Ist Kirche noch Heimat?

Pfarrei Heilig Geist Jülich auf Perspektivsuche: vom Erhalt des Glaubens und der Glaubensräume

Die Kirche soll im Dorf bleiben. Das ist der Wunsch vieler Katholiken. (c) www.pixabay.com
Die Kirche soll im Dorf bleiben. Das ist der Wunsch vieler Katholiken.
Datum:
23. Dez. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 52/53 | Dorothée Schenk

Wenn Pfingsten die Geburtsstunde der Kirche ist, so dürfte man mit Fug und Recht Weihnachten als dessen Wiege bezeichnen. Kein christliches Ereignis ist emotionaler und vom Grundgedanken versöhnlicher als die Geburt des Jesuskindes. An diesen Tagen sind Menschen „Kirche“ und besuchen Gotteshäuser, die ansonsten wenig oder gar keinen Anteil an der Kirche nehmen – es sei denn als Dienstleister bei Taufe, Hochzeit und Todesfall. Einen Blick auf Kirche in der Zukunft wirft die Pfarrei Heilig Geist Jülich.

Die Diskussion um die Begrifflichkeit „Kirche“ warf Peter Nieveler, langjähriger Kirchenvorstand und Kenner von Kirchengeschichte, in seinem Vortrag „Dorfkirchen – soll und kann die Kirche im Dorf bleiben?“ trefflich auf. Es geht einerseits um die Glaubensgemeinschaft, die sich als „Kirche“ versteht, andererseits um das Gebäude „Kirche“. Die Unterscheidung ist von Bedeutung, denn auch wenn sich Menschen nicht glaubend zugehörig fühlen, haben sie oft eine persönliche Bindung an dieses ortsbildprägende Bauwerk. „Wo immer Kirche ist, ist auch ein Stück Heimat“, zitierte Nieveler den Mönchengladbacher Regionalvikar Klaus Hurtz – das gilt für Gläubige und im Wortsinne Kirchenferne.

Selbst letztere wollen oft Gotteshäuser nicht entwidmet oder fremdgenutzt sehen. Das habe zuweilen auch rein kulturhistorische oder schöngeistige Gründe. Der Denkmalschutz nennt sie „bedeutend für die Geschichte des Menschen“. Schon darum sollten die Kirchengebäude offen sein – sowohl für Betende als auch für sozio-kulturelle Nutzung als zentraler Treffpunkt für alle Menschen am Ort.


Dennoch müssen sich die Verantwortlichen für die Seelen wie für die Liegenschaften den Tatsachen stellen: Die Zahl der Kirchenaustritte wächst. Seit 2013ist die Zahl der Katholiken in Jülich von 65 Prozent auf unter 50 Prozent gesunken. Gleichzeitig gilt es, 16 Kirchtürme zu erhalten und mit Leben zu erfüllen. Das kostet und ist eine Aufgabe, die bei schwindender Zahl an Gläubigen und pastoralem Personal – Priester, Gemeinde- und Pastoralreferenten – kaum lösbar scheint. Das Bistum hat mit dem sogenannten „Kirchlichen Immobilienmanagement“ – kurz KIM – bereits 2013 den Gemeinden die Aufgabe gestellt, 30 Prozent der Kosten für ihre Gebäude einzusparen. Nieveler wertet diese Maßnahme als vorausschauend, denn die Kirchensteuer, die seit 1949 vom Finanzamt eingezogen wird, steht und fällt mit Zahl und Einkommen der Kirchenmitglieder. Insofern ist die Kirchensteuer zu verstehen als Mitgliedsbeitrag, der nicht den biblischen Zehnt, aber neun Prozent des Einkommens ausmacht. Aus den Finanzmitteln des Bistums erhalten Pfarreien und GdG Schlüsselzuweisungen. Darüber hinaus verfügen einige Gemeinden noch über Finanzmittel aus Fabrikfonds oder eigens gegründete Fördervereine. 


Von „religiöser Demenz“ und notwendigen Zukunftsstrategien

Das Beispiel Jülich steht pars pro toto für viele Pfarreien und Gemeinschaften der Gemeinden in den Regionen. Vier Kirchen sind in Jülich im KIM-Prozess aus der Bistumsförderung genommen worden. Für sie müssen eigene Gelder für den baulichen Erhalt zur Verfügung gestellt oder eingeworben werden. Inzwischen geht 
es aber um weitaus mehr als diese vier Kirchen. Es ist ein Rechenexempel, das Sanierungsstau mal abnehmender Gläu-bigenzahl mal sinkender Seelsorgerzahl beinhaltet. Propst Josef Wolff hatte bereits vor einem Jahr Konsequenzen für die Gemeinden, die für ihre Ortskirche keine Perspektive entwickelten, im Tenor angekündigt: Wer sich nicht bewegt, verliert. Die AG Kirche 2030 der Pfarrei Heilig Geist beschäftigt sich seit 2018 mit den Weichenstellungen und führt Ideen zusammen. Es geht um die Entwicklung von sogenannten „Themenzentren“, also Kirchengebäuden mit inhaltlichen Schwerpunkten von Familie, Trauernde bis Kultur. Spruchreif ist nichts. Zum zweiten Quartal 2021 sollen sich die Gremien über die Perspektiven abstimmen, teilten auf Nachfrage Vertreter der AG Kirche 2030 mit. 

Diese Fragestellung nach den Gebäuden analysierte Peter Nieveler im Spannungsfeld zum Gefühl und der Verwurzelung der Menschen mit ihrer Glaubensgemeinschaft Kirche. Wieviel „Kirche“ brauchen die Menschen noch? Er zitiert hierzu einen Artikel von Jakob Paula, der von „religiöser Demenz“ spricht. Gemeint ist im Unterschied zur medizinischen Demenz, dass die religiöse nicht die Gnade des Vergessens habe: „Nicht einmal das Vergessenhaben wird bemerkt, geschweige denn bedauert. Gott ist einfach weg.“ Zukunftsstrategien seien nötig, die Alt-Bischof Heinrich Mussinghoff bereits 2012 in drei klaren Sätzen vorgetragen hätte mit den Forderungen: Die Kirche von morgen müsse gottverwurzelt, dialogisch und glaubwürdig sein, „oder sie wird nicht mehr sein“.
Im apokalyptischen Gedankenspiel „sie wird nicht mehr sein“ stellt sich die Frage: Was passiert mit dem Kircheninventar wie Ambo und Altar und den liturgischen Gerätschaften von Monstranz bis Kelch, wenn Kirchen aufgegeben werden? 


Pfarrei mit eigener „Schatzkammer“? 

Diesen besonderen Aspekt nimmt Heilig-Geist-Kurator Guido von Büren in den Blick und führt vor Augen, dass bereits zur Reformation durch die Säkularisierung und die „Bilderstürmer“ erstmals sakrale Gegenstände zu Sammlerobjekten geworden seien und musealen Charakter bekommen hätten. Andererseits sei etwa die Aachener Domschatzkammer nicht nur Ausstellungsort, sondern auch Verwahrungsort für die sakralen Güter, die bei Bedarf herausgenommen und benutzt werden könnten. Es gilt also, sich differenziert und mit besonderer Verantwortung vor dem Hintergrund der Zukunft der Kirchen auch die Zukunft der Kirchenschätze im Blick zu behalten. Zumal es detaillierte kirchenrechtliche Vorgaben zum Umgang mit Kunstgut im Kirchenbesitz gibt, die im Codex Iuris Canonici festlegt, dass Kirchen „darüber wachen, dass das […] Vermögen auf keine Weise verloren geht oder Schaden leidet“.

Ein Grund, warum alle Kultgegenstände der Pfarrei derzeit inventarisiert würden. Die Ausstellung „Alle um einen Tisch“ hat 2017 hierzu einen ersten Überblick gegeben. Derzeit werden die Paramente, also die kirchlichen Textilien, gesichtet. Denn „nur was man kennt, kann man auch erhalten“, betont von Büren. Er brachte in diesem Zusammenhang die Überlegung auf, ob nicht zur Sicherung der hochwertigen Kult- und Kunstgegenstände die Pfarrei eine zentrale „Schatzkammer“ einrichten könnte. So vom Vortragenden nicht benannt, aber vielleicht eine Überlegung wert für ein „Themenzentrum“: Heimat geben für Kirchenschätze. 

Die Referenten des Vortrags

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