Neues auf bewährten Wegen

St. Ursula wird zum Schuljahr 2021/22 koedukativ. Kein Bruch, sondern die Fortführung einer Tradition

Das Schulgebäude am Bergdriesch in ruhiger, aber innenstadtnaher Lage. (c) Andrea Thomas
Das Schulgebäude am Bergdriesch in ruhiger, aber innenstadtnaher Lage.
Datum:
8. Sep. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 37/2020 | Andrea Thomas

Das St.-Ursula-Gymnasium ist in Aachen und dem Umland eine Institution. Seit über 170 Jahren bieten die Ursulinen vom Kalvarienberg in Ahrweiler sowie seit 2014 als deren Nachfolgerin die Schulstiftung St. Ursula als Träger Mädchen eine gute und qualifizierte Schulausbildung bis zum Abitur. Vieles hat sich in dieser Zeit und mit der Zeit gewandelt. Feste Säulen waren dabei immer die Orientierung an den Werten der Ordensgründerin Angela Merici und die reine Mädchenbildung. Zum Schuljahr 2021/22 wird Letzteres sich nun ändern.

Mit den dann neuen Fünftklässlern öffnet sich die Schule für die Koedukation, können Mädchen und Jungen am Bergdriesch 32–36 ihre weiterführende Schullaufbahn beginnen. Nicht nur für die Schule selbst ein Einschnitt, auch für die Aachener Schullandschaft. St. Ursula, die zweitälteste Schule der Stadt, ist das letzte Gymnasium, das von der Monoedukation zur Koedukation wechselt. Wobei ein monoedukativer Schwerpunkt auch weiter bestehen bleiben wird in Form einer Mädchenklasse.

„Na endlich, Mädchenschule, das hatte sich doch längst überholt“, wird jetzt vielleicht so mancher denken. Anderen geht vielleicht gerade eher ein „Schade, jetzt folgt man auch da dem allgemeinen Trend“ durch den Kopf. Die Antwort auf die Frage „Warum?“ oder „Warum gerade jetzt?“, ist ein bisschen vielschichtiger. „Das ist das Ergebnis eines längeren Prozesses“, erklärt Schulleiter Patrick Biemans, der gleichzeitig im Vorstand der 2014 gegründeten Schulstiftung ist. 

Deren Kuratorium hat die Entscheidung – die es sich nicht leicht gemacht habe – vor einigen Wochen getroffen. Ausschlaggebend war dabei auch der Wunsch der Ursulinen, die noch mit zwei Schwestern in dem Gremien vertreten sind, dass die Schule zukunftsfähig bleibt und die Bildungstradition, basierend auf dem christlichen Menschenbild ihrer Ordensgründerin, die hier über die Jahre gewachsen ist, erhalten bleibt. Sie hätten sich eindeutig positioniert, wie Patrick Biemans und seine Stellvertreterin Monika Kallhoff unterstreichen: Die Mädchenbildung am St.-Ursula-Gymnasium hatte ihre Zeit. Die heutige Zeit fordert Neues von der Schule. Getreu eines Satzes von Angela Merici „Auf bewährten Wegen Neues wagen“.


Christliche Überzeugung und persönliches Engagement

Träger, Schulleitung und Kollegium seien nach wie vor von der Mädchenerziehung überzeugt, die sei nicht ihr Problem. Viele Eltern, die ihre Töchter auf die Schule schickten, fänden ihr Konzept und ihr schulisches Angebot gut „trotz Mädchenschule“. Doch Monoedukation sei nun einmal zunehmend eine Nische geworden, gegen die manche Familie Vorbehalte habe. Hinzu komme der Wunsch, die Töchter und Söhne auf die-selbe Schule schicken zu können. Und: Auch eine Schule braucht Planungssicherheit über einen längeren Zeitraum hinweg. 

Zuletzt hätten die Anmeldungszahlen geschwankt, wie Patrick Biemans erklärt. „Schulentwicklung geht über zehn Jahre hinweg. Daher ist uns wichtig, unsere Schülerzahlen abzusichern, um so unsere Qualität als christliches Gymnasium, die besondere, etwas andere Atmosphäre an unserer Schule und unser Ganztagskonzept für die Zukunft erhalten zu können.“ Die Schülerinnen entschieden sich sehr bewusst für sie als Schule, wenn sie ihre Schülerinnen und Lehrkräfte kennengelernt hätten. „Weil sie die Schule als einen Ort empfinden, wo sie sich wohlfühlen, wo es ein positives und respektvolles Miteinander gibt, man wertschätzend miteinander umgeht“, berichtet Monika Kallhoff.

Da könne man jetzt sagen „klar, Mädchen“, ergänzt Patrick Biemans. Doch das stimme so nicht, das sei vielmehr der allgemeine, wertschätzende Umgang miteinander, den alle hier lebten, das Ergebnis von christlicher Überzeugung und persönlichem Engagement in der Schulgemeinschaft. Im Leitbild des Trägers heißt es: „Auf den Menschen kommt es an! Im Mittelpunkt der Erziehungs und Bildungsarbeit am St.-Ursula-Gymnasium steht der Mensch als geliebtes Geschöpf Gottes, dessen Begabungen und Talente entfaltet werden mögen, so dass er verantwortlich mit anderen sich und die Welt gestalten kann.“

Daran wird sich auch zukünftig nichts ändern, ebensowenig wie an der gezielten Förderung jeder Schülerin, jedes Schülers. Die geschieht unter anderem über das Konzept des Ganztags „3 plus 2“. Montags, mittwochs und donnerstags geht der Unterricht bis 15.20 Uhr. Dienstags und freitags bis 13.05 Uhr. Für die Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 und 6, die keinen Förderbedarf haben, gibt es die Möglichkeit, freitags bereits um 12.20 Uhr nach Hause zu gehen. An den Dienstag- (freiwillig) und Donnerstagnachmittagen (verpflichtend) wählen die Schülerinnen und Schüler aus einer Vielzahl von Arbeitsgemeinschaften aus den Bereichen Sport, Kunst oder Musik. Neben dem Unterricht im Klassenverband wird in Lernzeiten selbstständig gearbeitet. Hausaufgaben im klassischen Sinne gibt es nicht mehr. Was für die häusliche Arbeit bleibt, sind Vokabellernen, Vorbereitung auf Referate und Klassenarbeiten. Ab Klasse 9 gibt es nach und nach auch Aufgaben, die zu Haus erledigt werden müssen. 


Gelegenheit zur Reflexion und Weiterentwicklung

Für Monika Kallhoff liegt in der Öffnung auch eine Chance, das Angebot für alle noch einmal neu zu überdenken, zu schauen, was ihnen als Schule wichtig und wertvoll ist und wie sich das auch zukünftig gut weiterführen lässt. „Schule ist in Bewegung und muss sich an den Gegebenheiten anpassen.“ Als Beispiel nennt sie neben dem Ganztag die Digitalisierung als wichtigen Bereich, der Schulen verändert und in dem sie sich weiterentwickeln müssen. So wurden die letzten Wochen auch dazu genutzt, sich intern auszutauschen und zu schauen, wie der Schulalltag künftig aussehen soll – von der Pausenhofgestaltung bis zum sozialen Miteinander.

Gerne hätten sie die Entscheidung, koedukativ zu werden, mit ihren Schülerinnen und den Eltern noch intensiver diskutiert, zum Beispiel in Schulversammlungen. Doch das sei wegen Corona ja nicht möglich gewesen. Natürlich habe es überraschte Reaktionen innerhalb des Lehrerkollegiums und auch der Eltern- und Schülerinnenschaft gegeben, berichten die beiden Schulleitungsverantwortlichen, aber im Großen und Ganzen seien die bislang sehr positiv gewesen. Alle gingen offen in die neue Zukunft.

Befürworter von Mädchenschulen argumentieren gern damit, dass Mädchen vor allem in den Mint-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) davon profitierten, ohne die Konkurrenz durch Jungen zu lernen. Da befürchtet Patrick Biemans, der selbst in diesen Fächern unterrichtet, auch zukünftig keine Benachteiligung. „Wir alle haben durch unsere überwiegend langjährige Erfahrung an dieser Schule eher noch einen ,Mädchenblick‘.“ Außerdem wird St. Ursula langsam in den „gemischten“ Schulbetrieb hineinwachsen. Quereinsteiger wird es nicht geben, sodass die Zahl der Schüler mit jedem neuen Jahrgang Fünftklässler langsam ansteigen wird. „Ich erwarte auch nicht, dass wir jetzt von Jungen überrannt werden, sondern tippe auf eine Verteilung ein Drittel Jungen zu zwei Drittel Mädchen“, sagt Patrick Biemans. Und für alle Eltern, die „nur Mädchen“ für ihre Töchter bevorzugen, wird es weiter die reine Mädchenklasse geben.

Das St.-Ursula-Gymnasium Aachen

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