Schicksalsorte

Viele Orte erinnern an die Verbrechen der Nazis und die Schicksale der Verfolgten. Das berührt auch heute noch Jugendliche.

Der „Spiess-Hof“ in Hetzerath: Von April 1941 bis März 1942 das Erkelenzer Ghetto. (c) Garnet Manecke
Der „Spiess-Hof“ in Hetzerath: Von April 1941 bis März 1942 das Erkelenzer Ghetto.
Datum:
7. Nov. 2025
Von:
Kathrin Albrecht

Es gibt Bilder aus der Zeit des Nationalsozialismus, die haben sich eingebrannt: Das Tor von Auschwitz zum Beispiel, durch das die Züge fuhren, um Frauen, Männer und Kinder jüdischen Glaubens in die Todesmaschinerie der Nationalsozialisten zu bringen. Oder das Warschauer Ghetto, das im Behördendeutsch „Jüdischer Wohnbezirk in Warschau“ hieß. 

In der Realität war es ein Sammellager für jüdische Menschen, bevor sie in die Konzentrationslager deportiert wurden. Sie waren in dem Ghetto eingesperrt und haben unter schlimmsten Verhältnissen gelebt, die von Hunger und Krankheiten geprägt waren. Über 350.000 Menschen lebten dort.

So groß war das Ghetto von Erkelenz bei weitem nicht, die Verhältnisse dort waren aber denen in Warschau ähnlich. Dem weißen Haus in Hetzerath sieht man das dunkelste Kapitel seiner Geschichte heute nicht an. Nur eine Tafel erinnert an die Geschehnisse an diesem Ort. Der Spiess-Hof, wie das Anwesen nach einer früheren Eigentümerfamilie auch genannt wird, ist Teil der Route gegen das Vergessen.

Ein Jahr lang lebten in diesem Haus alle jüdischen Bewohner des Kreises Erkelenz. 28 Frauen, Männer und Kinder mussten hier auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei im April 1941 einziehen, bevor sie im März 1942 in den Tod geschickt wurden. Sie durften keinen Kontakt zu den Dorfbewohnern haben. Lebensmittel bekamen sie über Lebensmittelkarten, die die Überbringer mit einem „J“ als Juden auswiesen. Das bedeutete, dass sie kleinere Mengen bekamen und die Karten nur in einem bestimmten Geschäft einlösen konnten. Um dorthin zu gehen, durften sie nur zu festgelegten Zeiten auf vorgeschriebenen Wegen gehen. Alles war auf maximale Schikane und Schwächung der Menschen ausgerichtet.

Die alte Synagoge in Gangelt ist erhalten geblieben. (c) Garnet Manecke
Die alte Synagoge in Gangelt ist erhalten geblieben.

Als Teil der „Route gegen das Vergessen“ ist das Haus in Hetzerath einer von zwölf Orten in Erkelenz, die stumme Zeugen dieser Zeit waren. Auch in anderen Städten und Dörfern findet man solche Orte heute noch. Die ehemalige Synagoge in Gangelt liegt versteckt hinter einem Wohnhaus. Sie ist noch erhalten, weil sie in der Nacht der Pogrome von den Nazis nicht angezündet wurde. Das lag nicht an der Einsicht der Gangelter, etwas Unrechtes zu tun, sondern an ihrer Lage: Das kleine rote Ziegelhaus steht in direkter Nachbarschaft zu anderen Gebäuden. Es wurde befürchtet, dass die Flammen darauf übergreifen könnten. So beschränkten sich die Nazis auf das Plündern und Zerstören der Einrichtung.

Sich an das Unrecht und die Verbrechen gegen sechs Millionen Menschen zu erinnern, ist wichtiger Teil der Prävention, um solche Entwicklungen in Zukunft zu verhindern. In vielen Städten erinnern Stolpersteine an die Menschen, die verschleppt, verjagt und ermordet wurden. Ihre Geschichten zu sammeln und weiterzuerzählen, hat sich Karl-Heinz Nieren zur Aufgabe gemacht. Seit 1970 recherchiert der heute 83-Jährige die Lebensgeschichten der Menschen, deren Namen auf den Stolpersteinen stehen.

In den vergangenen 55 Jahren hat er zu Überlebenden und deren Kindern und Enkeln sowie zu Nachkommen ermordeter Verfolgter intensive Kontakte und Freundschaften aufgebaut. Immer wieder stellt er für die Geilenkirchener Schulen Kontakte her, sodass die Betroffenen den Schülerinnen und Schülern über die Geschichte berichten können. „Es ist etwas ganz anderes, wenn Menschen vor einem sitzen, die die Verfolgung mitgemacht haben“, sagt Nieren. Das funktioniert auch, wenn die Nachkommen der Verfolgten den Jugendlichen, deren Eltern auch schon zur Nachkriegsgeneration gehören, über ihre Familiengeschichte und deren Einfluss auf ihr Leben berichten

Das Erinnern hat sich verändert. Als Nieren 1964 Abitur machte, wurde der Nationalsozialismus aus dem Geschichtsunterricht noch ausgeklammert. Die amerikanische Serie „Holocaust“, die 1979 in Deutschland ausgestrahlt wurde, brachte einen Wandel in der Erinnerungskultur. Zum ersten Mal wurde das Schicksal einer jüdischen Familie in bis dahin nicht gekannter Deutlichkeit als Spielfilm gezeigt. In den 1980er Jahren war dieser Teil der Geschichte ein Schwerpunkt im Unterricht.
Sich aktiv mit den Geschichten der Menschen auseinanderzusetzen, ist heute ein wesentlicher Teil des Geschichtsunterrichts. Das Interesse der Jugendlichen ist groß, stellt Pascal Cremer, Geschichtslehrer am St.-Ursula-Gymnasium in Geilenkirchen, immer wieder fest: „Bei kaum einem anderen Thema arbeiten die Schüler so engagiert mit.“