Tragfähigere Bedingungen

Tagung im Nell-Breuning-Haus hat sich mit der Situation von Wanderarbeitern beschäftigt

Wie lässt sich die Situation von Wanderarbeitern verbessern? Das fragte eine Tagung im Nell-Breuning-Haus. (c) www.pixabay.com
Wie lässt sich die Situation von Wanderarbeitern verbessern? Das fragte eine Tagung im Nell-Breuning-Haus.
Datum:
19. März 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 12/2019 | Andrea Thomas
Sie arbeiten rund um die Uhr, was jedoch selten auch entsprechend bezahlt wird. Ihr Stundenlohn liegt daher oft bei nur vier bis fünf Euro.
Jüngst machten die Bedingungen in der Fleischindustrie in Deutschland Negativschlagzeilen. (c) www.pixabay.com
Jüngst machten die Bedingungen in der Fleischindustrie in Deutschland Negativschlagzeilen.

Sie haben kaum Rechte und wenn, können sie diese nur selten einfordern. Die Unterkünfte, die man ihnen zur Verfügung stellt, sind schlecht und überteuert. Wer krank wird, erhält keine vernünftige Betreuung. Alltag für Millionen Arbeitsmigranten in Europa, auch im So- zialstaat Deutschland. Im Rahmen einer europäischen Tagung haben sich im Herzogenrather Nell-Breuning-Haus Vertreter von Gewerkschaften und kirchlichen Initiativen zum Austausch über die Situation von Wanderarbeitern getroffen. Ziel war es, auf deren prekäre Situation und Ausbeutung aufmerksam zu machen, ihnen eine Stimme zu geben. Aber auch nach Lösungsansätzen zu suchen, wie sich menschenwürdigere Rahmenbedingungen für die Menschen schaffen lassen. Eine Aufgabe, die sich nur auf europäischer Ebene bewältigen lässt, weshalb Netzwerke knüpfen ein weiteres Anliegen der Tagung darstellte. Über allem standen die Begriffe „Arbeit“ und „Menschenwürde“, was das Bildungshaus, das sich dem verschrieben hat, zur perfekten Plattform machte. „Es geht um Menschen, nicht um Zahlen“, machte Maria Reina aus Portugal deutlich. Sie ist Mitglied im Vorstand des Europäischen Zentrums für Arbeitnehmerfragen (EZA), das die Tagung mitgefördert hat. „Alle Menschen haben die gleichen Rechte, weil sie auch die gleiche Würde haben“, betonte auch Hildegard Hagemann von Justitia et Pax.

Johannes Eschweiler, Betriebsseelsorger im Bistum Aachen, der sich unter anderem für „Live ins“ (ausländische Pflegekräfte in Privathaushalten) stark macht, erklärte: „Das Schlimmste ist, dass diese Menschen als Menschen zweiter Klasse in unserer christlich geprägten Gesellschaft angesehen werden.“ Die meisten Arbeitsmigranten oder Wanderarbeiter verlassen ihre Heimatländer aus Armutsgründen. Insbesondere in den Ländern Osteuropas reicht das Einkommen in vielen Branchen nicht für den Lebensunterhalt einer Familie. So lassen Wanderarbeiter diese denn hinter sich, um unter den zu Beginn skizzierten, ausbeuterischen und menschenverachtenden Bedingungen in der Fleischindustrie, großen Schlachthöfen, im Hotelgewerbe (hier insbesondere in Nobelhotels), in der Bauwirtschaft, in Privathaushalten zur Betreuung und Pflege alter und kranker Menschen oder als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft tätig zu werden. Getrieben von der Hoffnung, so der Familie in der Heimat ein besseres Leben zu bieten.

 

Als Europäer einheitlich bezahlt

In der Realität bedeutet das jedoch Kinder, die ohne ein, oft sogar beide Elternteile aufwachsen, und eine Wirtschaft, der Know-how und Arbeitskräfte verloren gehen. Die dringend notwendig wären für einen Aufschwung und damit Menschen nicht aus finanzieller Not sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse im Ausland eingehen müssen. In seinem Heimatland Bulgarien, berichtete Vesselin Mitov, sind in den vergangenen Jahren zwei von neun Millionen Einwohnern abgewandert. Nur wenige kämen zurück. Auch in Estland zöge es viele zum Arbeiten über die Grenze ins benachbarte Finnland, erzählte Eero Minkenberg. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gelinge es bei ihnen, die Bedingungen im eigenen Land so zu verbessern, dass viele Esten auch wieder zurückkehrten und ihre Erfahrungen aus der Arbeit in Finnland einbrächten. Auch Portugal kämpft nach der Krise von 2011 noch immer mit hoher Arbeitslosigkeit und der Abwanderung junger, gut qualifizierter Arbeitskräfte, berichtete Maria Reina. Gleichzeitig kämen Wanderarbeiter aus Osteuropa oder Ländern, die einst portugiesische Kolonien waren, die zu Niedrigstlöhnen arbeiteten. Mit Blick auf die Europawahlen im Mai betonten die Tagungsteilnehmer, es sei wichtig, dass ein Integrationsprozess gelinge, das Bewusstsein gestärkt werde, dass Menschen neben ihrer nationalen auch eine europäische Identität haben. Was auch bedeute, dass Menschen als Europäer einheitlich bezahlt und zu denselben Bedingungen beschäftigt werden müssten. „Die Betroffenen brauchen Zugang zu Informationen in ihrer Landessprache. Die Möglichkeit, ihre Rechte, zum Beispiel bei nicht gezahltem Lohn, vor Gericht geltend zu machen“, erklärte Justyna Oblacewicz, Referentin im Projekt „Faire Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Arbeitgeber müssten im Klagefall nachweisen, dass sie Lohn gezahlt haben, nicht umgekehrt. Bessere Rahmenbedingungen zu schaffen und für ihre Einhaltung zu sorgen, sei Aufgabe der Politik, aber nicht nur. Hier sind auch die Kirchen gefordert, die im Sinne der Selbstverpflichtung Anlaufstellen vor Ort sein sollten, wo Menschen in Notlagen Hilfestellung erhalten. Im Bistum Aachen gibt es dazu unter anderem das Selbsthilfenetzwerk „Respekt“ für die „Live ins“ sowie die Betriebsseelsorge und die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) als Ansprechpartner.

Der Klassiker: Wander- bzw. Saisonarbeiter lesen Wein, pflücken Obst oder stechen Spargel. (c) www.pixabay.com