Im Kern zeitlos und aktuell

Die „Nacht des Wachens“ und die Liturgie am Karfreitag mit dem Leben im Hier und Jetzt in Bezug gesetzt

Karfreitag Nachricht (c) Andrea Thomas
Karfreitag Nachricht
Datum:
11. Apr. 2017
Von:
Andrea Thomas
Die Passionsgeschichte ist Christen ähnlich vertraut wie das Weihnachtsevangelium. Für viele stellt sich jedoch auch die Frage, was die biblischen Geschichten und die besondere Liturgie der Kartage noch mit ihrem Leben zu tun haben.
Karfreitag Quadrat (c) Andrea Thomas
Karfreitag Quadrat

 Eine Menge, finden die Vorbereitungsteams der „Nacht des Wachens“ in St. Katharina in Kohlscheid und des alternativen Karfreitagsgottesdienstes in St. Heinrich in Horbach.

Ein Auslöser, sich einmal intensiver mit der Geschichte vom Leiden und Sterben Jesu zu beschäftigen und damit, was darin an aktuellen Bezügen zu unserem Leben steckt, war für Ingrid Budde-Dreßen die Feststellung einer ihrer Söhne, Mitte 20, nach dem traditionellen Gottesdienst am Karfreitag im vergangenen Jahr, wie wenig er damit noch anfangen könne. „Und er hat ja irgendwie auch Recht, die Texte sind abgegriffen, die Geschichte ist in sich geschlossen und bekannt“, sagt sie. Schaue man jedoch genauer hin, stecke da aber auch eine Menge für uns heute drin.

 

Figuren aus der Passionsgeschichte in reale Situationen von heute gestellt

Gemeinsam mit ihrem Mann Norbert sowie Christina und Hans Brunner – alle vier engagieren sich in der Pfarrei St. Martinus in Richterich – hat sie nach einer Form gesucht, in der zum Ausdruck kommt: Das ist eben keine alte Geschichte, sondern ganz aktuell. „Auch heute fühlen sich Menschen allein gelassen, gibt es ungerechte Entscheidungen, leiden Menschen unverschuldet“, sagt Christina Brunner. Besonders beschäftigt habe sie die Frage „Wo ist Gott im Leid?“. Von da sei es nicht weit gewesen zu aktuellen Ereignissen, wie den Terroranschlägen in jüngster Zeit und anderen Nachrichten, die uns erschüttern. „Wenn wir fragen, wo war Jesus bei den Schüssen im Bataclan, dann sage ich, er war dort, mitten unter den Menschen“, erklärt Christina Brunner. „Es gibt mehr als nur einen Karfreitag im Jahr“, stellt Ingrid Budde-Dreßen fest.

Das soll nun in einen etwas anders gestalteten Karfreitagsgottesdienst einfließen. „Wir haben versucht, Figuren aus der Passionsgeschichte in reale Situationen von heute zu stellen: Veronika gehört zu den Menschen, die eine Kerze für die Opfer auf dem Breitscheidplatz in Berlin entzündet; Judas ist der Mann, der für die Stasi seine eigene Ehefrau bespitzelt hat; Petrus ist der, der sich raushält, wenn er Zeuge von Mobbing und Gewalt wird“, erläutert Christina Brunner. Aus Original-Dokumenten, wie dem Interview eines Stasi-Spitzels oder dem Brief des Journalisten Antoine Leiris, der seine Frau bei den Anschlägen von Paris verloren hat („Meinen Hass bekommt ihr nicht“) und den passenden Bibelstellen sind so neue Texte für den Gottesdienst entstanden.

Auch sonst nimmt das Vorbereitungsteam immer wieder Bezug auf Elemente der traditionellen Karfreitagsliturgie, nur etwas anders als gewohnt. So zum Beispiel die Kreuzverehrung. „Das Kreuz als Erlösungssymbol ist vielen nicht mehr so verständlich“, sagt Christina Brunner. Sie wollen es daher anders und wortwörtlich in die Mitte der Gottesdienstbesucher bringen, in dem sie ein großes Kreuz ohne Korpus auf den Boden legen, auf das jeder eine Kerze stellen und es so hell machen soll. Zu den Texten wird es als musikalische Unterstützung, um sich auf ihre Inhalte und die entstehenden Gedanken und Gefühle einzulassen, Querflöten-Improvisationen von Magdalena Thomas geben. Es ist ein Versuch, dem Todestag Jesu in anderer Form und dennoch angemessen zu gedenken, mit dem sie hoffen, auch andere anzusprechen, denen Karfreitag sonst eher unheimlich ist.

Den zeitlosen und aktuellen Kern einer altbekannten Geschichte stellt auch die „Nacht des Wachens“ für Jugendliche und junge Erwachsene ab 14 Jahren (mit Anmeldung der Eltern) in der Kirche St. Katharina in Kohlscheid in den Mittelpunkt. Zum zweiten Mal hat sich die Vorbereitungsgruppe aus zwei Haupt- und sieben Ehrenamtlichen in der Bibelstelle zum Gründonnerstag auf die Suche nach Anknüpfungspunkten zu unserem Leben heute gemacht. „In diesem Jahr beschäftigen wir uns mit dem Thema ,Allein unter Freunden‘ und den Fragen, wer für uns da ist, wenn es hart auf hart kommt und ob wir merken, wenn unsere Freunde uns brauchen“, erläutert Gemeindereferentin Kerstin Schützendorf. Ausgangspunkt ist der Vorwurf Jesu an seine Jünger „Könnt ihr nicht mal eine Stunde mit mir wachen?“. Warum sind die Jünger eingeschlafen, waren sie einfach nur erschöpft oder haben den Ernst der Lage gar nicht erkannt? Was macht gute Freunde eigentlich aus und wo sind die unter hunderten von „Freunden“ im World Wide Web?

 

An einer langen Tafel in der Kirche wird gemeinsam Abendmahl gehalten

Eingebettet ist das in ein dreistündiges Programm. Im „Kinoteil“ stellen die Organisatoren Szenen aus einer Verfilmung des Lebens Jesu passenden Szenen aus aktuellen Serien gegenüber. „Jugendliche gucken Serien und wir alle auch“, sagt Kerstin Schützendorf, „und wenn man bewusst guckt, findet man ganz viel, was zu den Bibelstellen passt.“ Das Entdeckte soll im Anschluss miteinander diskutiert und vertieft werden. In einer „Aktionsphase“ haben die Jugendlichen dann die Gelegenheit, kreativ zu werden und entweder die Bibelstellen oder Szenen zum Thema „Freundschaft“ als Bilder nachzustellen. Die werden fotografiert, ausgedruckt und gerahmt, so dass jeder ein Bild mitnehmen kann. An zwei weiteren Stationen können die Rahmen noch verziert werden oder Gedanken dazu, wer meine Freunde sind, oder was ich ihnen schon immer mal sagen wollte, aufgeschrieben werden.

Ein wichtiges Element der „Nacht des Wachens“ wird auch das gemeinsame Essen sein. „Wir bauen eine lange Tafel in der Kirche auf, was ja an sich schon etwas Besonderes ist. Jeder bringt etwas mit und dann wird sich unterhalten und gegessen, so wie Jesus mit seinen Jüngern beim letzten Abendmahl“, erzählt Kerstin Schützendorf. Das hat sie bei der Premiere im vergangenen Jahr als „etwas sehr Besonderes“ empfunden, ebenso wie die Meditationsphase, mit der das Programm am späten Abend ausklingt. „Jeder nimmt sich eine Decke und ein Kissen und sucht sich damit seinen Raum in der Kirche. Wo ist egal, auf der Orgelempore, in einer der Bänke, vor dem Altar oder im vergangenen Jahr hat sich auch jemand in den Beichstuhl zurückgezogen“, beschreibt es Kerstin Schützendorf.

Bei moderner, meditativer Musik soll jeder dann in der nur von Kerzen beleuchteten Kirche den Abend für sich Revue passieren lassen dürfen und einmal der Frage nachgehen: „Wie sieht meine Freundschaft mit Gott aus?“ Das sei beim ersten Mal eine ganz spezielle Atmosphäre gewesen, die auch die Teilnehmer sehr genossen hätten – überall Jugendliche, eingemummelt in Decken und ganz bei sich. Den Abschluss wird dann ein gemeinsames Gebet bilden, ehe alle sich aufmachen in die stille Nacht auf den Karfreitag. „Wir hoffen, damit auch dieses Jahr wieder einige junge Menschen ansprechen zu können. Doch selbst, wenn es nicht viele sein sollten, für uns im Team und alle, die kommen, wird es auf jeden Fall bereichernd“, sagt Kerstin Schützendorf.

„Nacht des Wachens“, Gründonnerstag, 13. April, 20–23 Uhr, St. Katharina, Markt, Herzogenrath-Kohlscheid.

Alternativer Karfreitagsgottesdienst „Meinen Hass bekommt ihr nicht“, Karfreitag, 14. April, 19 Uhr, St. Heinrich, Horbacher Straße, Aachen-Horbach.

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