„Ihr seid Teil von uns, wir sind Teil von euch.“

Der Besuch von Papst Franziskus im Irak

Abdusalam (l.) und seine Frau Jaleela (r.) sind 2014 mit der Familie aus dem Irak geflohen. (c) Manuela Brülls
Abdusalam (l.) und seine Frau Jaleela (r.) sind 2014 mit der Familie aus dem Irak geflohen.
Datum:
17. März 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 11/2021

Als europäischer Christ kann man kaum ermessen, was der Besuch des Papstes im Irak bedeutete. Manuela Brülls hat mit einer befreundeten irakischen Familie das Ereignis im Fernsehen verfolgt. In der KirchenZeitung berichtet sie, was das für die Familie bedeutet.
In den Wohnungen unserer irakischen Freunde der Gemeinschaft Sant’Egidio in Mönchengladbach –  es sind Christen, Jesiden, Muslime und Kurden – erlebten wir den Besuch von Papst Franziskus im Irak als „ihren Augenblick großer Wertschätzung“ in ihrer persönlichen leidvollen Geschichte.

Der Besuch von Papst Franziskus im Irak war viele ein wichtiges Zeichen. (c) www.pixabay.com
Der Besuch von Papst Franziskus im Irak war viele ein wichtiges Zeichen.

Es war eigentlich nicht der Zeitpunkt für einen offiziellen Staatsbesuch in einem so unsicheren und gefährlichen Land wie dem Irak. Aber die Menschen verstanden, dass Papst Franziskus ihretwegen kam, egal welcher Religion und Ethnie sie angehörten: Weil er als Pilger des Friedens mit ihnen verbunden sein wollte nach fast 20 Jahren Krieg und Terror. Der starke Glaube unserer christlichen irakischen Freunde beeindruckte uns immer schon, seitdem wir sie kennen. Sie sagen, dass sie ohne ihren Glauben die schweren Jahre nicht überstanden hätten.

Unser Freund Abdulsalam war als kranker und schon älterer Mann 2014 mit seiner Familie aus dem Irak geflohen. Er erzählt, dass er jeden Morgen zwei Stunden in der Schrift liest. Das schenkt ihm Kraft und Trost. Er war es, der zu uns von Vergebung sprach, als wir über das unermessliche Leid in seinem Land redeten, als die Politik damals gerade über einen Gegenangriff diskutierte.

Im Fernsehen spricht der Kommentator vom Zusammenleben, von Geschwisterlichkeit und darüber, wie Muslime den Christen beim Wiederaufbau der Kirchen geholfen haben. Währenddessen hören wir in dem Wohnzimer in Mönchengladbach zum ersten Mal, wie das Leben von Abdulsalam gerettet wurde: Ein Muslim fand ihn schwerverletzt auf der Straße liegend. Sein rechtes Auge war nicht mehr zu retten und seine rechte Körperhälfte war von einer Bombe verletzt. Der Fremde trug unseren Freund in ein Krankenhaus und rettete damit sein Leben. Drei Monate wußte niemand, wo Abdulsalam war und ob er noch lebte.

An diesem Sonntag sitzt er neben uns. Tränen rollen über sein Gesicht, als er sieht, wie Papst Franziskus in „seine Kirche“ eintritt – unter den freudigen Gesängen der Christen von Karakosch, die Abdusalam alle mitsingen kann. Seine Frau Jaleela weint ebenfalls. „Es ist wie wenn Jesus zu uns kommt und wir Palmsonntag feiern“, sagt sie.


Einen Gast zu empfangen ist für Araber ein Freundschaftsdienst

„Wenn wir nach tausenden Jahren den gleichen Himmel betrachten, erscheinen dieselben Sterne“, sagte Papst Franziskus in der Heimat Abrahams. „Sie erhellen die dunkelsten Nächte, weil sie gemeinsam leuchten. Auf diese Weise gibt uns der Himmel eine Botschaft der Einheit. Gott selbst lädt uns ein, uns niemals von unserem Bruder  und unserer Schwester neben uns zu trennen.“

„Wird der Besuch des Papstes etwas ändern?“ fragen viele. Oft herrschen Zweifel, dass der Glaube die Geschichte verändern kann. „Ja, er ändert alles“, sagen unsere Freunde überzeugt. Es sind die vielen kleinen Gesten, die die Änderung bewirken. Andrea Riccardi, Gründer der Gemeinschaft Sant’Egidio nannte das die „schwache“ Kraft des Evangeliums. 
Die Gesten der ausgestreckten Hand zwischen Menschen verschiedener Religionen, des tröstenden Wortes, des Inter­esses für den anderen und des persönlichen Besuches können eine neue Kultur des Zusammenlebens aufbauen. Die Reise des Papstes wollte genau das, neue Wege des Dialogs und der Beziehung zu allen Menschen öffnen, zu allen verschiedenen Religionen.

Der Papst reiste auch nach Nadschaf, der heiligen Stadt der Schiiten, um den Groß-Ayatollah Al Sistani zu besuchen. Er ist die höchste spirituelle Persönlichkeit im arabischen Raum für die Schiiten. Sein Wort hat Gewicht. Ayatollah Al Sistani bereitete die Begegnung mit dem Papst mit folgenden Worten vor: „Ihr seid Teil von uns, wir sind Teil von euch.“
Wenn ein Araber in seinem Haus einen Gast empfängt, ist das die größte Freundschaftsgeste. Wir wissen um diese Bedeutung. In der Geschichte von Abraham führt diese Geste in seinem Leben zur Aufnahme Gottes selbst. Das haben wir in diesen Tagen auch erlebt. Wer das aus tiefstem Herzen glaubt, ist gestärkt.