Noch lange nicht Schluss

In Roetgen gibt es seit 2018, unterstützt von der Gemeinde St. Hubertus, eine Gruppe für (Vor-)Ruheständler

Ein neuer Lebensabschnitt, in dem noch viel Potenzial steckt und den es sinnvoll zu gestalten gilt. (c) www.pixabay.com
Ein neuer Lebensabschnitt, in dem noch viel Potenzial steckt und den es sinnvoll zu gestalten gilt.
Datum:
12. Nov. 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 46/2019 | Andrea Thomas

„Ruhestand“ – für die einen klingt das nach „Endlich raus aus der Job-Tretmühle“, vor anderen tut sich dagegen schon beim Gedanken daran ein schwarzes Loch auf. Was tun, damit der neue Lebensabschnitt gelingt? Zum Beispiel, sich mit anderen zusammentun, die auch kurz davor stehen oder gerade in Ruhestand gegangen sind.

Dank immer höherer Lebenserwartung liegen vor den meisten, die aus dem Arbeitsleben ausscheiden – mit Glück und guter Gesundheit – noch rund zwei Jahrzehnte, die sinnvoll gestaltet werden wollen. Was nicht so einfach ist, wenn das Alltagsleben bis dahin vor allem vom Beruf bestimmt wurde. Für viele beginnt die „Sinnsuche“ auch schon früher, wenn das Nest leer wird, weil die Kinder ausziehen.  Hier setzt „Zwar“ (Zwischen Arbeit und Ruhestand) an, eine 1979 entstandene Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen. Sie hilft, vor Ort Netzwerke aufzubauen, in denen sich junggebliebene Ältere gegenseitig unterstützen, ihren Lebensabend gut zu verbringen und zu gestalten. Damit sie weiterhin aktiv an der Gemeinschaft teilhaben und ihre Potenziale und Kompetenzen zu ihrem eigenen und dem Wohl der Gesellschaft einbringen können.

Dabei geht es nicht vorrangig um Freizeitgestaltung, sondern darum Identität, Selbstwertgefühl und Eigenverantwortung zu stärken.  In über 200 Zwar-Gruppen in rund 70 Kommunen in NRW sind Menschen ab 55 Jahren selbstorganisiert tätig. Unterstützt werden sie über die Zwar-Zentralstelle in Dortmund sowie über Träger vor Ort. Weil die Gruppen eben nicht nur gemeinsame Freizeitaktivitäten organisieren, sondern sich auch aktiv einbringen, wenn es um die Gestaltung ihres Lebensumfelds und die Frage „Wie will ich im Alter leben?“ geht, leistet Zwar auch ein wertvolles Stück Quartiersarbeit. Das macht die Initiative interessant für Kommunen, aber auch für Kirchengemeinden. So wie in Roetgen, wo vor einem guten Jahr eine Zwar-Gruppe gestartet ist unter Schirmherrschaft der Gemeinde Roetgen, der GdG Himmelsleiter und der Gemeinde St. Hubertus als Initiatoren und Kooperationspartner.

 

Steht Kirche gut zu Gesicht 

Wie leben Menschen? Wo brauchen sie in unterschiedlichen Alters- und Lebensphasen Unterstützung, damit das ein gutes Leben sein kann? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Margit Umbach, Referentin für Caritasarbeit in der GdG Himmelsleiter. Das sei Aufgabe von Caritas, sagt sie, Menschen zu stützen und zu begleiten. Darin, was sie brauchen und was ihnen gut tut. Zugleich sei es eine Chance für Kirche, noch einmal anders wahrgenommen zu werden: „Kirche, die sich nicht  zurückzieht, sondern ihre Ressourcen zur Verfügung stellt, auf Menschen zugeht, sie anspricht und mit ihnen an Themen arbeitet, die für sie wichtig sind.“ Für Umbach auch eine Form der Ermächtigung. Neben anderen Projekten hat sie daher auch die Gründung der Roetgener Zwar-Gruppe mit angestoßen und für das erste Jahr die Netzwerkbegleitung übernommen. Außerdem trifft sich die Gruppe regelmäßig im Pfarrheim von St. Hubertus. „Kirche hat diese Möglichkeiten, und es steht ihr gut zu Gesicht, sich da auch zu öffnen“, erklärt die Referentin.

Das kommt bei der Gruppe gut an, nicht zuletzt auch durch die Art, wie Margit Umbach sich hier persönlich einbringt. Sie hilft, unterstützt, ist bei Fragen aller Art ansprechbar und stellt ihre Erfahrungen der Gruppe zur Verfügung – „ohne jedes Mal mit dem Kreuz zu winken“, wie ein Gruppenmitglied mit einem Schmunzeln betont.  Zur Zwar-Gruppe Roetgen zählen inzwischen rund 50 Frauen und Männer über 55 Jahren. Sie sind kein Verein, Vorsitzende gibt es nicht. Alle sind gleichberechtigt, organisieren sich und ihr Miteinander selbst. Jeder bringt sich ein, wie er kann und will, und alle gemeinsam schauen, dass das Ganze lebt. Immer am ersten und dritten Montag eines Monats ab 18 Uhr ist Basistreffen im Pfarrheim St. Hubertus. Hier wird sich darüber ausgetauscht, was es Neues gibt in den Kleingruppen, die sich gebildet haben. Es werden Ideen entwickelt und neue Aktivitäten besprochen.  Hier trifft sich eine bunte Mischung aus ganz verschiedenen Menschen, die kurz vor ihrem Ruhestand stehen, ihn gerade oder schon vor einer Weile erreicht haben.

Sie eint, dass sie sich noch nicht zum „alten Eisen“ zählen und neue Kontakte suchen. „Ein Freundeskreis ist auch nicht immer verfügbar. Und hier in der großen Gruppe findet man immer jemand Gleichgesinnten, der Zeit und Lust hat“, beschreibt Bärbel Dohmen, was sie an der Gruppe mag. „Ich kenne jetzt 50 nette Leute mehr“, bestätigt Günter Radermacher. Positiv sei, dass es keinen Zwang gebe, meint Gitte May. „Man kann mitmachen bei dem, was zu einem passt oder einen interessiert, und wenn man nicht kann, dann ist das auch okay.“  Unter dem Dach von Zwar ist Raum für ganz unterschiedliche Interessen und Aktivitäten: tanzen, wandern, Gesellschaftsspiele, schönwetter-golfen, radfahren, gemeinsam kreativ werden, Brot  backen oder singen im Wohnzimmerchor. Eine Gruppe organisiert Fahrten zu kulturellen Veranstaltungen oder Museumsbesuchen, eine andere sammelt Ideen zum Thema „Wohnen im Alter“, das in ein konkretes Projekt führen soll.

 

Mehr als Freizeitgestaltung

Dabei guckt die Gruppe über den eigenen Tellerrand. Aus der Brotback-Gruppe heraus ist die Idee entstanden, ein Backhaus zu errichten, das  allen Bürgern zur Verfügung stehen soll, um alte Backtraditionen, aber auch die Kommunikation im Ort zu beleben. Eine weitere Idee ist, eine Art „Kulturbus“ zu organisieren, damit nicht jeder für sich alleine ins Konzert oder Theater fahren muss und auch die dabei sein können, die kein Auto haben oder nicht mehr gerne in die Stadt fahren. Der Gruppe geht um mehr als nur Freizeitgestaltung. Margit Umbach hat das Zitat eines Gruppenmitglieds dazu gut gefallen: „Zwar verschönert das Dorf von innen.“