Leben im Auge eines Sturms

Sr. María Angélica Cadena PIJ aus Aachen hängt seit Februar in Peru fest. Sie erkrankte selbst an Covid-19

Nach sechs Wochen sitzt Sr. María Angélica wieder tatkräftig im Büro. (c) privat
Nach sechs Wochen sitzt Sr. María Angélica wieder tatkräftig im Büro.
Datum:
30. Juni 2020
Von:
Kathrin Albrecht

Die ersten Schlagzeilen aus China: für die Menschen in Peru ein Geschehen aus einer anderen Welt. Weit, weit weg blieb das Coronavirus auch noch, als es in Norditalien und Spanien wütete. Doch plötzlich kam die Pandemie an, unzählige Menschen erkrankten, litten, starben. Mittendrin, im Amazonasgebiet: Sr. María Angélica Cadena aus Aachen, Generalassistentin der Schwestern vom armen Kinde Jesus. Sie hängt in Iquitos fest und machte selbst eine recht schwere Covid-19-Erkrankung durch.

Der Plan war soweit klar gewesen. In einem kirchlichen Internat in der Stadt werden Kinder aus umliegenden Flussdörfern beschult. Die Leitung der Einrichtung soll in die Hände einer anderen Kongregation übergeben werden. Sr. María Angélica reiste Mitte Februar von Aachen nach Peru, um die nötigen Formalia zu regeln und die Schwestern, die übernahmen, in die fundamentalen Dinge etwa der Buchhaltung einzuführen. Sechs Wochen sollten reichen. Soweit der Plan.

Die exponentielle Ausbreitung des Virus über den ganzen Globus machte allen Beteiligten einen Strich durch die Rechnung. Das Virus kam Anfang März bereits über Rückkehrer aus Europa in Iquitos an. Peru erließ relativ rasch Schutzvorschriften, konnte sich an den Beispielen etwa aus Deutschland orientieren. Aber die Lebensverhältnisse in Armenvierteln, beengtes Wohnen, nur begrenzt fließendes Wasser, trugen nicht dazu bei, dass das Virus eingedämmt wurde. Es fehlte ziemlich rasch an allem, was man brauchte: an Medikamenten, an Krankenhausplätzen, an Beatmungsgeräten. Viele Menschen starben, weil sie nicht angemessen versorgt werden konnten.

Sr. María Angélica bekam von all dem zunächst wenig mit. Das hat mit der vergleichsweise privilegierten Lage zu tun, in der sie sich vor Ort befand. Das Internat liegt etwas am Rand der Stadt, ein Fluss und eine Militärstation grenzen an, die Anlage ist großzügig, gut geschützt. Schöne Grünanlagen, Sportfläche, ein Garten mit Früchten und Papageien. Eine Idylle. So mochte die in Kolumbien geborene Aachenerin gar nicht glauben, was sie über Medienberichte mitbekam: dass Iquitos ein Zentrum der Pandemie in Peru ist. Ein Telefonat mit dem Apostolischen Administrator allerdings legte offen, dass die Berichte nicht übertrieben waren. Es war alles wahr.

Über das Internet hielt die Generalassistentin Kontakt mit Niederlassungen ihrer Ordensgemeinschaft überall auf der Welt. Eine Zeit lang machte sie sich mehr Sorgen um Mitschwestern anderswo als um sich selbst und ihre zwei Mitschwestern in Iquitos. Im Auge des Sturms, der um sie wütete, blieb trotzdem nichts wie vorher. Auch hier änderte sich der Alltag, etwa in der Arbeit mit den Kindern. Unterricht über Fernsehen, soziale Distanzierung, Hygienemaßnahmen – die Mühen eines neuen Schulbetriebs kennen auch die Peruaner und haben es, so sagt Sr. María Angélica, gut gemeistert. 
Nur an eines war kaum zu denken: die geordnete Übergabe. Dafür mangelte es an Gelegenheit. Die Grenzen waren ohnehin dicht, Ein- und Ausreise verboten. Und sowieso verschwendet die Generalassistentin keinen Gedanken an Rückreise, bevor sie nicht ihre Aufgabe erledigt hat. 


Wenn die Kräfte völlig schwinden 

So privilegiert die Situation der Einrichtung ist, so wenig verhinderte sie, dass das Virus in ihre Mauern eindrang. Vermutlich ein Tag zum Einkaufen war die Situation, in der eine Infektion erfolgte. Neben einer gesundheitlich vorbelasteten Mitschwester erwischte es auch Sr. María Angélica selbst. Es ging alles ganz schnell: Am 5. Mai bekam sie Husten. Rasch legte sich ein beklemmendes Druckgefühl auf ihren Hals. Dieses sollte ihr ständiger Begleiter sein über einen ganzen Monat hinweg. Binnen weniger Tage verließen die Schwester die Kräfte. Schlafen war das, was ihr blieb. Ihr Kreislauf ging in den Keller. In einer Nacht war es so schlimm, dass sie dachte, dass sie nun das Gesicht Gottes sehen würde. Aber auch diese Nacht ging vorüber.

Im Vertrauen auf Gott und ihr gutes Immunsystem harrte sie aus, bis sie endlich einen Priester aufsuchen konnte, der ärztlich ausgebildet ist. Die Bestätigung, dass es Covid-19 war, was sie in die Knie zwang, folgte auf dem Fuß. Und auch Medikamente ließen sich organisieren, was alles andere als selbstverständlich war. So viele Geschäftemacher und Wucherer hatten bereits die Not der Bevölkerung ausgenutzt. Aber über Beziehungen der Kirche ging es. Die Medikamente halfen: Es wurde nicht noch schlimmer. Aber die Kräfte waren weiter weg. So richtig kehrten sie erst sechs Wochen später zurück. Die einzige Verbindung zur Außenwelt waren in dieser schweren Zeit das Fenster, durch das Schwester María Angélica vom Bett aus in den Garten schauen konnte, und das Internet. Weiter sorgte sie sich eher um andere als sich selbst, um die Mitschwester, die gefährdet war, um die belgischen Mitschwestern, die in einem Altenheim völlig isoliert lebten.


Als erstes den Aachener Dom sehen

Jetzt lässt sich allmählich wieder an das denken, wozu sie vor mehr als vier Monaten nach Peru gereist war. Sie sitzt wieder im Büro, regelt die Angelegenheiten, weist ein. Die Aufgabe muss getan sein. Wann genau der internationale Reiseverkehr wieder aufgenommen wird, weiß verlässlich niemand, vielleicht im Juli, vielleicht auch erst im August. Sobald die Schwester in Aachen ankommt, schaut sie sich gleich den Dom an, wie das ist mit dem leergeräumten Oktogon. Und dann wartet eventuell die nächste Aufgabe: mithelfen, ein Generalkapitel im Herbst zu organisieren. Mal sehen, was geht.