Raum für Gefühle

Kinder trauern anders und brauchen eine andere Trauerbegleitung

Trauer Nachricht (c) www.pixabay.com
Trauer Nachricht
Datum:
10. Juli 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 28/2018 | Andrea Thomas
Ein geliebter Mensch ist verstorben, ist von einem Moment auf den nächsten nicht mehr da. Was schon für Erwachsene schwer zu begreifen ist, trifft Kinder und Jugendliche auf ganz eigene Weise.
Das Team von „Diesseits“: Maria Pirch (r.), die Ehrenamtlichen und Lea. (c) Andrea Thomas
Das Team von „Diesseits“: Maria Pirch (r.), die Ehrenamtlichen und Lea.

In Aachen bietet die Pfarrei „Franziska von Aachen“ mit ihrem Trauerangebot „Diesseits“ seit acht Jahren eine Begleitung speziell für Kinder und Jugendliche an. In Alsdorf entsteht derzeit ein ökumenisches Angebot für diese Zielgruppe. Im Herbst startet ein erster Befähigungskurs für Ehrenamtliche.

Maria Pirch, Trauerbegleiterin und Gemeindereferentin in „Franziska von Aachen“, erinnert sich gut an das Erlebnis, das für sie ausschlaggebend war, 2010 gemeinsam mit einer Kollegin vom Malteser Hilfsdienst in Aachen ein spezielles Angebot für Kinder und Jugendliche zu schaffen. „Ich war als Notfallseelsorgerin zur Reanimation eines Jugendlichen gerufen worden, die wohl nicht gut ausgehen würde“, erzählt sie. Sie habe mit der Familie im Nebenzimmer gewartet und geredet, bis die Rettungskräfte die Todesnachricht überbrachten. Erst da habe sich eine junge Stimme zu Wort gemeldet, die Schwester des verstorbenen Jungen. „Die ganze Zeit bis dahin hatte sie sich unsichtbar gemacht.“ Keine Seltenheit bei einem Trauerfall in der Familie.

Wenn die Eltern um ein eigenes Elternteil, den Ehepartner oder ihr Kind trauern, fehlt oft der Raum für die Trauer der gleichfalls betroffenen Kinder und Jugendlichen. Sie ziehen sich zurück oder lassen ihre eigenen Gefühle nicht zu, weil sie glauben, die Eltern damit noch trauriger zu machen und in die Rolle des Tröstenden schlüpfen zu müssen. Dabei ist ihre Welt auch gerade in Schieflage geraten, können sie noch gar nicht begreifen, was das heißt, wenn Mama, Papa, Großeltern oder Geschwister nicht mehr da sind und nie wieder kommen. „Trauererfahrungen in der Kindheit und Jugend begleiten uns ein Leben lang, prägen, wie wir später mit Trauer umgehen“, sagt Beatrix Hillermann, die das Angebot für Alsdorf und den Nordkreis koordinieren wird. Die Trauerbegleiterin arbeitet seit 2016 als Pastoralreferentin in der GdG Alsdorf im Bereich Schulpastoral und Trauerbegleitung. Einer ihrer ersten Einsätze hier war die Begleitung eines Jungen, dessen Mutter verstorben war. Kinder und Jugendliche in einer solchen Situation nicht alleine zu lassen und Räume zu schaffen, in denen sie ihre Gefühle von Trauer über Schuld bis Wut bewältigen können, ist beiden ein Anliegen.

 

Junges Team plus Hund

Maria Pirch schafft diese Räume bei „Diesseits“, unterstützt von einem Team aus Ehrenamtlichen, unter anderem in einer geschlossenen Kindertrauergruppe, einer Sprechstunde für Jugendliche ab 14 Jahren und einer geschlossenen Trauergruppe 20plus für junge Erwachsene. Die Kindergruppe wird derzeit von Ines Weidenhaupt, Judith Plettenberg und ihrer Labradorhündin Lea sowie ab Herbst Ann-Kathrin Hüschen begleitet. Alle sind Anfang bis Mitte 20, die meisten Studierende. Das war Maria Pirch von Anfang an wichtig, auch junge Menschen einzubinden, die einen anderen Zugang zu den Kindern hätten, als jemand im Alter der Eltern oder ihres selbst. Seit dem Beginn mit dabei ist Judith Plettenberg. „Der Kontakt mit anderen Kindern in ähnlicher Situation ist ganz wichtig, damit sie merken, dass sie damit nicht alleine sind“, schildert sie ihre Erfahrung. Ebenso, dass auch Gefühle wie Wut und Schuld erlaubt sind. „Wir vermitteln: Daran ist nichts falsch, du darfst so fühlen.“ Über die acht Treffen hinweg spürten sie richtig, wie die Kinder auftauten, auch, weil sie hier nicht stark sein müssten. Ein besonderer „Eisbrecher“ ist dabei auch ihr fünf Jahre alter Labrador. Lea spüre auf eine ganz besondere Weise, wo und wann ein Kind eine Extra-Portion Trost benötige.

 

Feste Rituale innerhalb der Gruppe

„Viele Kinder sind am Anfang skeptisch, aber dann freuen sie sich doch schnell auf die Treffen‘“, erzählt Ines Weisenhaupt. Jedes Kind brauche einen individuellen Zugang. Einige wollten reden, bei anderen gehe das übers Spielen oder beim Basteln. Wichtig seien auch kleine Rituale, wie Maria Pirch erläutert: Das Entzünden eines Teelichts für den Verstorbenen an der Gruppenkerze und die Runden zu Beginn und zum Schluss, in denen die Kinder sagten, mit welchem Gefühl sie gekommen seien, mit welchem sie gingen. „Am Ende muss es besser sein als vorher. Eine wichtige Frage ist daher auch, was ich noch Schönes vor habe.“ Das Projekt „Diesseits“ setzt stark auf das studentische Umfeld in Aachen und regelmäßige Fortbildungen für die Ehrenamtlichen. Im Gegensatz dazu hat sich das Trauernetzwerk Alsdorf, bestehend aus Akteuren der katholischen und evangelischen Gemeinden sowie des Hospizdienstes der Aachener Caritasdienste, entschieden, Ehrenamtliche über einen Kurs im Vorfeld zu befähigen. Sie sollen dann, ähnlich wie die ambulanten Hospizbegleiter, bei Bedarf Kinder und Jugendliche in einer Trauersituation betreuen. Der erste Kurs beginnt im September und geht über acht Termine, freitags von 16 bis 21 Uhr und samstags von 9 bis 20 Uhr. Finanziert wird er über den Innovationsfonds des Bistums Aachen, über Spenden sowie einen Eigenanteil der Teilnehmer, den diese jedoch erstattet bekommen, wenn sie ein Jahr dabei sind. Voraussetzung sind Liebe zu Kindern und Jugendlichen, die Fähigkeit, wertschätzend Kontakt mit ihnen aufzubauen und sich auf sie einzulassen sowie die Bereitschaft, sich mit eigenen Trauererfahrungen auseinanderzusetzen.

„Wir möchten mit dem Projekt erreichen, dass trauernde Kinder und Jugendliche die Aufmerksamkeit bekommen, die sie brauchen“, unterstreicht Beatrix Hillermann. Als christliche Kirchen an der Seite derer sein, die trauern, „aber mit entsprechenden Fähigkeiten“. Einen nahen Menschen im Kinder- und Jugendalter zu verlieren, habe große Auswirkungen für ihre psychische Entwicklung. Ziel der Begleitungen sei daher, ihnen Hilfestellung zu geben: „Wie kann ich diese schwere Situation tragen, mit meinen eigenen Ressourcen?“ Die Einsätze der Ehrenamtlichen werden von Beatrix Hillermann vermittelt, die die Kindertrauerbegleiter auch in ihrer Arbeit stützen und begleiten wird. Denkbar sind Einzelbegleitungen, aber bei Bedarf auch die Entwicklung von Gruppenangeboten. Außerdem möchte das Trauernetzwerk Ansprechpartner sein für Erzieherinnen, Lehrerinnen, Jugendleiter und alle, die mit Kindern arbeiten und sie in solchen Situationen gut betreuen können möchten.

Informationen und Anmeldung zum Befähigungskurs in Alsdorf: Beatrix Hillermann, E-Mail: beatrix.hillermann@bistum-aachen.de, Tel. 0 24 04/6 79 67 52. Informationen zu „Diesseits“ unter  www.diesseits-aachen.de oder bei Maria Pirch, E-Mail: pirch@franziska- aachen.de, Tel. 02 41/41 31 02 26.

Das ökumenische Trägerteam um Koordinatorin Beatrix Hillermann (l.) des Alsdorfer Angebots. (c) Andrea Thomas