Pfingsten – viele Sprachen, eine Stimme

Das Pfingstwort von Domvikar Matthias Fritz

Pingstdarstellung in einem Glasfenster einer Kirche in Barcelona. (c) www.pixabay.com
Pingstdarstellung in einem Glasfenster einer Kirche in Barcelona.
Datum:
26. Mai 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 22/2020

Pfingsten ist für mich ein Wunder. Eines, das mich daran erinnert, dass es Gott immer um die Einmaligkeit, den Wert und die Würde jedes Lebens geht. Dafür eine Stimme zu sein in der Welt und der Gesellschaft, ist die eine Botschaft von Ostern in den vielen Sprachen von Pfingsten.

Genau das finde ich in der Bibel! Wenn ich es zeitlich schaffe, dann versuche ich in das Original der biblischen Sonntagstexte zu schauen. Immer mit dem Blick, ob es dort etwas zu entdecken gibt, das mir ungewohnt vorkommt oder das ich so noch nie gelesen oder gehört habe.  In der Apostelgeschichte vom Pfingstsonntag gab es wieder solch eine Stelle. In einer dem Griechischen sehr nahen Übersetzung heißt es: „Es waren aber zu Jerusalem dort wohnende Judaier, fromme Männer, von jedem Volk derer unter dem Himmel. Als aber entstand diese Stimme, zusammenkam die Menge …“ (Apg 2,5–6a).

Aus der Einheitsübersetzung bin ich es gewohnt, hier das Wort „Getöse“ zu lesen: „Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen …“ Getöse ist doch ein negatives Wort für Lärm oder ein lautes Geräusch. Die Bibel aber spricht hier von einer Stimme, die entsteht, die sich laut erhebt. Eine Stimme.

Heute erlebe ich nicht nur unsere Gesellschaft, auch unsere Kirche als eine Vielfalt an Stimmen und Sprachen.

Viele Menschen äußern sich laut und stumm zu dem was sie bewegt, zu ihren positiven oder auch negativen Gefühlen, darüber, was sie erfüllt oder ihnen Angst macht. Unsere Welt ist also erfüllt von einer Vielzahl an Sprachen, selbst durch die Stummen, aber können sie eine Stimme sein? Zurück zur Lesung: Erstaunt nehmen dort die Menschen wahr, dass die Apostel und alle Versammelten, die vom Heiligen Geist erfüllt werden, in unterschiedlichen Sprachen sprechen. Die Osterbotschaft und damit die Worte und das Handeln Jesu, der das Reich Gottes mitten unter den Menschen lebte, wird für alle verständlich. Jetzt sind die Menschen bereit, die wahre Größe Gottes zu entdecken. Darunter versteht man das Pfingstwunder.

Hinter den vielen Sprachen, die jetzt plötzlich gesprochen werden, stecken für mich viele unterschiedliche Menschen. Der Autor der Apostelgeschichte kann sehr genau beschreiben, wer dort alles versammelt ist: „Petrus und Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Simon, der Zelot, sowie Judas, der Sohn des Jakobus. Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern“ (Apg 1,13–14). 

Wieder ist von einer Vielfalt die Rede. Nicht nur von einer Vielfalt der Sprachen – es geht auch um eine Vielfalt von Menschen: Männer und Frauen, Freunde und Familienangehörige von Jesus, seine Mutter, die Brüder, die Jünger. Das klingt nach einer Gruppe, nach Einmütigkeit, nach Geschlossenheit. 

In der Ursprungsübersetzung der Apostelgeschichte wird von dieser einen Stimme gesprochen. Es ist eine Stimme in vielen Sprachen, wie auch eine Menge von Menschen mit vielen Geschichten versammelt ist und den Heiligen Geist geschenkt bekommt. 

Diese Entdeckung führt mich zu der Frage:

Welche Geschichten, Erfahrungen, Gefühle und Blickwinkel auf die Zeit mit  Jesus können die Versammelten erzählen?

Hat nicht jede und jeder von ihnen eine eigene Erfahrung mit Jesus gemacht? Seine Mutter: Sie war bei seinem ersten Werden in ihr dabei, hat seinen ersten Schrei gehört, den ersten Schritt beobachtet, seine Wissbegier und seine Weisheit erlebt.

Petrus: der forsche Fischer, der in seinem Übermut und in seiner Feigheit deutliche Worte von Jesus hören musste und trotzdem eine besondere Rolle unter seinen Freunden einnahm.

Johannes: Er ist der, von dem in den Evangelien gesagt wird, er sei der „Jünger, den Jesus liebte“. Johannes war Jesus wohl sehr nah und hatte eine ganz eigene Verbindung mit ihm.

Thomas: der Zweifler. Der Jünger, der den Finger in die Wunde legen will, der nicht glauben kann, ohne zu sehen, der fragt, was Jesus mit seiner Aussage „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) meint, der in Betanien fest entschlossen sagt: „Lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben!“ (Joh 11,16).

Unter den Frauen vermutlich Maria aus Magdala: Auch sie hat von Jesus Worte gehört, die ihr neue Orientierung im Leben gegeben haben. Nach Jesu Beisetzung sitzt sie vor dem Grab und kann es nicht begreifen: „Josef […] wälzte einen großen Stein vor den Eingang des Grabes und ging weg. Auch Maria aus Magdala und die andere Maria waren dort; sie saßen dem Grab gegenüber“ (Mt 27,59ff.). Sie darf die erste Zeugin der Auferstehung Jesu sein.

Sie alle sprechen am Pfingsttag durch den Heiligen Geist in unterschiedlichen Sprachen, aber nur mit einer Stimme.

Darin liegt für mich die besondere pfingstliche Entdeckung in der Apostelgeschichte in diesem Jahr. Denn diese Entdeckung weckt in mir eine Sehnsucht: Die Sehnsucht nach dem Vielen im Einen und nach dem Einen im Vielen.

Der Wert in einem jeden Menschen ist, von Pfingsten her gedacht, dass jede und jeder eine einmalige Geschichte zu erzählen hat. Können wir in dieser einmaligen Vielfalt an Lebensgeschichten aber eine gemeinsame Stimme finden? Vom Glauben her betrachtet ist diese Stimme für mich der Wert eines Menschen, wie Jesus von ihm erzählt und unter Taten deutlich gemacht hat. So wie es Maria, Petrus, Thomas, Maria aus Magdala und die vielen anderen Genannten und Ungenannten erlebt haben. Die Botschaft von Gottes Reich im Werden, schon da und noch nicht – das ist die eine Stimme, die zugleich anbricht und angebrochen ist unter uns Menschen.

Von der Welt her betrachtet ist diese Stimme ebenfalls für mich der Wert des Menschen, der Schöpfung, der Welt an sich.

So wie wir sie jeden Tag erfahren, in Frieden, Gerechtigkeit und Liebe. Die Stimme, die in kleinen und großen Worten und Taten laut und leise Menschen ein Gesicht und eine Würde schenkt und die ich Humanität nennen möchte.

Hat nicht jeder Mensch eine Sprache von der Würde des Lebens und der Menschen, die sich zu einer Stimme verbinden lässt mit den Sprachen der anderen Menschen? Ist nicht gerade diese Einmaligkeit meiner Sprache gefragt, damit wir Menschen mit einer Stimme für alle Menschen eintreten, die auch in diesen Tagen stumm und ohne Gerechtigkeit und Frieden ungehört bleiben?

Pfingsten – für mich ein Wunder. In der Erinnerung daran, dass es Gott immer um die Einmaligkeit, den Wert und die Würde jedes Lebens geht.

Der Autor ist Mitglied des Aachener  Domkapitels und Hochschulseelsorger in der Bischofs- und Universitätsstadt  Aachen.