Täterarbeit ist Opferschutz

Im Projekt „Gewaltlos stark“ arbeitet der SKM Aachen mit Tätern an der Vermeidung häuslicher Gewalt

Das Projekt
Das Projekt "Gewaltlos stark" hilft, andere Strategien zu finden.
Datum:
23. Juli 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 30/2019 | Andrea Thomas

Gewalt – egal, ob körperlich, sexuell oder psychisch – darf in einer Beziehung keine Lösung für Konflikte sein. Und doch ist sie Realität. 2017 waren laut Kriminalstatistik fast 140000 Menschen in Deutschland Opfer von Gewalt in der Partnerschaft. Die Täter sind zu 80 Prozent Männer. Die Zahl der nicht angezeigten Taten dürfte deutlich höher sein.

Eines der Bilder, mit denen Andrea Crombach immer wieder arbeitet, ist eine Ampel. (c) Andrea Thomas
Eines der Bilder, mit denen Andrea Crombach immer wieder arbeitet, ist eine Ampel.

In seinem vor zwei Jahren gestarteten Projekt „Gewaltlos stark“ konzentriert sich der Katholische Verein für Soziale Dienste (SKM) Aachen bewusst auf die Arbeit mit den Tätern. Denn „Täterarbeit ist immer auch Opferschutz“, wie Projektleiterin Andrea Crombach erklärt. Das Angebot besteht aus der Beratung und Begleitung von Tätern, der stärkeren Vernetzung von Täterarbeit und Opferschutz sowie Prävention. Es richtet sich an Männer, die Sorge haben, gegenüber ihrer (Ex-)Partnerin gewalttätig zu werden, die in der Vergangenheit bereits gewalttätig geworden sind und an Männer, die wegen häuslicher Gewalt gerichtliche Auflagen oder ein Kontaktverbot erhalten haben. Voraussetzung ist die Bereitschaft, das eigene Verhalten zu verändern.

 

Andrea Crombach

Weg von der Wand, um Raum zum Handeln zu gewinnen.

 

In Einzelberatungen versucht Andrea Crombach mit den Männern zu klären, in welchen Situationen sie gegenüber ihrer Partnerin gewalttätig werden, und alternative Strategien mit ihnen zu entwickeln, Konflikte zukünftig gewaltfrei zu lösen. Ihre erste Bilanz fällt positiv aus. Im vergangenen Jahr gab es 60 Beratungsanfragen sowie zehn Beratungen, die aus 2017 fortgeführt wurden. „Gut die Hälfte davon kam über die Polizei, die in Aachen zwei Mitarbeiter speziell für die Gefährderansprache in diesem Bereich hat“, erklärt Andrea Crombach. Da sei eine gute Zusammenarbeit entstanden. Erfreulich sei, dass sich inzwischen auch immer wieder Männer in Eigeninitiative an das Projekt wenden, die entweder über eigene Recherche oder Multiplikatoren darauf aufmerksam wurden. Im Mai konnte das Projekt zudem auf die komplette Städteregion Aachen ausgeweitet werden.

Auch sie selbst habe sich in den zwei Jahren weiterentwickelt, sagt Crombach: „Ich bin inhaltlich stärker im Thema drin, experimentiere inzwischen auch schon mal mit anderen Ansätzen wie Familienaufstellung oder einem Zeitstrahl. Wichtig ist, dass der Ansatz niedrigschwellig ist. Das Thema ist schon schwierig genug.“ Die Männer, die zu ihr kommen, fühlten sich „mit dem Rücken zur Wand“. „Davon versuche ich sie weg zu bekommen, damit sie wieder Handlungsspielraum gewinnen.“ Ein weiteres Bild, mit dem Crombach arbeitet, ist eine Ampel: In welcher Situation schaltet die von grün auf gelb? Was braucht der Mann, um für sich zu erkennen: Jetzt muss ich bremsen, bevor sie rot wird? Was muss er ändern, damit er nicht mehr gewalttätig wird?

 

Raum für ihre Sicht der Dinge

Das sei oft eine Frage der Wahrnehmung: „Ihm ist gar nicht bewusst, wie aufgeladen die Situation ist, wogegen sie schon Panik hat. Für ihn ist das noch kein Streit, für sie ist es kurz vor der Eskalation“, beschreibt sie das an einem Beispiel. Diese Männer kämen oft freiwillig, hätten einen Job, seien sozial abgesichert und sonst nicht weiter auffällig geworden. Hier gehe es darum, seine Perspektive zu verändern, Kommunikationsmuster in der Beziehung zu durchbrechen, die immer wieder zu verbaler oder körperlicher Gewalt führen. In anderen Lebensbereichen, zum Beispiel im Beruf, verfügen diese Männer oft nämlich durchaus über erfolgreiche Problemlösungsstrategien. Warum gelingt das also nicht auch hier?

Sie skizziert ein weiteres Beispiel: Er, Mitte/Ende 20, hat keinen festen Job und keine Ausbildung. Die Beziehung ist schwierig, es gibt ein Kind. Um Stress und Druck abzubauen, konsumiert er Drogen und Alkohol. Auslöser, in die Beratung zu kommen, ist der Wunsch, etwas zu verändern, damit das Kind eine andere Kindheit erlebt. Oft hat dieser Typ Mann selbst Gewalt in der Beziehung der Eltern erlebt, hat diese Lösungsstrategie aber dennoch für sich übernommen, weil er keine andere kennt. Hier sei wichtig zu schauen, wie sich die Situation insgesamt entschärfen lasse. Gelinge es, den Berg an Problemen ein Stück abzutragen, lasse sich auch oft ein erneuter Gewaltausbruch vermeiden.

Viele der Männer erlebten sich selbst als gescheitert und hätten ein Problem mit Selbstwert und Anerkennung. „Ihr Männerbild beruht darauf, Stärke und körperliche Überlegenheit zu demonstrieren“, beschreibt Andrea Crombach. In der Beratung macht sie deutlich, dass Gewalt in der Beziehung unter gar keinen Umständen akzeptabel ist, aber sie gibt den Männern einen Raum, in dem sie und ihre Sicht gehört werden. Sie arbeitet dabei mit ihrer Lebenswirklichkeit und dem, was sie selbst verändern können. Für Situationen, in denen sie in die bekannten Verhaltensmuster zu verfallen drohen, entwickelt sie mit ihnen Notfallpläne: eine Runde um den Block gehen, ein Symbol, das für sie „Stopp“ bedeutet. Auch die Frauen bleiben nicht außen vor. Sie werden informiert, wenn ihr Partner an dem Projekt teilnimmt, und erhalten die Möglichkeit, ihre Sicht zu schildern. Noch fehlt eine wissenschaftliche Auswertung, doch für Andrea Crombach ist das Projekt ein Erfolg: „Da, wo Entwicklung und Auseinandersetzung stattfindet, merken sie: Es geht auch anders.“