referierte ein weiterer Experte zur Frage, wie die kritische Theorie gegen aktuelle antisemitische und rassistische Projektionen helfen kann. Not tue sowohl eine theoretische als auch praktische Kritik des Antisemitismus, die das rechte, das linke Spektrum sowie den Islamismus gleichermaßen in den Blick nehme. Er wies auf die antisemitischen Motive hinter den IS-Anschlägen in Europa hin und wünschte sich seitens der Politik, dass gegenüber Ländern, die klar antisemitisch agierten, deutlicher rote Linien benannt würden. 

In der abschließenden Podiumsdiskussion sah Felix Klein, seit 2018 Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, vor allem die Aufdeckung der Hintergründe und der Verwurzelung des Antisemitismus als wichtige Aufträge des Institutes. Gleichzeitig betonte er die Notwendigkeit, Erinnerungskultur anders zu denken. 25 Prozent der deutschen Bevölkerung habe einen Migrationshintergrund. Es gelte, Brücken zu schlagen und in der historischen Aufarbeitung des NS-Regimes, des Holocausts und des Zweiten Weltkriegs Anknüpfungspunkte an die Herkunftsländer zu finden. 
Nachdenklich wurde Moderator Joachim Söder, Professor für Philosophie an der Katho, zum Schluss: „Wenn wir ehrlich sind, ist es traurig, dass es notwendig ist, ein solches Zentrum zu gründen.“