Sicher und systemrelevant

Warum gerade jetzt ein Freiwilligendienst eine gute Idee für junge Menschen ist, die die Schule verlassen

Ein Freiwilligendienst macht großen Sinn, noch einmal mehr in Zeiten von Corona. Dieser Überzeugung ist Gesa Zollinger, Geschäftsführerin der Freiwilligen Sozialen Dienste im Bistum  Aachen. (c) Thomas Hohenschue
Ein Freiwilligendienst macht großen Sinn, noch einmal mehr in Zeiten von Corona. Dieser Überzeugung ist Gesa Zollinger, Geschäftsführerin der Freiwilligen Sozialen Dienste im Bistum Aachen.
Datum:
2. Juni 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 23/2020

Die Coronakrise hat auch die jungen Generationen voll im Griff. Wer jetzt auf den schulischen Abschluss zugeht, hat mit vielen Fragen und Problemen zu kämpfen. Das bezieht sich auch auf die Zeit, die danach kommt. Mehr noch als vor Corona fällt den Jugendlichen und jungen Erwachsenen schwer, sich zu orientieren. Welche Weichen stellen für eine gute persönliche und berufliche Zukunft? Ein guter Weg, Antworten zu finden, kann ein Freiwilligendienst sein, sagt Gesa Zollinger. Im KiZ-Interview erläutert die Sozialarbeiterin, warum sie dieser Überzeugung ist.

Sie leiten die Freiwilligen Sozialen Dienste im Bistum Aachen. Wie wirkt sich die Coronakrise auf Ihre Arbeit aus?

Sehr unterschiedlich. Alle haben wir uns auf die Vorgaben zum Infektionsschutz eingestellt, im Büro ebenso wie im Umgang mit den Freiwilligen. Sicherheit geht überall vor. Zugleich kommen wir dem, was zu tun ist, verstärkt telefonisch und elektronisch nach. Das fällt uns oft nicht leicht, weil wir in unserem Umgang auf eine persönliche Ansprache und Begleitung großen Wert legen.

 

Wie sieht es denn für den aktuellen Jahrgang der Freiwilligen aus?

Ebenfalls sehr unterschiedlich. Die einen machen die Erfahrung, dass sie auch und gerade in der Krise sehr gebraucht werden. Ich denke da an die Freiwilligen in Altenheimen, Krankenhäusern oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. Die jungen Leute stellen eine große Entlastung in der besonderen Situation dar, die alle herausfordert. Sie selbst machen großartige Erfahrungen, dass ihre Arbeit sinnvoll und wichtig ist. Am anderen Ende der Skala stehen die Freiwilligen, die im Ausland Dienst gemacht haben. Sie mussten leider alle nach Hause geholt werden, sie mussten ihre Dienste abbrechen von jetzt auf gleich.  

 

Wie begleiten Sie nun die, die weiterhin im Inland im Einsatz sind?


Wir halten unser Angebot, die Freiwilligen bestmöglich in ihren Einsätzen zu begleiten, aufrecht. Räumlich haben wir uns in unserer Geschäftsstelle so sortiert, dass Gespräche ohne Infektionsgefahr stattfinden können. Aber ganz klar ist: Die allen Beteiligten so wichtigen Seminare, insbesondere die beliebten Kurswochen, fallen seit Mitte März aus. Wir überlegen, wie wir das unter den Bedingungen des Infektionsschutzes neu gestalten können. Aber hier geht es momentan den Freiwilligen wie anderen Menschen auch: Die Krise stellt Gewohntes, Geschätztes, Bewährtes auf den Kopf. Das tut uns leid, weil die Kurswochen eine wichtige Form sind, sich mit den Erfahrungen im Dienst auseinanderzusetzen und Gemeinschaft unter Gleichgesinnten zu pflegen. Aber in diesem Quartal ist leider alles anders. Den Abschluss des Freiwilligenjahres gestalten wir digital.

 

Die meisten Experten gehen davon aus, dass uns die gesundheitliche Herausforderung durch das Virus noch länger begleiten wird. Was bedeutet das für junge Leute, die jetzt die Schule abschließen?


Viele sind jetzt erstmal damit beschäftigt, endlich die letzten Prüfungen zu absolvieren, während sie auf der anderen Seite realisieren, dass ihnen reihenweise die Möglichkeiten wegbrechen. Wer weiß schon, wie sich die Wirtschaft weiterentwickelt? Wer weiß, was überhaupt in unserer Gesellschaft abgehen wird? Gerade jetzt kann es ein schlauer Zug sein, erstmal innezuhalten und sich einen Überblick zu verschaffen. Für ein solches Vorhaben ist ein Freiwilligendienst ideal. Er ist eine sinnvolle Alternative dazu, stillzustehen oder sich überstürzt in eine Notlösung zu flüchten. Außerdem ist er lebenslauf-freundlich.

 

Was bedeutet das? 


Ganz einfach: Ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Bundesfreiwilligendienst machen sich gut bei der Bewerbung. Ein Freiwilligendienst zeugt von Verantwortungsgefühl und der Bereitschaft, Wartezeiten sinnvoll zu nutzen, anstatt rumzuhängen. Diese Dienste bieten den jungen Menschen die Zeit, sich nach der Schule zu orientieren. Sie bieten ihnen die Gelegenheit, sich auszuprobieren und zu entdecken, welche Fähigkeiten und Talente neben den schulischen Kenntnissen in ihnen stecken. Auch lernen sie sich besser kennen und verstehen, welche Werte ihnen persönlich wichtig sind. Der Dienst fordert sie dazu heraus.  

 

Könnten dies nicht auch die viel zitierten Praktika in Betrieben leisten?


Das will ich nicht ausschließen, aber es fehlen dort mehrere wichtige Komponenten, die wir hingegen anbieten. Wir bereiten die künftigen Freiwilligen intensiv auf ihre Einsätze vor, und wir begleiten sie dabei. Wir achten bei der Zusammenarbeit mit den Einsatzstellen auf Qualität. Wir fühlen uns da in einer Mitverantwortung. Die jungen Menschen sollen bei ihrem Einsatz in einer Einrichtung einen guten Rahmen haben. Natürlich kommt es trotzdem zu besonderen Erfahrungen und Herausforderungen. Die erwarten jeden, der sich irgendwo neu betätigt und einfinden muss. Wir gewährleisten eine gute Begleitung, damit diese Situationen bewältigt und aufgearbeitet werden. Aus diesen Einsätzen mit ihrem Auf und Ab gehen Freiwillige in der Regel gestärkt heraus, sie haben Erfahrungen für ihr weiteres Leben gemacht. 

 

Welche Rolle spielt es, wo man als Freiwilliger eingesetzt ist?


Das ist ein ganz zentraler Punkt. Über den sprechen wir mit allen Interessenten intensiv, weil er so wichtig ist. Einsatz und Person müssen zueinander passen. Dann gelingt es. Wir schauen und hören ganz genau hin, was jemand will und mitbringt, und dann wird gemeinsam geguckt, was das Richtige sein kann. Manche haben sehr klare Vorstellungen, manche sind dankbar, wenn wir Hilfestellung bei der Suche leisten. Beides ist für uns in Ordnung. Wir unterstützen, wo Unterstützung erforderlich ist. Ansonsten sind viele junge Menschen schon ausgesprochen fit, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. 

 

Viele Branchen erwarten starke Einbrüche infolge der Coronakrise. Wie sieht es bei Ihren Einsatzstellen aus?


Hier ist das nicht in dem Ausmaß zu erwarten wie anderswo. Im Gegenteil: Die Krise hat den Blick dafür geschärft, dass auch das Gesundheits- und Sozialwesen wichtig für unsere Gesellschaft ist. Viele sprechen ja davon, dass nicht länger nur Banken und Autokonzerne als systemrelevant zu betrachten seien. Nein, auch das Gesundheits- und Sozialwesen gehört dazu. Ich denke, diese Einsicht wird die Krise überdauern.

 

Welche Botschaft haben Sie vor diesem Hintergrund an junge Menschen, die sich gerade orientieren?


Schaut einmal nach rechts und nach links, was für Euch in Frage kommt. Ein Freiwilligendienst ist ein Abenteuer, das mit einmaligen Erfahrungen lockt. Das kann Euch später niemand nehmen.

 

Das Gespräch führte Thomas Hohenschue.