Ist die Lücke zu füllen?

Gemeindecaritas in Kirchberg hat sich aus Mangel an Nachwuchs im 60. Jahr aufgelöst

Die Seniorenstube war das Herzstück der Pfarrcaritas in Kirchberg. (c) Sonja Neukirchen
Die Seniorenstube war das Herzstück der Pfarrcaritas in Kirchberg.
Datum:
18. Jan. 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 03/2022 | Sonja Neukirchen

 „Am 31. Dezember war Feierabend“, sagt Otti Conrad, Vorstandsmitglied der Gemeindecaritas Jülich-Kirchberg. Zusammen mit einem engagierten Team von sieben Frauen, die nun alle mindestens selbst Mitte 70 sind, haben sie Wärme besonders in die Stuben der Kirchberger Senioren gebracht. 

Otti Conrad. (c) Sonja Neukirchen
Otti Conrad.

„Es ist schade, dass die Frauen aufhören, aber es gibt eben keine jüngeren, die weitermachen“, kommentiert es Markus Holländer vom Gemeinderat in Kirchberg, der als Vorsitzender der Kolpingsfamilie Jülich diese Nachwuchsprobleme nur allzu gut kennt und eher besorgt wirkt. „Wenn das Ehrenamt wegbricht, dann machen wir die Türen zu“, fasst er es zusammen. Doch gibt es auch ein Fünkchen Hoffnung? Dieser liegt, so scheint es, in den Herzen der Menschen, die besonders stark für etwas und für andere brennen und die dann auch aktiv werden. Diese „Macher“ im positiven Sinne hat es immer gegeben, und das lässt hoffen.

Noch 2014 hatte die Kirchberger Pfarrcaritas – gegründet 1964 – ihr 50-jähriges Goldjubiläum der „unermüdlichen Hilfe am Nächsten“ in größerem Rahmen gefeiert, und Dirk Hucko, Vorstandssprecher der Caritas Düren-Jülich, sowie Pfarrer Josef Wolff hatten in ihrer Festansprache die wachsende Bedeutung des Ehrenamtes betont. Dem steht nun ein starker Mangel an Beteiligung gegenüber: Betreuung pflegebedürftiger älterer Menschen, Sammlung von Spenden für soziale Projekte, Besuch und Unterstützung junger Familien, Kranken- und Geburtstagsbesuche – das war Aufgabenspektrum der Caritas-Engagierten in Kirchberg. Zudem unterstütze die Organisation die Tafel, das Café Gemeinsam, die Seniorenstube, den Heimatverein sowie Flutopfer und Arbeitslose – ein riesiger Brocken an Aufgaben, der jetzt ins Wasser fällt. Nicht zu vergessen die Gespräche und die soziale Nähe zu den Bürgern, das „Betüddeln“ der älteren Mitbürger, wie Otti Conrad es nennt, bleiben nun aus.

In 58 Jahren hatten die Caritas-Helfer viel bewegt. Doch seit diesem Goldjubiläum hat sich ebenso viel verändert – nicht nur die Bereitschaft, ein Ehrenamt zu übernehmen, sei geschrumpft: „Man wird auch bei manchen Menschen nicht mehr reingelassen, wenn man zum Beispiel zur Geburt gratulieren möchte“, stellt Conrad fest und wundert sich. Um zu vermeiden, dass die Caritas in Kirchberg Schluss macht, hätten sie und ihre Mitstreiterinnen, darunter auch Gründungsmitglied Marliese Heuser, 82 Jahre alt, alles versucht und Menschen direkt angesprochen. „Keiner wollte das machen.“

Conrad ist ein Mensch mit festen Überzeugungen, klaren Werten und positiver Einstellung. Sie hatte zum Abschluss ihres Engagements über ihr Leben reflektiert und selbst überrascht festgestellt: Sie hatte es der Kirche gewidmet. Die gelernte Einzelhandelskauffrau ist in einem religiös geprägten Elternhaus aufgewachsen und hat 26 Jahre lang in Kirchberg als Pfarrsekretärin gearbeitet. Sie war im Chor aktiv, als Katechetin für die Kommunionkinder und blieb dann Betreuerin von Jugendgruppen, die ihr besonders am Herzen lagen. Viele Kinder seien dadurch religiös geblieben, resümiert Conrad, die auch Wortgottesfeiern gelesen hat und sich dafür extra ausbilden ließ. 50 Jahre in der Pfarr- und später Gemeindecaritas krönen ihr Leben im Geiste der Religion.

Doch Otti Conrad ist keineswegs ein Mensch von gestern, der sich auflösende religiöse Strukturen einfach akzeptiert. Sie ist mit ihren 75 Jahren eine moderne Frau, die auch mit der Zeit geht und nach vorne blickt: Sie betont die wachsende Bedeutung der Rolle der Frau in der Kirche als ihr persönliches Anliegen. 16 Jahre Vorsitzende im Pfarrgemeinderat als Frau, das sei schon etwas Besonderes gewesen: „Als Frau muss man sich durchsetzen.“ Leider habe sie einen Kurs zur Gemeindereferentin nicht beendet. „Ansonsten würde ich alles genau so wieder machen.“ Der Glaube sei ihr sehr wichtig. Allerdings sagt sie auch offen, dass sie mit einigen strukturellen Veränderungen im Zuge der Auflösung der dörflichen Pfarreien und Zusammenfassung in der Jülicher Heilig-Geist-Pfarrei nicht so glücklich war.

Markus Holländer ist lange im Gemeinderat aktiv gewesen. (c) Dorothée Schenk
Markus Holländer ist lange im Gemeinderat aktiv gewesen.

Wie wird die Lücke der Caritas in Kirchberg nun gefüllt? Markus Holländer vom Pfarreirat meint, dass die nun wegbrechenden Hilfen der Caritas schon irgendwie aufgefangen werden müssten, aber in kirchlichen Strukturen bleiben sollten. Das gelte zumindest für die finanzielle Unterstützung. Die Seniorenstube bleibe der Gemeinde in Kirchberg ja erhalten und werde auch weiter unterstützt. Hier hatte die Leiterin Ingrid Lücken-Lövenich auf der Weihnachtsfeier der Senioren das „Aus“ der Caritas verkündet. Die 92-jährige Marlies Delonge meinte auf die Frage, was das für sie bedeute: „Ich würde sofort helfen, wenn ich 30 Jahre jünger wäre.“

Ist die Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren, vielleicht eine Generationenfrage? Holländer, der sich seit 42 Jahren gleich in mehreren religiösen Gremien engagiert, weiß: „Viele fragen sich heute: ‚Was habe ich davon, mich ehrenamtlich zu engagieren?‘“ Vielleicht kreisten die Menschen zu viel um sich selbst, überlegt er. Aber in jedem Fall wolle keiner mehr Verantwortung für längere Zeit übernehmen. Ein Teil der Misere liege auch an den wachsenden Anforderungen im Alltag und den geringeren finanziellen Spielräumen der Arbeitgeber: Diese seien selten bereit, Mitarbeiter mal für einen Nachmittag freizustellen, um ihrem Ehrenamt nachzukommen. Nur teilweise beruhigend ist, dass es andere funktionierende katholische und weltliche Einrich- tungen gibt, die in der Gesellschaft wichtige Funktionen für die menschlichen Grundbedürfnisse übernehmen. Darunter die Tafeln oder der Sozialdienst katholischer Frauen. Besonders für die Städte könnte ein wichtiger Ansatz darin liegen, das Ehrenamt gezielt und professionell über sogenannte Freiwilligenzentren zu fördern, wie sie auch von der Caritas betrieben werden.