Rav Yitzchak Mendel Wagner ist seit 2007 Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Krefeld. und zeigt offen und selbstbewusst, dass er Jude ist. Der in Uerdingen geborene Mann, Ehemann und Vater von vier Kindern gehört zu den Juden, die sich – natürlich – streng an die Gesetze und Regeln ihres Glaubens halten. Das gilt auch für Aussehen und Bekleidung. Er zeigt sich offen, selbstbewusst und furchtlos als Jude.
„Ich habe keine Angst, nein, absolut nicht“, erklärt der Gelehrte und Lehrer im Judentum. „Es gibt verschiedene Gründe. Einer ist: Für mich gibt es keine Zufälle im Leben. Alles ist göttliche Fügung, es hat einen Sinn, wenn etwas passiert.“
Wenn er von zehn Leuten in Krefeld angesprochen werde, redeten neun sehr positiv und freundlich mit ihm, erzählt er weiter. „Mein Sohn und ich tragen die Kippa, wenn wir auf der Straße unterwegs sind. Das ist überhaupt kein Problem. Wir erfahren eine große interkulturelle und interreligiöse Solidarität.“
Getroffen hat ihn eine ihm gegenüber getätigte Aussage mit Blick auf den Gaza-Konflikt. „Ich war in Düsseldorf zu einer Vernissage eingeladen. Die Wanderausstellung der Bundesrechtsanwaltskammer tourt regelmäßig durch Deutschland, Europa und Nordamerika und setzt sich mit Unrechtsmaßnahmen des NS-Regimes gegen jüdische Anwältinnen und Anwälte auseinander.“
Neben ihm habe ein Anwalt gestanden und erklärt: „Es ist schrecklich, was die Nazis mit den Juden gemacht haben, aber es ist das Gleiche, was Ihr mit den Palästinensern macht.“ Was er auch hört: „Bei der Diskussion um Beschneidung von Jungen im öffentlichen Diskurs habe ich Antisemitismus gefühlt. Sätze wie: ,Ich habe nichts gegen Juden, aber was ihr mit euren Kindern da macht …‘“
Obwohl er sich in Krefeld sicher fühlt, weiß er: „Mein Verstand sagt mir, Du musst vorsichtig sein“, sagt Wagner auf die Frage zur aktuellen Situation seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. „Die Gefahr ist da.“
Er ist dankbar für den Rückhalt in der Stadt und den sichtbaren Schutz der Synagoge durch die Polizei, Videoüberwachung und kugelsichere Scheiben. Die Jüdische Gemeinde in Krefeld werde – wie alle jüdischen Gemeinden – mit intensiven Sicherheitsvorkehrungen beschützt, betont der Rabbiner.
Seine Gemeinde will sich dennoch offen zeigen, ins Haus einladen. „Es ist ein schmaler Weg zwischen Offenheit und Sicherheit, denn ohne Anmeldung und Sicherheitsschleuse geht es für Besucher nicht ins Haus.“
Wagner ist sehr verbunden mit der Stadt und hält Vorträge zum Thema „Judentum in Krefeld.“ Bei seinen Reisen um die Welt habe er allein in 26 Staaten in Amerika Krefeld über 200-mal als positives Beispiel aufgezeigt, sagt er. Er erzähle, wie Krefeld heute für eine Stadt stehe, in der es viel positive Zusammenarbeit gebe. Es sei eine inspirierende, eine Erfolgsgeschichte.
Er berichtet über den Holocaust, die Nachkriegszeit, schließlich den Fall des Eisernen Vorhangs, als die russischen Juden nach Krefeld kamen, bis hin zur Zeit, als die Gemeinde neu gebaut wurde. Sie zählt nun knapp 800 Mitglieder.
Er möchte Vorurteile von einem Deutschland voller Nazis abbauen, wie es sie im Ausland doch häufiger gebe. „Es ist wie eine Wiedergeburt aus der Asche.“ Nicht zuletzt habe er eine besonders gute Beziehung zum Rabbiner in Philadelphia. „Schließlich landeten vor rund 340 Jahren 13 Krefelder Familien in Amerika und gründeten Germantown, das heute zu Philadelphia gehört. Bis jetzt besteht eine tiefe Verbindung.“
Dennoch gibt es auch die andere Seite. „Ich interessiere mich stark für das Thema Antisemitismus und bin internationaler Sprecher zu dem Thema“, erklärt Rabbiner Wagner. „Es ist ein sehr kompliziertes Thema – es ist nicht Schwarz-Weiß – es gibt eine sehr große Grauzone“, betont er.
Yitzchak Mendel Wagner ist in Uerdingen geboren, hat in Krefeld Grundschule und Gymnasium besucht. Nach dem Abitur in 1999 ist er nach Israel gegangen und hat dort die Jeschiwa besucht, eine religiöse Hochschule. Dort erlernte er viele Grundlagen seines Glaubens. Zurück in Krefeld hat er angefangen, in der Jüdischen Gemeinde mitzuarbeiten.
„Es gibt verschiedene Programme über mehrere Jahre, an denen ich auf dem Weg zum Rabbiner teilgenommen habe,“ erzählt Wagner. Es war eine Kooperation zwischen Israel und Amerika mit einem Abschlusstest in Jerusalem 2007.
Das war genau in der Zeit, als die neue Synagoge in Krefeld in Planung war, die in 2008 eingeweiht wurde. Da man einen Rabbiner suchte, sei die Gemeinde auf ihn zugekommen. „Seitdem füllen wir das Gebäude mit Leben“, sagt er mit einem Lächeln.
Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ist heute die drittgrößte in Europa. In der Bundesrepublik gehören aktuell rund 95 000 Menschen einer jüdischen Gemeinde an. Vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 zählten die jüdischen Gemeinden im Deutschen Reich rund 560 000 Mitglieder.
Nach der Shoah drohten jüdische Gemeinden auszusterben, im Jahre 1950 lebten nur noch etwa 15 000 Jüdinnen und Juden in der Bundesrepublik Deutschland. Durch die Zuwanderung aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wuchs die jüdische Gemeinschaft wieder, seit 1990 sind mehr als 215000 Juden mit ihren Familienangehörigen nach Deutschland gekommen (Quelle: Bundesministerium des Inneren und für Heimat).