Über den Tod hinaus

Friedhöfe sind ein Spiegel der Gesellschaft in der Vielfalt des Lebens, Sterbens und Gedenkens

Wer den Bunten Garten in Mönchengladbach betritt, ahnt nicht, dass der beliebte Stadtpark zu einem Teil bis Anfang des 20. Jahrhunderts als Friedhof genutzt wurde. (c) Garnet Manecke
Wer den Bunten Garten in Mönchengladbach betritt, ahnt nicht, dass der beliebte Stadtpark zu einem Teil bis Anfang des 20. Jahrhunderts als Friedhof genutzt wurde.
Datum:
26. Okt. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 43/2021

Friedhöfe sind nicht nur ein Ort für die Toten, sondern auch für die Lebenden. Sie wurden 2020 als immaterielles Kulturerbe von der Unesco gewürdigt. Die Kirchen-
Zeitung stellt unterschiedliche Aspekte aus den Regionen des Bistum vor.

>> Ort der Begegnung

Das Programm am „Tag des Friedhofs“ in Eschweiler bot die Möglichkeit zur Begegnung (c) Pfarrei St. Peter und Paul Eschweiler
Das Programm am „Tag des Friedhofs“ in Eschweiler bot die Möglichkeit zur Begegnung

Auf Initiative von Pastoralreferentin Sr. Martina Kohler ging die Pfarrei St. Peter und Paul Eschweiler einen ganz neuen Weg, um als Kirche auf Menschen zuzugehen: Sie lud im September dieses Jahres regelmäßig ins Friedhofscafé auf dem Friedhof an der Dürener Straße ein. Der Pfadfinderstamm St. Bonifatius Dürwiß stellte ein Zelt zur Verfügung, und ehrenamtliche Helfer boten den Passanten Kaffee und Kuchen an. Das niederschwellige Angebot fand guten Anklang, wie aus der Pfarrei verlautete. Spaziergänger hielten sich gern auch für eine längere Zeit im Zelt auf und genossen die Gespräche über Gott und die Welt. 
Am Tag des Friedhofs wurde das Pilotprojekt im Hinblick auf die kürzer und kälter werdenden Tage mit einem abwechslungreichen Programm vorerst beendet. Unter anderem gab es eine Friedhofsführung und Filmvorführungen zum Thema „Tod und Sterben“ für groß und klein. Die aktuell gesammelten Erfahrungen sollen jetzt ausgewertet werden und könnten im Idealfall zu einem neuen Angebot eines Friedhofscafés im kommenden Jahr führen.  sl

>> Ort der Erinnerung

An die Opfer der Weltkriege erinnern 5083 Grabmäler auf dem Ehrenfriedhof der Stdt Aachen. (c) Andrea Thomas
An die Opfer der Weltkriege erinnern 5083 Grabmäler auf dem Ehrenfriedhof der Stdt Aachen.

Friedhöfe sind Erinnerungsorte, Ehrenfriedhöfe sind es noch einmal auf eine besondere Weise. Grabstein reiht sich hier an Grabstein. Schon die schiere Menge ist bedrückend. Jeder von ihnen erinnert an einen Menschen und sein Schicksal, alle gemeinsam an die sinnlose Vernichtung menschlichen Lebens durch Krieg und Gewalt.

Ein Ort, an dem das spürbar wird, ist der Ehrenfriedhof der Stadt Aachen, einem Teil des im Süden der Stadt gelegenen Waldfriedhofs. Hier sind 5083 Opfer des Ersten und Zweiten Weltkriegs bestattet. Ihre Gräber liegen fast schon idyllisch unter den Bäumen, zum Teil verwittert und von Moos überzogen, zum Teil noch mit Blumen und Lichtern geschmückt. Gegründet wurde der Friedhof, der eingebettet in den Aachener Stadtwald liegt, im 19. Jahrhundert ursprünglich als Cholerafriedhof. Im Jahr 1914, schon wenige Tage nach Beginn des Krieges, wurden hier dann die ersten Gefallenen beerdigt. 
Der Ehrenfriedhof, der bis 1917 mehrmals erweitert wurde, entstand. Neben deutschen fanden hier Soldaten aus 18 weiteren Nationen ihre letzte Ruhestätte. Beginnend mit November 1939 wurde der Friedhof erneut erweitert, für die Verstorbenen des nächsten großen Weltkriegs.

An seinem Ende waren es 2623 Kriegsopfer, deutsche und ausländische Soldaten und zivile Opfer, die vor allem bei den schweren Luftangriffen auf Aachen in den Jahren 1943 und 1944 ihr Leben verloren. In einem eigenen Gräberfeld wurden 1962 außerdem die Urnen von 52 Menschen beigesetzt, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden: politisch Verfolgte, Homosexuelle und Menschen mit Behinderung. Eine eigene Gedenktafel „Wege gegen das Vergessen“ erinnert an diese Verbrechen und die Sinnlosigkeit des Krieges.   ath

>> Ort für Kultur

Das Gramal der Familie Floh auf dem Krefelder Hauptfriedhof (alter Teil). (c) Kathrin Albrecht
Das Gramal der Familie Floh auf dem Krefelder Hauptfriedhof (alter Teil).

Friedhöfe sind auch Spiegel der Geschichte einer Stadt. Auf dem Krefelder Hauptfriedhof fallen sofort die markanten Grabmäler bedeutender Familien, Bürgerinnen und Bürger der Stadt Krefeld auf. 73 Ehrengrabstätten verwaltet die Stadt Krefeld, 54 dieser Ehrengrabstätten sind auf dem Hauptfriedhof zu finden, der durch die Heideckstraße in einen alten und einen neuen Teil geteilt ist. 24 Ehrengrabstätten erinnern auf dem alten Teil an Menschen, die sich durch soziales oder politisches Engagement um die Stadt verdient gemacht haben. Die Grabmäler sind auch Spiegel der verschiedenen kunsthistorischen Richtungen. Das Grab des Seidenfabrikanten und Wohltäters Cornelius de Greiff zeigt das Aufkommen der neugotischen Architektur Ende des 19. Jahrhunderts.

Eher bescheiden wirkt dagegen die Grabstätte der Familie Floh, durch Heirat übrigens mit der Familie de Greiff verbunden. Seidenfabrikant und Bürgermeister Gottschalk Floh und seine Enkelin Clara Floh, eine bedeutende Stifterin der Stadt, die in ihrem Testament den heutigen Stadtteil Bockum als Erben eingesetzt hatte, sind hier bestattet. Das Grabmal mit seiner schlichen Bronzeplatte, eingerahmt von zwei musizierenden Engeln, steht unter Denkmalschutz.  ka

>> Ort des Wandels

Was ist denn das? Mitten in der Blumenpracht fällt ein großes Grab auf. Hier liegt die Mäzenin Louise Gueury (1854–1900), der Mönchengladbach die Hardter-Wald-Klinik zu verdanken hat. Das Grab erinnert nicht nur an die edle Spenderin. Es weist auch auf die Vergangenheit der beliebten Parkanlage hin: bis 1927 wurde ein Teil als Friedhof genutzt. Noch heute finden sich unter Bäumen und in Beeten alte Grabsteine und Kreuze. Manche sind mit Moos bewachsen, einige stehen in Reih und Glied an der Mauer zur Beethovenstraße, und das eine oder andere entdeckt man überrascht, wenn man die 
Blüten an den Stauden bewundert. Den Wandel, den dieser Park durchgemacht hat, kann man heute auch an vielen anderen Friedhöfen beobachten.

Der Trend der Bestattungen in Grabeskirchen hat dazu geführt, dass auf Friedhöfen viele Flächen nicht mehr gebraucht werden. Diese werden nun nach und nach zu Parkanlagen umgestaltet. Auf diese Weise wird der Friedhof zu einem Ort, der den Trauernden Trost spendet, an dem das Leben stattfindet und gleichzeitig immer auch an das Ende erinnert wird. Der Bunte Garten in Mönchengladbach ist ein Beispiel dafür: Nur wenige Meter von den Grabsteinen pulsiert das beginnende Leben: Auf dem großen Spielplatz wird unbekümmert geschaukelt, geklettert und Sandkuchen „gebacken“. Auf der großen Wiese treffen sich im Sommer junge Menschen, ältere machen auf den Parkbänken eine Pause vom Alltag und genießen die ruhige Atmosphäre mitten in der Stadt. Das Leben geht weiter – auch nach dem Tod.  gam

>> Ort der Beerdigungsform

Im Nöthener Gotteswald wird nicht direkt unter den Bäumen, sondern an den Pfaden bestattet. (c) Günter Pichler/pixabay.com
Im Nöthener Gotteswald wird nicht direkt unter den Bäumen, sondern an den Pfaden bestattet.

Mit dem Segen des damaligen Bischofs Heinrich Mussinghoff wurde im Mai 2012 das erste kirchliche Urnengräberfeld im Bistum Aachen eingeweiht und eröffnet. Es befindet sich mitten im Nöthener Kirchenwald. Um pantheistischen Vorstellungen vom Weiterleben im Baum vorzubeugen, wird im Nöthener Gotteswald nicht direkt unter den Buchen und Eichen im elf Hektar großen Areal bestattet, sondern an Pfaden und Wegen zwischen den Bäumen. 
Anonyme Bestattungen sind nicht möglich, darüber hinaus ist jede Grabstätte mit einer Steinplatte oder einer Baumscheibe zu kennzeichnen, die den Namen des Verstorbenen trägt und ein Kreuz als Symbol der Auferstehung.

Die jeweiligen Gräber sind leicht zu finden: Die einzelnen Pfade tragen die Namen der Kirchenpatrone von umliegenden Dörfern, und die Nummern der Grabstellen bezeichnen die Entfernung des Grabes von einem bestimmte Messpunkt aus in Metern.

Auf dem kurzen Weg hinauf zum Gräberfeld fällt aller Alltagsstress von den 
Besuchern ab und sie können sich in Gedanken ganz dem Verstorbenen widmen, dessen Andenken sie ehren möchten. Das Ruhen in der Ursprünglichkeit der Schöpfung und die Entbindung der Angehörigen von jeglicher Grabpflege sind Anreize, sich hier bestatten zu lassen.   sl