Lösung gesucht

Das Ende der Discount-Pflege mit osteuropäischen Kräften naht

Wie kann die Pflege der Angehörigen sozial und finanzierbar geleistet werden? . (c) www.pixabay.com
Wie kann die Pflege der Angehörigen sozial und finanzierbar geleistet werden? .
Datum:
7. Juli 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 27/2021 | Garnet Manecke

Mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts kommen auf Familien, die pflegebedürftige Angehörige haben, große Probleme zu. Denn die häusliche Pflege durch eine ost-europäische Kraft ist nicht mehr so billig zu haben. Ab jetzt müssen die deutschen Standards von Arbeitszeit, -sicherheit und Sozialversicherungen sowie der geltende Mindestlohn angesetzt werden. Sonst machen sich die Familien strafbar.

Wer jemals einen Menschen zu Hause gepflegt hat, weiß, wie arbeits-, zeit- und kraftintensiv das ist. Bei einer dementen Pflegeperson ist meist eine 24-Stunden-Bereitschaft erforderlich. Nach geltenden Arbeitszeitgesetzen müssen pro Tag schon mal drei Pflegekräfte eingesetzt werden –  jeweils für eine Acht-Stunden-Schicht. Weil jede Kraft ein Recht auf mindestens einen freien Tag hat, muss noch eine vierte Person bereitstehen, die auch maximal acht Stunden pro Tag arbeitet.

Rechnen wir kurz aus: Vier Pflegekräfte à acht Stunden für sieben Tage die Woche: Das sind 224 Stunden pro Woche. Beim gesetzlichen Mindestlohn von 9,50 Euro/Stunde müssen also 2128 Euro pro Woche an die Kräfte ausgezahlt werden. Dazu kommen die Lohnnebenkosten von etwa 50 Prozent, also nochmal 1064 Euro. Das sind 3192 Euro pro Woche, pro Monat sind das im Schnitt 13 832 Euro.

Eine osteuropäische Pflegekraft bekommt derzeit in der Regel 1200 bis maximal 1500 Euro pro Monat. Dafür steht sie oft sieben Tage die Woche 24 Stunden zur Verfügung. Man muss kein Mathematikgenie sein, um auf den ersten Blick zu sehen, dass solche Arbeitsverhältnisse ausbeuterisch sind. Das benennt auch das Selbsthilfenetzwerk „Respekt“ in der Region Heinsberg so. Das Netzwerk wird getragen vom Verein Amos in Heinsberg-Oberbruch, von der Betriebsseelsorge im Generalvikariat des Bistums Aachen und der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB). Unterstützt wird es von den DGB-Gewerkschaften. Alle sind sich einig: So geht es nicht. Das Urteil sei dringend erforderlich gewesen, sagt Johannes Eschweiler von Amos. Bisher seien die illegalen Arbeitsverhältnisse von der Politik toleriert worden. „Aber jetzt müssen auf Bundesebene gesetzliche Regelungen geschaffen werden.“

Die Kritik an den häuslichen Arbeitsverhältnissen, bei denen die Pflegekräfte häufig nicht mal krankenversichert sind, ist schon lange laut. Allein auf die betroffenen Familien zu schimpfen, davor warnt Rosi Becker. Zusammen mit Sonja Hanrath betreut und berät sie rund 120 solcher Pflegekräfte, meist Frauen, in der Region Heinsberg. „Die Familien befinden sich in einer Notsituation und suchen oft unter Zeitdruck eine gute und bezahlbare Pflege für ihre Angehörigen“, sagt Becker.

Um die Pflege zu Hause nun bezahlbar zu machen, müsse sie grundsätzlich reformiert werden, sagt DGB-Gewerkschafts-sekretärin Ann-Katrin Steibert. „Die Arbeitsverträge sind weit weg von allen Tarifregelungen und Legalität“, betont sie und rät den Pflegekräften, zu klagen. „Das Urteil führt dazu, dass wir uns stärker darüber Gedanken machen müssen, wie wir Pflege, auch die 24-Stunden-Pflege, in den nächsten Jahrzehnten gestalten wollen.“ Bis es eine Lösung gibt, sind die betroffenen Familien und die Pflegekräfte auf sich selbst gestellt.