Viel Leid und viel Elend

In der Folge der Missbrauchsstudie werden im Bistum vermutlich noch mehr Fälle ans Licht kommen

Annett Pudlowsky vom Kinderschutzbund (l.) brachte die Perspektive der Missbrauchsopfer in die Diskussion ein. (c) Garnet Manecke
Annett Pudlowsky vom Kinderschutzbund (l.) brachte die Perspektive der Missbrauchsopfer in die Diskussion ein.
Datum:
25. Juni 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 26/2019 | Garnet Manecke

Die Erfahrungen mit dem Umgang der Kirche mit Tätern und Opfern bei sexuellem Missbrauch wirken tief. Viele Kirchenmitglieder wollen es nicht recht glauben, wenn ihnen versichert wird, dass nun jedem Verdacht nachgegangen und die bekannten Fälle aufgearbeitet werden. Das wurde auch bei einer Diskussion im Katholischen Forum deutlich.

Die Prognose von Generalvikar Andreas Frick ist düster: „Ich rechne damit, dass wir für den Rest meiner Amtszeit als Priester mit dem Thema und der Aufarbeitung konfrontiert sind“, sagt der 55-Jährige. „Ich habe persönlich keine abgeschlossene Vorstellung davon, ob die Zahlen so sind, wie in der Studie veröffentlicht, ob sie sich verdreifachen oder verdoppeln. Die veröffentlichten Zahlen sind ja nur das sogenannte Hellfeld.“

Das Katholische Forum für Erwachsenen- und Familienbildung hatte zum Informations- und Diskussionsabend unter dem Titel „Fromme Täter“ eingeladen. Viele Besucher waren gekommen, um ihre Fragen und Standpunkte mit den eingeladenen Experten auszutauschen. Auffallend war, dass unter den Besuchern sehr wenige junge Eltern waren und ebenso wenige Priester aus den Regionen. Einzig Pfarrer Michael Schicks stellte sich als Mitglied der Resonanzgruppe, die zu einzelnen Diskussionspunkten nach ihrer Meinung gefragt wurde, der Diskussion. Auch bei ihm sind die Verletzungen, die der Umgang mit den Ergebnissen der Studie hervorgerufen hat, spürbar. Als Priester gehört er nun einer Gruppe an, die sich einem Generalverdacht ausgesetzt sieht und die ihre Lebensweise ständig rechtfertigen muss. In dieser Situation fühlt er sich von Verantwortlichen nicht wahrgenommen. „Ich spüre als Priester eine gewisse Reserviertheit“, sagte er in Richtung Bistumsleitung. „Warum habt ihr die Priester nicht mal eingeladen? Als Priester weiß ich nicht, wie wir uns zueinander verhalten.“

Offen zu sprechen und auf die Menschen zuzugehen sei in dieser Situation das Wichtigste, sagt Alexandra Schiffers, Referentin für die strategische Aufarbeitung der Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz im Bistum Aachen. Die Studie habe drei Ziele gehabt: die Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs zu ermitteln, die Formen zu beschreiben und die kirchlichen Strukturen zu identifizieren, durch die Missbrauch ermöglicht und erleichtert werde.

 

Kindern wurde nicht geglaubt, die Täter wurden so geschützt

3077 Kinder und Jugendliche seien laut Studie in Aachen sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen, 82 Prozent davon Jungen gewesen. „Ein Drittel der Betroffenen vertraute sich kurz danach einer dritten Person an“, berichtet Schiffers. „Aber im Durchschnitt mussten die Kinder sieben Mal zu jemandem gehen, bis etwas geschah. In einem Fall sogar 20 Mal. Ihnen wurde einfach nicht geglaubt.“ Licht ins Dunkel zu bringen, wer Täter war und wer die Taten wie vertuscht und somit die Täter geschützt hat, werde durch die heterogene Personalaktenführung in den Gemeinden erschwert. Die Frage ist nun: Wie geht man mit den Erkenntnissen aus der Studie und denen, die man im Zuge der Aufarbeitung noch gewinnen wird, um? Denn dass vermutlich noch mehr Fälle ans Licht kommen, ist wahrscheinlich. Und ebenso wahrscheinlich ist es, dass Geistliche, verstorbene wie noch lebende, diese Fälle vertuschten. Das würde bedeuten, dass auch die Verantwortung von Persönlichkeiten wie Bischof Hemmerle thematisiert würde.

Schulungen, Präventivkonzepte, Aufklärung von bekannt gewordenen Fällen: Das sind die drei wichtigsten und ersten Konsequenzen bei der Prävention von Missbrauch in der Kirche. Wichtig ist dabei, auch bei der Prävention die Opferperspektive zu berücksichtigen. Die hat Annett Pudlowsky vom Kinderschutzbund im Blick. „Unsere Erfahrung ist wirklich, dass sich Opfer gerne beteiligen wollen“, sagte sie. „Mittlerweile ist es so, dass Frauen kommen und fragen: ,Soll ich in so einer Schulung mal aus meiner Sicht berichten?’“ Aber auch bei den Strukturen lohnt es sich, die Opferperspektive einzunehmen. Dabei spielt nicht nur das Thema Macht eine Rolle. „Wichtig zu ergänzen, ist die Angst. Sie ist eine sehr gute Grundlage, um Kinder gefügig zu machen“, sagte Pudlowsky. Die Frage, was Kindern Angst mache, sollte in diesem Zusammenhang gestellt werden.

Und noch eine Forderung hat Pudlowsky an die Kirchenoberen: „Transportieren Sie auch Sprache! Ich erlebe in meiner Arbeit mit Opfern immer die Sprachlosigkeit, Dinge konkret zu benennen“, sagte sie. „Wir bewegen uns hier auch auch auf einem sehr abstraktem Niveau.“ Ein weiterer Punkt, der die Teilnehmer sehr bewegte, war die Verjährung der Straftaten durch das Vertuschen. „Wissen Sie eigentlich, was für ein Elend die Kirche über die Betroffenen gebracht hat?“, fragte Pudlowsky.

Diskussion zu den Missbrauchsfällen im Bistum Aachen

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