Jeder, wie er ist

Städteregion und CBW füllen den Begriff „Inklusion“ mit Leben

Im gleichen Rhythmus: Trommeln verbindet und macht Spaß, egal ob mit oder ohne Handicap. (c) Niclas Rimek
Im gleichen Rhythmus: Trommeln verbindet und macht Spaß, egal ob mit oder ohne Handicap.
Datum:
8. Okt. 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 41/2019 | Andrea Thomas

Inklusion ist in aller Munde. Menschen sollen nicht wegen eines Handicaps (körperlich, geistig, seelisch oder sozial) ausgegrenzt werden, sondern teilhaben an Bildung, Arbeit, gesellschaftlichem und kulturellem Leben. Das klingt gut. Doch um zu sehen, wie Inklusion in der Praxis funktionieren kann, muss man manchmal statt zu reden einfach mal machen. 

 So dachte sich das auch der Inklusionsbeirat der Städteregion Aachen, der gemeinsam mit der Caritas Betriebs- und Werkstätten GmbH (CBW) und Schulen und Institutionen als Kooperationspartnern, ein Projekt gestartet hat, um  Menschen mit und ohne Handicap zusammenzubringen. Seit Januar haben  Beschäftigte der CBW und Schüler aus der Städteregion in fünf kreativen Workshops die Freude an Musik, Tanz, Gesang, Kunst und Theater geteilt.

In der Realschule Alsdorf gab es einen Chor-Workshop und im Städtischen Gymnasium Würselen einen zu Trommeln und anderen Percussion-Instrumenten. Die Alsdorfer Ballett- und Gymnastikschule „Harlekin“ bot einen Kurs für Tanzbegeisterte an. Das Hörgeschädigten-Zentrum Aachen gab Einblicke in die Gebärdensprache und darin, wie man mit Gebärden Theater spielt. Künstler Armand Naebers führte in verschiedene Materialien und Werkzeuge in dem Gebit der gestalterischen Kunst ein.  Über sechs Monate hinweg trafen sich die insgesamt 150 Teilnehmer – im Schnitt einmal in der Woche – vor Ort in den jeweiligen Einrichtungen. Dabei war gar nicht immer so ganz klar, wer denn nun ein „Handicap“ mitbrachte. Da trafen beim gemeinsamen Tun „blutige Anfänger“ auf „Naturtalente“ oder „alte Hasen“ und nicht Menschen mit auf Menschen ohne Behinderung.

 

Karin Schmitt-Promny

Es gibt noch viel zu lernen, aber wir lernen gemeinsam.

 

Gemeinsam wurde Neues gelernt und ausprobiert, über Dinge, die nicht auf Anhieb gelangen, gelacht und sich über die erreichten Erfolge gefreut.  Ein Gewinn sowohl für die Beschäftigten der CBW-Werkstätten als auch für die Schüler. Darin waren sich die Verantwortlichen einig. „Für unsere Leute war das eine gute Möglichkeit, auch mal aus den Einrichtungen raus zu kommen“, erklärt Fredi Gärtner, Leiter des Sozialen Dienstes und des Fachbereichs Berufliche Bildung bei der CBW. Für die Jugendlichen sei es die Möglichkeit gewesen, Menschen mit Behinderung ganz persönlich und direkt kennenzulernen – und dazu ein mögliches Berufsfeld. „Einige können sich jetzt vorstellen, später etwas im sozialen Bereich zu machen.“

Im Miteinander seien Vorbehalte verlorengegangen, ergänzt Michael Doersch, Geschäftsführer der CBW: „Beide Seiten konnten teilhaben, ohne zu irgendwelchen Kompromissen gezwungen zu sein.“ Als positiv bewerten beide, dass sich über Projekte wie dieses auch das Bild der Werkstätten wandele. „Viele haben falsche Vorstellungen davon, was Werkstätten sind und wie sie arbeiten“, sagt Michael Doersch. Da fehle es noch viel an Wissen.

 

Sommerakademie als Abschluss mit Präsentationen und Workshops

Auch für Bettina Herlitzius, Leiterin des Bereichs Inklusion bei der Städteregion, und Karin Schmitt-Promny, Vorsitzende des Inklusionsbeirates, ist das Projekt ein Erfolg auf ganzer Linie. Menschen seien sich in anderen Zusammenhängen begegnet. „Das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Teilhabe, aber es gibt noch viel zu lernen“, erklärt Karin Schmitt-Promny. Das Schöne sei, sie lernten gemeinsam. Eine Erfahrung, die die Organisatoren und Teilnehmer mit anderen teilen wollten.

Den Abschluss der Workshop-Phase bildete daher im Juni ein gemeinsames Abschlussfest, die „Sommerakademie“, auf dem Gelände der Würselener CBW-Werkstatt. Die Teilnehmer stellten auf der Bühne ihren Familien, Freunden und Interessierten die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse vor. Die Besucher hatten außerdem die Möglichkeit, im Rahmen von kleinen Workshops am Tag selbst eigene Erfahrungen zu machen: zu Samba-Rhythmen zu trommeln, im Chor alte und neue Songs zu singen, Gebärdenvokabeln zu erlernen und eine kleine Theaterszene „ohne Stimme“ zu entwickeln, beim Tanzen Lebensfreude und Wir-Gefühl zu erleben oder eine Figur aus Wachs für ein gemeinsames Kunstwerk zu modellieren. 

Das sei ein großer Spaß gewesen und es seien viele gute Kontakte und sogar Freundschaften entstanden, fasst Kerstin Konzer, die Vorsitzende des Gesamtwerkstattrates, die gemeinsam mit Karin Schmitt-Promny und Fredi Gärtner durch den Tag geführt hatte, zusammen. Für die Vorsitzende des Inklusionsbeirats war es die gelungene Kombination aus den Workshops in den Schulen und Einrichtungen und dem Abschluss in Form der „Sommerakademie“, die das Projekt ausgemacht habe. Das soll keine einmalige Angelegenheit bleiben und im kommenden Jahr in anderer Form fortgesetzt werden. Bei der Vorstellung eines über das Projekt entstandenen kurzen Films skizzierten die Verantwortlichen erste Ideen.

Es gäbe noch so viel, was sie voneinander und miteinander lernen könnten und müssten, damit Inklusion alltäglich und mit Leben gefüllt werde. So soll zum Beispiel der nächste Film mit einer Audiobeschreibung für Menschen mit Sehbehinderung versehen werden. Die hatte diesmal noch gefehlt, was zu freundlicher Kritik der Betroffenen geführt hatte. Der Plan ist, 2020 in die Eifel zu gehen, um nach dem Norden beim nächsten Mal den Süden der Städteregion und dortige Schulen und Einrichtungen stärker einzubinden. Auch soll das Projekt dann in etwas kleinerem Rahmen, dafür aber kompakter stattfinden. Anstelle von Workshops über ein halbes Jahr hinweg ist an eine Aktion über mehrere Tage in einer Jugendherberge gedacht. So sollen die Teilnehmer neben Workshopangeboten dann auch ein Stück Alltag mit gemeinsamen Mahlzeiten und individuell zu gestaltender Freizeit miteinander verbringen können.