„Ich bin da für die Menschen“

Theologe David Nowak ist heute in der Politik

Kirche oder Politik – das war die Entscheidung, die David Nowak als Abiturient treffen musste. Als Theologe im Amt des Krisenmanagers hat er heute beides geschafft. (c) Ann-Katrin Roscheck
Kirche oder Politik – das war die Entscheidung, die David Nowak als Abiturient treffen musste. Als Theologe im Amt des Krisenmanagers hat er heute beides geschafft.
Datum:
22. Sep. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 38/2021 | Ann-Katrin Roscheck

Als David Nowak vor rund 20 Jahren das Abitur in der Tasche hatte und die schwierige Entscheidung treffen musste, in welche berufliche Richtung er sich zukünftig orientieren wolle, stand er an einer Kreuzung mit zwei Wegen. Den einen Wegweiser zierte das Wort Politik, die andere Seite zeigte katholischer Priester an.

Das Kreuz ist auch heute noch an seiner Seite. Wenn Nowak schwere Entscheidungen treffen muss, denkt er zurück an seine theologischen Wurzeln. (c) Ann-Katrin Roscheck
Das Kreuz ist auch heute noch an seiner Seite. Wenn Nowak schwere Entscheidungen treffen muss, denkt er zurück an seine theologischen Wurzeln.

Auf beiden Wegstrecken war der Krefelder schon damals die ersten Schritte gegangen. „Seit meinen Kindheitstagen war ich in der katholischen Kirche zu Hause und fühlte mich in der sakralen Umgebung geborgen“, erinnert sich der heute 39-Jährige. „Genauso brannte ich als Jugendlicher nach einem Praktikum im Fraktionsbüro aber auch für die SPD. Für Reden von Gerhard Schröder schwänzte ich sogar die Schule.“ Dass viele Jahre später eine Kreuzung nicht unbedingt ein Scheideweg sein muss, weiß Nowak heute: Denn obwohl er damals an der Kreuzung das Ziel katholischer Priester wählte, arbeitet er heute unter Krefelds SPD-Bürgermeister Frank Meyer als Krisenmanager im Gesundheitsamt der Stadt. Für die KirchenZeitung läuft David Nowak seine Wegstrecke noch einmal ab.

Als er im Alter von sieben Jahren 1989 als Zugewanderter aus dem polnischen Klodzko nach Krefeld kam, konnte er kein einziges Wort Deutsch. Mit „Guten Tag“, „Dankeschön“ und „Auf Wiedersehen“ machte er seine Anfänge in der städtischen Grundschule und begann schon früh, die benachbarte Heimatgemeinde St. Stephan zu besuchen. „Ich merkte schnell, dass Aufstieg nur durch Bildung möglich ist, und fing an zu büffeln“, erklärt er. „Dabei galt mein Interesse vor allem den menschlichen Beziehungen. Sie halfen mir nicht nur, die Sprache zu lernen, sondern auch das Land zu verstehen.“ Über die Schule und die Gemeinde bekam der Katholik damals Anschluss. Er engagierte sich als Messdiener und ehrenamtlicher Leiter und entschied sich später, auch im Rahmen der Zivildienstphase bei der Caritas tiefer in christlich-soziale Strukturen einzutauchen. „Ich habe damals schon für mich verstanden, dass im christlichen Menschenbild die Antworten unserer Zeit liegen“, erklärt Nowak mit einer außergewöhnlichen Wortgewandtheit. „Das war wahrscheinlich am Ende auch die Entscheidung für den Weg in das Priesterseminar.“

 

>> Die Volkskirche in Polen veränderte mich.<<

David Nowak

 

Die ersten Jahre verbrachte der Krefelder in Bonn. Vor allem genoss er hier das Zusammenleben in der Gemeinschaft mit den anderen Anwärtern: Unter der Woche wurde zusammen gekocht, am Sonntag der Tatort gemeinschaftlich geguckt und zwischen-
durch das Kino besucht. Auch die katholische Ausbildung lag ihm, noch fühlte er sich in Kirche zu Hause. Als Nowak aber im Rahmen seines Priesterseminars für ein Jahr in sein Geburtsland nach Polen zurückkehrte und hier in Breslau die Dompropstei unterstützte, setzte sich ein gedanklicher Prozess in Gang. „Das, was ich hier erlebte, war kitschig, aber einfach schön“, erklärt er und runzelt lächelnd die Stirn. „Ich war Teil einer Volkskirche, die den öffentlichen Diskurs bestimmte. Es gab keinen Gremienkatholizismus, kein Debattiergehabe, sondern in Gemeinschaft wurden die Sakramente gelebt. Das begeisterte mich total.“ Als Nowak nach Deutschland zurückkehrte, nahm eine Leere, die er bis dahin nicht kannte, den Priesteranwärter ein. „Ich fand mich in den deutschen Kirchenstrukturen einfach nicht mehr wieder“, erinnert er sich. „Auf einmal war klar, dass ich kein Priester werden kann.“ Mit dem Diplom in Theologie schloss Nowak das Priesterseminar anders als erwartet im Jahr 2008 ab.

Nun begann eine neue Phase der Orientierung. Hatte der Wegweiser katholischer Priester den jungen Mann zunächst in eine Sackgasse geführt, erinnerte er sich zu dieser Zeit nicht mehr an die alte Wegeskreuzung. Vorerst fing er an, bei einer Immobilienplattform zu arbeiten, um zu verstehen, wie Unternehmen funktionieren, bis einige Monate später ein Telefonanruf die Erinnerung wachrüttelte. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Uli Hahnen hatte von Nowaks Umorientierung gehört und fragte ihn, ob er sich vorstellen könne, für die SPD zu arbeiten. Ohne lange zu überlegen, sagte der Theologe zu und zog im Sommer 2009 ins Krefelder Rathaus ein. „Erst jetzt begriff ich, warum mich beide Wegweiser nach der Schule so ansprachen“, erklärt Nowak. „Priester zu sein bedeutet für mich, so merkte ich es auch in Polen, mit Menschen in den Dialog zu gehen und für sie da zu sein. Dasselbe macht Politik aus: Ich schaffe Strukturen für menschliche Beziehungen. Auch Jesus war ja irgendwie Politiker.“

Im Rathaus begann für Nowak eine Bergfahrt: Stück für Stück kletterte er die Karriereleiter hoch. Nachdem er 2019 unter SPD-Bürgermeister Frank Meyer Arbeitsmarktkoordinator wurde, entschloss man sich, den Theologen im Oktober 2020 inmitten der Pandemie auf das Amt des Krisenkoordinators zu setzen. „Hätte mir das jemand zu meiner Zeit im Priesterseminar erzählt, hätte ich ihm wahrscheinlich nicht geglaubt“, sagt er lachend. „Corona ist für uns die größte Herausforderung nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich bin dankbar, dass ich hier an vorderster Front helfen kann.“ Sein Theologiestudium, so schildert der 39-Jährige, sieht er dabei als persönliche Eignung: Es zeigt ihm, wie die Menschen fühlen, was sie bewegt und was sie benötigen, um sich aufgehoben zu fühlen. „Wir sind alle gleich, was aber nicht bedeutet, dass wir eine Gleichbehandlung brauchen“, schildert er. „Ich möchte jeden Menschen individuell betrachten. Dabei hilft mir noch heute mein Glaube.“

 

>>Auch Jesus war irgendwie Politiker.<<

David Nowak

 

Die größte Herausforderung als Krisenmanager der Stadt Krefeld sei es aktuell vor allem, alle Akteure auf einen gemeinsamen Weg zu bringen. Während Nowak mit 128 Kollegen und Kolleginnen in der Spitze auf Kommunikation und Austausch setzt, versucht er darüber hinaus, Fürsprecher aus anderen Bereichen zu finden. Auch die Kirche, so bemerkt er, hätte dabei eine wichtige Rolle. „Ich befürworte sehr, dass das Bistum Impfwerbung macht“, erklärt er. „Genau wie die Politik ist Kirche Teil der Gesellschaft. Wir müssen in Krisen zusammenhalten.“

Während die Pandemie dafür sorgt, dass Nowak im Beruf immer wieder stürmische Wellenritte vollbringen muss, ist der Theologe privat in ruhige Gewässer eingekehrt. Schon während des Priesterseminars, so verrät er auf einmal schüchtern, hätte ihm die tiefe Beziehung zu einer Frau gefehlt. Heute ist er verheiratet und hat zwei Kinder. Im Familienbund feiern die Nowaks noch immer Namens-tage, die christlichen Feste und erleben gemeinsam die Fastenzeit. „Vielleicht bin ich inzwischen nur noch rheinisch-
katholisch“, sagt er schmunzelnd. „Die Werte, für die ich im Priesterseminar 
angetreten bin, haben sich aber auch heute nicht verändert: Ich bin da für die Menschen.“