Vielseitiger Baustoff Papier

Hardy Keymer baut die Dürener Anna- und Martinskirchen in einheitlichem Maßstab als Modelle nach

Auf seiner Eisenbahnplatte  hat Hardy Keymer einen festen Platz für die 1944 zerstörte erste Version der Annakirche neben dem Dürener Bahnhof. (c) Arne Schenk
Auf seiner Eisenbahnplatte hat Hardy Keymer einen festen Platz für die 1944 zerstörte erste Version der Annakirche neben dem Dürener Bahnhof.
Datum:
29. Juni 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 26/2021 | Arne Schenk

Diesen Eindruck können nicht einmal Zeitreisende gewinnen: die beiden Dürener Annakirchen mit den vier verschiedenen Versionen ihrer Vorgängerinnen, der Martins-kirchen, auf einen Blick zu erhaschen, und zwar alle nebeneinander. Hardy Keymer macht es möglich. In stundenlanger Kleinarbeit hat er Modelle von dem Gotteshaus angefertigt. Zu sehen sein werden sie in der geplanten Dauerausstellung.

Eine Version der Martinskirche sowie die beiden Nachfolgermodelle der Annakirche auf einen Blick. (c) Arne Schenk
Eine Version der Martinskirche sowie die beiden Nachfolgermodelle der Annakirche auf einen Blick.

Den Grundstock für die Modelle lieferten die Ausgrabungen von Wilhelm Lehmbruck im Jahr 1951, bei denen die Grundmauern der einzelnen Kirchen gefunden und dokumentiert wurden, unter anderem im Buch „50 Jahre neue Annakirche – Symbol des Wiederaufbaus“. „Da sind auch isometrische Zeichnungen drin, wie sich der Archäologe das vorgestellt hat“, erklärt Keymer.

Anhand dieser sozusagen dreidimensionalen Zeichnungen ließen sich die Aufbauten in ihren Proportionen gut nachempfinden. Aber Hardy Keymer recherchierte weiter sorgfältig, zog viele Bücher und Fotos zu Rate. Am Aachener Dom hat er sich beispielsweise die gotische und romanische Bauweise als Inspiration für die erste Annakirche abgeschaut, denn möglichst exakt sollten die Modelle schon sein. „Ich bin da sehr nah dran, denke ich schon.“ Bei den Farben lässt er sich von seiner Frau Helga beraten, die selber Bilder malt.

Aber auch von anderer Stelle berücksichtigt er Ratschläge. So hatte er für die Annakirche zunächst die Farbe des Aachener Doms gewählt. Davon war Ulrich Flatten, Vorstandsmitglied der Stiftung Annakirche Düren, mit dem er im häufigen Austausch steht, gar nicht überzeugt. Denn diese Art Stein sei für die Rurstadt unmöglich zu bekommen gewesen. Daraus entspann sich eine Diskussion, woher die damaligen Bauherren wohl ihren Stein bezogen hatten. Da die Steine für die Stadtmauer und die Annakirche unter anderem in der Gegend von Rath und Leversbach bei Nideggen geschlagen wurden, orientierte sich Hardy Keymer daran: „Da sieht man heute noch, wo die Steinbrüche waren. Und daran kann man sehen, wie die Farben waren.“ Eben rötlich. „Es ist gut, wenn man sich austauscht und Diskussionen führt.“

Zunächst hatte Keymer fünf Kirchen nachgebaut, als Ulrich Flatten meinte, dass es noch eine Zwischenkirche gegeben haben müsste. „Da haben wir das nachgelesen“, erzählt Hardy Keymer. So schuf er die Zwischenkirche mit erweitertem Turm, die immerhin vom 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts auf dem Platz gestanden hat, ehe die erste Annakirche errichtet wurde.

Zu der Idee kam er übrigens durch seine Modellbahn: „Ich habe gesagt: Ich baue meine Heimat ein bisschen nach.“ Zunächst hatte er zwar den Dürener Bahnhof, drum herum aber nur irgendwelche Häuser, die eine Stadt darstellten, „aber nicht die Heimat“. „Da habe ich gedacht: Das bauste ein bisschen so um, wie früher Düren gewesen ist, den Marktplatz, die Annakirche.“ Da kam dann immer mehr, bis auch Froitzheim teilweise nachgestellt wurde, so die Alte Schule, wo er mit seiner Frau Helga wohnt. Die Schule hat ihre Familie einst erworben und 1960 zu einem Wohnhaus umgebaut. So entstand die Überlegung, alle Häuser nachzubauen, in denen Hardy Keymer einmal gewohnt hat. 


In aufwendiger Recherche und Kleinarbeit werden die einzelnen Teile nachgebaut

Diese fünf sind unter den insgesamt etwa 100 Modellen gut wiederzufinden. Ansonsten orientiert er sich insbesondere an dem alten Düren, wie es vor dem Krieg zu Anfang des 20. Jahrhunderts aussah, dem Marktplatz, dem Rathaus von 1720, dem neuen Wasserturm. Aber auch moderne Elemente und das Rathaus von Vettweiß sind drauf, nach eigenen Vermessungen und Zeichnungen des Bauamts.

Dann wiederum die alte Burg von Froitzheim, die es seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr gibt. Als gelernter Konstrukteur hat er das zugehörige Verständnis und genügend Erfahrung, um sich in die Modelle einzudenken, sie zu planen und auszuführen. Von jedem einzelnen Element – Mauerstruktur, Fenster, Türen – benötigt er Fotos, um sie im Computer zusammensetzen zu können. Sämtliche Kirchen sind einheitlich im Maßstab 1:160 gehalten. Anschließend druckt er die Teile auf Papier aus und klebt sie auf 1,5 Millimeter starken Polsterkarton, der normalerweise dazu benutzt wird, um ihn hinter eine Couch zu kleben. Bei großen Modellen verstärkt er die Teile zusätzlich mit Streichhölzern oder den Stöckchen von Feuerwerkraketen.

Eine aufwendige Angelegenheit. Die gotische Annakirche, die größte aller Kirchen, samt ihrem 100 Meter hohen Turm hat 400 Stunden gedauert inklusive Recherche, Vermessungen und Fotos. Die Annakirche von heute hingegen benötigte lediglich 50 Stunden. Dies weiß Keymer genau, denn über seine Arbeitszeit führt er gewissenhaft Buch. 
Besonders achten muss er bei seiner Arbeit auf die kleinen Teile. „Die Finger sind dann dicker als das Teil, das ich baue; zum Beispiel eine Dachgaube.“ Die Kirche hat bis zu 28 Dachgauben, die aus drei Teilen zusammengesetzt werden. „Da wird’s dann schon mal schwierig. Dann kann man nur noch mit Pinzette arbeiten.“ Diffizil wird es auch anderswo. „Die Fenster schneide ich auch aus, damit ich sie von hinten beleuchten kann. Dafür brauche ich ein Skalpell und arbeite im Prinzip wie ein Arzt“, meint er augenzwinkernd.

„Wenn ich dann schon mal fluche, dann weiß meine Frau: Das hat jetzt nicht so funktioniert.“ Die Arbeit macht ihm sichtlich Spaß. Selbst kleine Missgeschicke nimmt er mit Humor. „Und dann zeige ich meiner Frau schon mal ganz stolz eine Sache, und dann sagt sie: ‚Das ist ja schief.‘ Da weiß ich, dass ich wieder von vorne anfangen kann.“
Sämtliche Daten mit Größe der Kirchen (Länge, Breite, Höhe), Bauzeit sowie der historischen Einordnung hat Keymer auf Schilder geschrieben, die er der jeweilige Kirche zuordnet, auch zur Anna-Ausstellung.

Sein Lieblingsmodell ist übrigens die gotische Annakirche. Daneben auch die Marienkirche mit dem Franziskanerkloster, die er ebenfalls nachgebaut hat und die von gleicher Größe ist. „Da sind viele kleine Details, die das Ganze ausmachen. Am Turm von St. Marien war zum Beispiel früher ein Zwiebelturm mit verschiedenen Etagen. So etwas könnte heutzutage kein Mensch mehr bezahlen.“ In welcher Zeit hätte er wohl gerne das Modell in Realität erlebt? „Eigentlich in allen mal. Für ein paar Tage, nur um sich mal reinzudenken: Wie hat man da gelebt?“