Mit Sorgen alleingelassen

Der regionale Katholikenrat Kempen-Viersen schaut auf die Situation von Jugendlichen in und nach Corona

(c) Kathrin Albrecht
Datum:
2. Mai 2023
Von:
Kathrin Albrecht

Corona – drei Jahre nach Ausbruch der Pandemie wirkt das Wort eher wie ein Schreckgespenst vergangener Tage. Fast alle Einschränkungen zum Schutz vor Ansteckung sind weggefallen. Doch die Pandemie hat Spuren hinterlassen. Am deutlichsten sichtbar bei Kindern und Jugendlichen. Sie haben gelitten – das belegt auch der Sozialbericht 2023 des regionalen Katholikenrats Kempen-Viersen, der die Situation von Jugendlichen im Übergang Schule–Beruf in und nach der Coronazeit untersucht. 

Das Ergebnis ist erschreckend, wie Gabi Terhorst, Vorsitzende des regionalen Katholikenrates unterstreicht. Die Schließung von Schulen und Freizeiteinrichtungen, das Fehlen von sozialen Kontakten haben zu einer großen psychischen Belastung geführt. Doch diese Zunahme stößt in eine therapeutische Versorgungslücke. Es fehlt an allem, an Therapeuten, an Erziehungs- und Lehrkräften, als Sozialarbeiterinnen, an seelsorgendem Personal. „Es brennt“, fasst Terhorst die Situation zusammen. 

Für den Sozialbericht steuerten neben Gabi Terhorst als Lehrkraft am Förderzentrum West in Dülken auch Liz Flor, Schulsozialarbeiterin in der Gemeinde Niederkrüchten, und Sophie Denner, die in der Pandemie an der Janusz-Korczak-Realschule (Standort Niederkrüchten) ihren Abschluss machte, vieles bei. Daneben kamen Eltern, Vertreterinnen und Vertreter der Jugendzentren, Schulen, Beratungsstellen, Jugendämter, der Politik und die Jugendlichen selbst zu Wort. In den Schulen der Region, dem Förderzentrum West (Standort Dülken) sowie dem Rhein-Maas-Berufskolleg wurden insgesamt 106 Schülerinnen und Schüler befragt. Das sei zwar kein repräsentatives Ergebnis, gebe aber ein gutes Stimmungsbild, erläutert Liz Flor.

Vor allem die Einsamkeit und Perspektivlosigkeit machten und machen vielen Jugendlichen zu schaffen. Die 17-jährige Sophie Denner kann dies aus eigener Anschauung unterstreichen. „Ich habe dabei noch Glück gehabt. Ich hatte einen guten Rückhalt in meiner Familie. Auch das Kontakthalten zu meiner besten Freundin war kein Problem“, erzählt sie. Die Rückkehr in den Klassenverband und zu erleben, „dass es nicht bei allen so war, war ein Schock“.

Viele Kontakte seien über die Sozialen Medien aufrecht erhalten worden. „Es wurde sehr viel einfacher, soziale Beziehungen (zumindest im Netz) zu pflegen, aber ist das wirklich so gut?“, fragt sie in ihrem Erfahrungsbericht. Es fehlten echte Beziehungen. Sophie Denner berichtet, dass das vielen jetzt schwerfalle. Die Klassengemeinschaft sei auseinandergebrochen: „Wir sitzen nebeneinander, aber das war es dann auch.“

Auch die Kirche muss ihren Beitrag leisten, um Jugendlichen zu helfen

„Wir haben hier verschiedene Generationen von Kindern und Jugendlichen, bei denen vieles einfach gestrichen wurde, die Abschlussfeier, das erste Verlieben. Gerade in der Vorpubertät definieren sich viele junge Menschen über ihre Peer-Gruppe. Das ist unwiederbringlich weg“, sagt Gabi Terhorst, die als Lehrerin am Förderzentrum West tätig ist.

Kinder, die während der Coronazeit eingeschult wurden, hatten damit zu kämpfen, dass entscheidende Phasen wie Lese-Kompetenz oder Aussprache zu Hause mit den Eltern (wenn möglich) oder per Videokonferenz stattgefunden haben. „Das sind Probleme, die ploppen jetzt auf und werden uns noch lange beschäftigen“, ist sie sicher.

Auch das Gefühl, nicht an für sie wichtigen Entscheidungen teilhaben zu können, habe die Jugendlichen belastet. „Es wurde über unsere Köpfe hinweg entschieden“, ist oft in den Umfragen zu lesen. Das Gefühl, dass die Erwachsenen nicht wissen, was zu tun ist, habe viel Urvertrauen zerstört, auch in den aktuellen Krisen, sagt Gabi Terhorst.

Der Katholikenrat fordert als Fazit eine massive Verbesserung von Präventiv- und Akutversorgung in der therapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und neben der Grundsicherung auch die Beibehaltung des Bildungs- und Teilhabepaketes. Als Auftrag an die Kirche fordert er  den Ausbau der Schulseelsorge. „Mit ihrer Option für die Schwachen, dem Ansatz zum bewussten Leben und dem Auftrag, die Schöpfung zu bewahren, kann Kirche auch Stimme junger Menschen sein“, heißt es dort. 

Der Sozialbericht ist unter www.katholisch-in-kempen-viersen.de abrufbar.