Mutig gemeinsam gestalten

Wer am 6. und 7. November wählt, kann mitentscheiden, wie die Kirche am Ort ganz konkret aussieht

Das Gesicht von Kirche sind die Menschen vor Ort, meint Generalvikar Andreas Frick. (c) BIstum Aachen/Andreas Steindl
Das Gesicht von Kirche sind die Menschen vor Ort, meint Generalvikar Andreas Frick.
Datum:
2. Nov. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 44/2021

Jede Stimme zählt: Im Bistum Aachen werden am 6. und 7. November die Räte in den Gemeinschaften der Gemeinden sowie die Kirchenvorstände gewählt. Jede und jeder – mehr als 900000 Erwachsene und Jugendliche – können das Gemeindeleben vor Ort also entscheidend mitprägen und gestalten. Diese Chance gilt es zu nutzen: entweder indem das Wahlrecht genutzt wird oder aber sogar aktiv im GdG-Rat oder einem anderen Gremium mitgearbeitet wird. Warum das so wichtig ist, erklären Karl Weber, Vorsitzender des Diözesanrats der Katholiken, und Andreas Frick, Generalvikar des Bistums Aachen im Interview.

„Kirche lebt von unten“, unterstreicht Karl Weber, Vorsitzender des Diözesanrats der Katholiken. (c) Ute Haupts
„Kirche lebt von unten“, unterstreicht Karl Weber, Vorsitzender des Diözesanrats der Katholiken.

Was macht die Gremien vor Ort und damit auch die Wahl aus Ihrer Sicht wichtig?

Weber:  In den Gremien vor Ort wird oft beharrliche Arbeit geleistet. Dort arbeiten wirklich die Leute mit, die den „Laden am Laufen halten“. Das ist oftmals unspektakulär, zugleich aber auch eine ganz wichtige Funktion im Blick auf die Aufgaben, die anstehen.

Frick:  An kaum einer anderen Stelle wird Kirche so deutlich und spürbar im Leben der Menschen wie in den Pfarreien und Gemeinden. Das Gesicht von Kirche sind die Menschen vor Ort, die sich einsetzen für andere, die sich ehrenamtlich engagieren, die helfen, da sind und von ihrem Glauben erzählen. Wer sich in den Gremien engagiert, macht diesen Auftrag von Kirche lebendig. Die gewählten Vertreter in den GdG-Räten, Pfarrei- und Gemeinderäten haben die Chance, pastorale Räume aktiv mitzugestalten, sie lebendig und glaubwürdig zu gestalten und mitzuverantworten. Das wird in der Zukunft noch wichtiger werden.

 

Warum macht es Sinn, sich in der Kirche zu engagieren und vor allen Dingen an diesem Wochenende sein Stimmrecht zu nutzen?

Weber:  Derzeit trauen viele Christinnen und Christen der Kirche wenig Veränderung zu. Und das hemmt natürlich. Aber hadern hilft ja nicht, sondern nur wenn ich mich für eine Sache engagiere, kann ich sie verändern. Umso mehr sind Menschen mit einem großen Kämpferherz gefragt, die nicht nur nach oben schauen, sondern die unten das anpacken, was für die Menschen vor Ort notwendig ist. Und das kann auch im Bistum Aachen sehr unterschiedlich sein.

Frick:  Die Wahlen zu den Gremien sind eines der Herzstücke und ein wichtiges Beteiligungsthema. Die Beteiligung vieler Menschen, Frauen, Männer, Gläubige, wollen wir ja gerade stärken. Das zeigt sich doch auch im synodalen Gesprächs- und Veränderungsprozess „Heute bei dir“, der so offen ist wie kaum ein anderer Bistumsprozess in Deutschland.

 

Ganz konkret: Wie gestalten GdG-Räte, Pfarrei-Räte und auch Kirchenvorstände das kirchliche Leben vor Ort?

Weber:  Grundlegende Fragen der Pastoral und die Vermögensverwaltung sind die Kernaufgaben. Die Erfahrung im Blick auf die konkrete Situation ist: Die Umsetzung sieht in jeder GdG anders aus, weil die Situationen oftmals sehr unterschiedlich sind. Es ist halt ein Unterschied, ob man in einer dörflichen Struktur mit einem gewachsenen Vereinsleben tätig ist oder ob es eine Großstadt ist.

Frick:  Es gibt einen Auftrag von Jesus selbst zu Gebet, Verkündigung und vielfältiger und konkreter Nächstenliebe. Deshalb muss jede Pfarrei, jede Gemeinde sehr konkret schauen: Was wird vor Ort besonders gebraucht? Das pastorale Konzept, die inhaltliche Ausgestaltung dazu wird in Aachen anders aussehen als etwa in der Eifel oder Krefeld. Um dieses passend zu gestalten, braucht es die Engagierten, die ihre Ideen, Vorstellungen und ihre Expertise verantwortlich einbringen in die entsprechenden Gremien.

 

Mancherorts fehlt es allerdings an Kandidatinnen und Kandidaten: Wie lassen sich die Menschen für die Arbeit in den Gremien motivieren?

Frick:  Das sind zunächst einmal Realitäten, die wir anerkennen müssen. Aber wir können nicht erwarten, dass die anderen Menschen sich verändern, viele wollen sich und wir alle müssen uns verändern, müssen spürbar näher bei den Menschen sein. Das wird auch mit schmerzhaften Abschieden von altbekannten Dingen einhergehen, aber diese Veränderung ist nötig, und wir hoffen, dass viele Gläubige sie mitgehen und mitgestalten.

Weber:  Die Wahl ist ja sehr stark auf die Gottesdienstgemeinde fixiert. Und die nimmt seit Jahren ab. Allerdings spielt sich Gemeinde auch anderswo ab, im Kindergarten, im Altenheim, im Jugendtreff, in vielen Verbänden. Wenn es gelingt, hier Menschen für die Mitarbeit zu gewinnen, wäre das ein großer Schritt. Und eines darf man auch nicht vergessen: Hauptamtliche, damit meine ich nicht nur Pfarrer, können ehrenamtliches Engagement zulassen, aber sie können es auch verhindern.

 

Wir haben den „Heute bei dir“-Prozess bereits angesprochen. Mit Blick darauf dürfte die nächste Legislaturperiode sehr spannend werden. Ist das eine besondere Herausforderung?

Weber:  Das kann man heute noch gar nicht sagen, das hängt von den Ergebnissen ab. Mein Eindruck ist, dass viele Leute vor Ort gar nicht mehr durchblicken, welcher Prozess gerade wann wo wie läuft. Allerdings reagieren sehr viele Menschen empfindlich auf planerische Zugriffe von oben. Die Menschen heute wollen nicht mehr „gehört werden“, oder Vorgegebenes umsetzen, sondern mitgestalten, temporär und auf Zeit. Für den Erfolg des „Heute bei Dir“-Prozesses ist ein wichtiger Gradmesser, ob es gelingt, für ein solches Engagement Voraussetzungen zu schaffen. 

 

Der Synodalkreis, der derzeit über die Roadmaps berät, ist aus diesem Grund ja sehr heterogen zusammengesetzt.

Weber:  Ja, das ist ein ermutigendes Zeichen für mich, dass im Synodalkreis Vertreterinnen und Vertreter der Gremien in die Beratungen über die Ergebnisse des „Heute bei dir“-Prozesses einbezogen wurden. Das ist immer noch weit von einem demokratischen Verständnis von Synodalität entfernt, das wir als Diözesanrat vertreten. Aber es ist ein erster Schritt zu mehr Beteiligung.
Im Übrigen halte ich es für ein Missverständnis, dafür die Verantwortung ausschließlich „oben“ zu suchen. Es braucht Christinnen und Christen, die selbstbewusst und selbstkritisch zugleich Verantwortung übernehmen, ohne immer gleich zu fragen, was der Bischof oder Pfarrer vor Ort dazu sagt. 

 

Und gerade für die anstehenden Veränderungen braucht es doch bestimmt Menschen mit unterschiedlichen Expertisen und Charismen?

Frick:  Wir brauchen für die anstehenden Veränderungsprozesse die Erfahrung derjenigen, die sich bereits in den Gremien engagieren, aber auch neue Menschen, die Mut haben, mit uns in die Zukunft zu starten und diese mit uns gemeinsam zu gestalten. In der nächsten Phase des Prozesses ab dem Frühjahr 2022 werden die Ergebnisse aus den Basis-AGs aufgrund der laufenden Beratungen und Entscheidungen umgesetzt. Den Mitgliedern der gewählten Gremien kommt bei der Umsetzung eine entscheidende Rolle zu. Sie können die nächsten Schritte aktiv begleiten und gestalten. 

 

Im Sinne des Subsidiaritäsprinzips können die Gremien in der Gemeinde sehr viel entscheiden. Wie können sie die bevorstehenden Veränderungen gestalten?

Weber:  Da braucht es ein klares Bekenntnis: Kirche lebt von unten, von der Präsenz vor Ort. So sicher ist das Subsidiaritätsprinzip nämlich gar nicht. Tendenzen, möglichst große Verwaltungseinheiten einzurichten, sind hier und da ebenfalls spürbar. Aber solange es funktionierende Einheiten vor Ort gibt, warum sollte man sie dann zerschlagen? Da gibt es viel Kreativität, Kenntnisse, zum Teil langjähriges Engagement. Dann gehört auch die Entscheidung über grundlegende Fragen der Pastoral und über die finanziellen Ressourcen in die Hände vor Ort.

Frick:  Die Kirche lebt aus der Taufe und Eucharistie, aus dem Wort Gottes und den vielen Anlässen konkreter Nächstenliebe, aus gemeinsamer Vernetzung und persönlicher Verantwortung. Es geht hier ganz klar um Mitverantwortung und die große Möglichkeit, diese auch wahrzunehmen. Wir haben uns im Bistum Aachen Ende 2017 auf den Weg gemacht mit unserem „Heute bei dir“-Prozess, an dem sich bisher tausende Menschen beteiligt haben. 2019 ist der Synodale Weg von Deutscher Bischofskonferenz und Zentralkomitee der Deutschen Katholiken gestartet. Nun hat auch Papst Franziskus mit der Bischofssynode 2023 einen synodalen Weg für die gesamte Weltkirche ausgerufen. 

 

Die Kirche ist also deutlich auf dem Weg der Veränderung?

Frick:  Ja, aber das geht nur gemeinsam, wenn eben viele Menschen sich einbringen – sei es als engagiertes Mitglied in einem der Gremien oder eben zumindest, wenn sie von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen.

 

Wir erleben aber auch, dass sich viele abwenden. Was muss passieren, damit die Kirche wieder näher bei den Menschen ist?

Weber:  Mut macht mündig – unter diesem Motto haben wir 2019 unsere Positionen vorgelegt, in der wir ein neues Verständnis von Kirche fordern, eine Kirche, die auf dem Engagement von vielen beruht, und die dafür auch die entsprechenden Strukturen der Beteiligung schafft. Gewaltenteilung ist dafür eine wichtige Voraussetzung. Etwas Grundsätzliches finde ich darüber hinaus wichtig: Kirche kann man nicht machen. Sie wächst dort, wo Menschen aus dem Evangelium ihr Leben gestalten. Kirche hat heute keine Deutungshoheit mehr über Haltungen und Einstellungen. Es geht nicht darum, Kirche näher zu den Menschen zu bringen. Es geht darum, dass Christinnen und Christen ihr Zusammensein so gestalten, dass darin die Menschenfreundlichkeit Gottes für sie und andere zum Ausdruck kommt.

Frick:  Die Roadmaps liegen vor und werden derzeit im Synodalkreis beraten. Die Basis-AGs haben sehr wichtige Beiträge geleistet. Das macht Mut für die weiteren Beratungen und die Umsetzung. Ein Punkt, der in den Roadmaps oft genannt wird, hat mit der Haltung zu tun, mit der wir als Kirche auf die Menschen zugehen. Gerade in den Gremien – sei es im Pfarreirat oder im Kirchenvorstand – vollzieht sich Kirche an der Basis. Deswegen ist es so wichtig, dass viele Menschen sich einbringen und ihre Stimme nutzen.

 

Was wünschen Sie sich für die anstehenden Wahlen?

Weber:  Eine möglichst hohe Wahlbeteiligung, viele interessante Kandidaten und Menschen, die mit ihrer Aufstellung bezeugen, dass ihnen Glaube und gesellschaftliches Engagement heute wichtig sind. Denn: Kirche lebt von unten: Gehen Sie zu Wahl!

Frick:  Dass viele Menschen mit ihrer Stimme die Zukunft der Kirche im Bistum Aachen aktiv mitgestalten. Nutzen Sie Ihre Chance, wir brauchen Sie!

 

Das Gespräch führte Anja Klingbeil.

Weil es unsere Kirche ist

Der Rat der Gemeinschaft der Gemeinden (GdG-Rat) wird im Bistum Aachen zum dritten Mal gewählt. Er ist das oberste beschlussfassende Organ für die pastoralen Aufgaben in den 71 GdG des Bistums. In ihm arbeiten Priester und Laien, haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter zusammen mit dem Ziel, die vielfältigen Aufgaben der Gemeinschaft in Zeiten des Um- und Aufbruchs zu gestalten. Neben dem GdG-Rat können in den Pfarreien und Gemeinden zudem Pfarrei- und Gemeinderäte gewählt werden. Die Kirchenvorstände verwalten das Vermögen der Gemeinde.