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Gunter Demnig verlegt sogenannte Stolpersteine in Krefeld. (c) Marienschule Krefeld
Gunter Demnig verlegt sogenannte Stolpersteine in Krefeld.
Datum:
21. Okt. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 43/2020 | Kerstin Joswowitz

Seit Beginn des Schuljahres trafen sich die Schülerinnen und Schüler der Arbeitgemeinschaft (AG) „Stolpersteine“ der Krefelder Marienschule wächentlich, begleitet von ihren Lehrkräften Chantal Bernard und Simone Wiesner, und erforschten die Geschichte der Familien Glauberg und Kanthal. Diese wurden von den Nationalsozialisten auseinandergerissen, deportiert und in den Jahren 1942/43 vernichtet. Den beiden Familien sind am Ostwall 263–265, ihrem letzten nachgewiesenen Wohnort, zwei sogenannte Stolpersteine gewidmet worden.

Am Ostwall  263–265 lebten die Familien Glauberg und Kanthal. (c) Marienschule Krefeld
Am Ostwall 263–265 lebten die Familien Glauberg und Kanthal.

In der AG recherchierten die Jugendlichen die Biografien der Familien, entwickelten Plakate, um ihrer zu gedenken, besuchten die „Villa Merländer“, um die regionale Geschichte der Judenverfolgung und -vernichtung kennenzulernen und gestalteten das Rahmenprogramm für die „Stolperstein“-Verlegung. Auch mit dem Begründer des „Jahrhundertprojekts“, Gunter Demnig, setzten sich die Schülerinnen und Schüler auseinander und diskutieren auch die Haltung kritischer Stimmen zum Projekt.Im Zuge dessen sind tolle Ergebnisse entstanden, die im Flurbereich der Schule veröffentlicht sind.


Die Verlegung – Ablauf und Eindrücke

„Ich bin irgendwie aufgeregt gewesen“, sagt Vanessa Hoang, Schülerin der Q1. Von der Schule aus hatten sich die Gymnasiasten auf den Weg zum Ort „ihrer“ zukünftigen Steine gemacht. Dort trafen sie auf die Stifterin der Steine Andrea Bette – eine ungeplante, aber sehr eindrucksvolle Begegnung. Andrea Bette, früher selbst einmal Marienschülerin, erzählte: „Meine Mutter und Rosa Glauberg waren befreundet, ein kleines Geschenk – ein Porzellandöschen – von Rosa zeugt davon. Meine Mutter vermachte mir das Döschen mit den Worten, sehr darauf aufzupassen, es sei schließlich die letzte Erinnerung.“ Andrea Bette kämpfte mit den Tränen, während die Jugendlichen ihr gebannt zuhörten. Dann kam auch schon Gunter Demnig, und die Verlegung konnte beginnen. Mit einem selbstgeschriebenen Gedicht eröffnete Jan Claßen eindrucksvoll die Verlegung – und dann ging alles sehr schnell: Mit geübtem Handgriff verlegte Gunter Demnig die Steine von Rosa Glauberg und Karolina Kanthal, begleitet von Vorträgen, die einen Einblick in das Leben der Frauen und ihrer Familien gaben.

„Die ,Stolperstein‘-Verlegung war ein bewegender Moment. Auch war es berührend, dass am Ende der Verlegung alle noch einmal zur Ruhe gekommen sind, um Rosa Glaubergs und Karolina Kan-thals zu gedenken“, erklärte Lisa nach der Verlegung. Dies bestätigen auch Julius, Johanna, Paulina und Paula.

Projektleiterin Simone Wiesner zeigte sich dankbar gegenüber Sandra Franz von der NS-Dokumentationsstelle „Villa Merländer“, die die Kooperation mit diesem Projekt möglich gemacht hatte und die ihrerseits das Engagement der Marienschüler sehr lobte. 
Für die kommenden Wochen plant die AG nun die Erstellung eines digitalen 
Bi-Parcours zum Thema „Erinnerungskultur“, der als Unterrichtsmaterial von Schülern für Schüler fungieren und folgenden Schülergenerationen Einblick in das Projekt und das Anliegen ermöglichen soll. Auch für das Jahr 2021 gewann die NS-Dokumentationsstelle Gunter Demnig für die Verlegung von drei Steinen für die Familie Servos in Krefeld . Die Gestaltung darf wieder in einer AG „Stolpersteine“ durch Marienschüler erfolgen.

 

Das Gedicht von Jan Claßen, Q1

Ein Name

Ein Name auf einem Stein,
mehr ist es nicht,
so denkt man,
doch trügt der Schein.
Hinter jedem Namen liegt ein Leben,
so kurz es auch gewesen,
hinter jedem stecken Geschichten,
nur geraubt von grauenvollen Wichten.
Geraubt von solchen Wesen,
erlaubt mir meine Thesen,
für die das Wort grausam untertrieben
und zurückgeblieben
treffend ist.
Für eben solche,
für die selbst das Wort Mensch ein Euphemismus ist,
so niederträchtig war ihre Arglist.
Denn ist es nicht das Gewissen,
das uns von den Tieren trennt?
Macht sie ihr Unwissen über Gut und Böse somit nicht zu eben diesen?
Und dennoch stehen wir nun vor einem Problem:
Vor einem Namen auf einem Stein,
Namen wie es sie zu Tausenden, nein, Millionen gibt,
von denen nichts mehr übrig blieb als eben dieser Name.
Kein Lachen, kein Weinen, keine Tat, kein Wort,
ein Name, wie er steht eben dort.