Neues wachsen lassen

Sieben Frauen und zwei Männer gehen an den Start ihres pastoralen Dienstes mit Menschen im Bistum Aachen. Wie ist das in Zeiten von Corona?

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Datum:
11. Aug. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 33/2020 | Thomas Hohenschue

Seit Jahren bereiten sie sich auf diesen Moment vor, nun rückt er nahe: Sieben Frauen und zwei Männer werden am 28. August im Hohen Dom zu Aachen von Bischof Helmut Dieser für ihren Einsatz im pastoralen Dienst beauftragt. Im KiZ-Gespräch zeigen sie sich vor- und gestaltungsfreudig. Im heutigen Krisenszenario sehen sie große Chancen, die Kirche weiter zu entwickeln.

Gemeinsam sehen sie der bischöflichen Beauftragung am 28. August entgegen: die Frauen und Männer des Pastoralkurses 2017 mit denen, die sie auf dem Weg dahin begleitet haben. (c) Thomas Hohenschue
Gemeinsam sehen sie der bischöflichen Beauftragung am 28. August entgegen: die Frauen und Männer des Pastoralkurses 2017 mit denen, die sie auf dem Weg dahin begleitet haben.

Im Schlussspurt ihrer Assistenzzeit hat sich die Pandemie über ihren Alltag gelegt. Alle Frauen und Männer sind bereits seelsorglich aktiv gewesen, folgen ihrer inneren Berufung zum Dienst am Menschen an verschiedenen Orten der Kirche. Das ist auch so geblieben, als die Abstandsvorschriften, Hygieneregeln und die Einschränkungen öffentlicher Veranstaltungen kamen. Die Seelsorgerinnen und Seelsorger mussten sich umstellen, neue Wege finden, Beistand zu leisten, Begleiter zu sein, Gottes Zuversicht und frohe Botschaft weiterzutragen. Das Virus forderte es mit hoher Dringlichkeit ein.

Aber dran war dieser Wechsel, diese Veränderung, diese Weiterentwicklung ohnehin. Corona hat den Schleier weggerissen, sagt einer aus dem meinungsstarken und diskussionsfreudigen Kreis stellvertretend: „Jetzt müssen wir uns neu erfinden, was wir aber schon immer wollten. Nun gibt es keine Ausrede mehr dafür, es nicht zu tun.“ 
Ein anderer zieht eine Parallele zwischen dem, was uns der Infektionsschutz nahelegt, und der Situation der Kirche: „Die Kirche muss an die frische Luft, so wie es Papst Johannes XXIII. forderte und es uns das Zweite Vatikanische Konzil aufgegeben hat.“ Dabei sei klar, dass es nicht genüge, ein Fenster zu öffnen. „Kirche muss raus aus dem eigenen Mief, raus zu den Menschen.“ Und dazu zwinge die Corona-Krise regelrecht: zu den Menschen zu gehen, genau hinzuhören, was sie in ihrem Leben benötigten und was die Kirche dazu besteuern könne.

Ein kleiner Zwischenruf hinterfragt, ob man überall in der Diözese bereits an diesen Punkt gelangt ist in den letzten Monaten. Eine gelähmte Schockstarre sei das eine, das andere ein Aktionismus, der direkt die tieferen Reformbedarfe überdeckt habe. Den Digitalisierungsschub, den viele Pfarreien in den letzten Monaten erfahren haben, sehen und schätzen die Seelsorgerinnen und Seelsorger durchaus. Die Frage ist aber, ob in allen Fällen dabei auf das geschaut wurde, was die Weggemeinschaft mit den Menschen unter den heutigen Bedingungen erfordert. „Wir müssen die Menschen fragen: Was brauchst du, was ich dir tun kann?“ 


Was brauchen die Menschen heute?

Konkrete Eins-zu-eins-Seelsorge benötige es heute genauso wie vor der Corona-Krise. Vielleicht komme das Hochfahren des gemeindlichen Lebens seit Mai noch zu früh, weil man noch nicht genug auf den Grund dessen geschaut habe, woran die Kirche zurzeit in ihrem Auftrag leide. In der hektischen Betriebsamkeit, das auf neue Weise zu erhalten, was es bisher in den Gemeinden gab, sei vielleicht nicht in den Blick geraten, ob das überhaupt noch die richtige Antwort auf die Bedürfnisse und Fragen der Menschen sei. Die Krise zeige, was gut ist und was vermisst wird. Aber umgekehrt zeige sie auch, was nicht mehr lebt, was nicht gebraucht wird, was den Menschen gleichgültig ist.

Die sieben Frauen und zwei Männer, die sich am 28. August bischöflich beauftragen lassen, haben sich für die Feier ein Motto einfallen lassen, lange vor Corona. Es lautet: „Den Aufbruch wagen“. Ob das nicht in der jetzigen Situation etwas pathetisch klingt? Die künftigen Pastoral- und Gemeindereferenten sehen es genau umgekehrt – es passe nun noch besser in die Landschaft als vorher.

Denn die Krise sei eine Chance für sie, die sie nun neu anfangen, wie für alle Menschen und auch für die Kirche, Neues wachsen zu lassen. Das heiße, den Alltag zu sehen, das wertzuschätzen, was lebendiges Christsein ausmache, in aller Buntheit, für alle Generationen, in allen Formen von Frömmigkeit. Und zugleich zu sehen, was es Neues an pastoralen und liturgischen Initiativen gibt, und diesem Neuen eine Chance geben, zu entstehen und zu wachsen. In dieser Bestärkung von Menschen, die sich aufmachen und engagieren, sehen die Seelsorgerinnen und Seelsorger ihre Aufgabe.


Welchen Weg wählt die Kirche?

In den letzten Jahren seien sie aufgebrochen zu einer Form von Kirche, die sich weniger als Glaubenshüterin definiere als als Mitsuchende im Glauben, sagt eine. Mit dem Mut zu scheitern hätten sie einiges bei dieser Suche ausprobiert, einfach mal gemacht. Die Assistenzzeit hat die Frauen und Männer in ihrer Spurensuche und Experimentierfreude bestärkt, sie sind gespannt, wie das in den künftigen Einsatzstellen möglich sein wird. Das Leben ist nicht planbar, das wissen sie nicht erst seit Corona, und so bedeutet der Aufbruch auch ein Start ins Ungewisse. Dem sehen sie ins Gesicht.

Dass die Kirche nicht in bester Verfassung ist, sondern von der Gesellschaft insgesamt und von immer mehr Mitgliedern kritisch angefragt wird, damit setzen sie sich intensiv auseinander. Sie wolle ihren Dienst so ausüben, dass sie jeden Abend mit einem guten Gefühl in den Spiegel schauen könne, sagt eine. Sie sehen ihren künftigen Dienstgeber an einem Scheideweg. Geht es weiter mit einem als mittelalterlich empfundenen Kirchenverständnis, das den Klerikalismus ins Zentrum stelle, oder mit einem Kirchenverständnis, das die Würde und Mündigkeit betone, die jede Christin und jeder Christ durch die Taufe erhalte?

Sich darüber zu verständigen, im Synodalen Weg auf Bundesebene und im Bistumsprozess „Heute bei dir“, finden sie richtig und wichtig. Und sie wissen zugleich, dass es auf jeden einzelnen ankommt, sei es ein Haupt- oder Ehrenamtlicher, sei es als ganz normaler Gläubiger. Das führe weg vom Konsumchristentum, hin zu gelebtem Glauben im Alltag. 

Am regen Gedankenaustausch beteiligten sich die Gemeindeassistentinnen Esther Fothen, Sabine Heinrichs, Anna Jünger, Susanne Krüttgen, Antje Stevkov und Kerstin Müllers, die Pastoralassistentin Miriam Daxberger und die Pastoralassistenten Stefan Hermanns und Dominik Kraues sowie Pastoralreferent Franz-Josef Wolf.