Gott ist bei den Menschen

Zu Weihnachten soll sich niemand alleine fühlen. Das sagt uns die Botschaft. Wir können etwas dafür tun

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Datum:
23. Dez. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 52/53 | Johannes Eschweiler

„Und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war“ (Lk 2,7).

Wenn es bei Jesu Geburt eine Pandemie und ein Beherbergungsverbot gegeben hätte, könnten wir dann heute ein traditionelles Weihnachtsfest mit der Krippe in unseren Wohnzimmern überhaupt feiern? Andererseits meinen viele Menschen, dass gerade in diesen „schwierigen Zeiten“ das Weihnachtsfest wieder an Ursprünglichkeit zurückgewinnen könnte. Ich persönlich bin überzeugt davon, dass die Bilder der Weihnachtsgeschichten in den Evangelien – der Stall, die Krippe, die Hirten, der Stern, die Weisen aus dem Osten – erzählt werden, um Gottes Nähe zu uns allen, besonders zu den Armen, zu bezeugen und uns damit einen Weg zu weisen.

Das Beherbergungsverbot in der Corona-Krise mag für uns in Deutschland sinnvoll sein. Schlimm ist, dass es für viele Menschen noch nicht einmal die Möglichkeit gibt, eine Unterkunft bei uns anzusteuern. Es gibt viele Initiativen, um Geflüchtete aus dem Lager Moria aufzunehmen. Es gibt jedoch keine Erlaubnis dazu und damit für diese Menschen keine Möglichkeit auf Zuflucht an einem sicheren und geschützten Ort hier bei uns. Gleichzeitig merken immer mehr Menschen in Deutschland und den Städten und Landkreisen im Gebiet des Bistums Aachen, dass es kaum noch bezahlbaren Wohnraum für sie gibt. Auf dem Immobilienmarkt sind hohe Renditen zu erzielen, die Mieten gehen seit Jahren massiv in die Höhe. Selbst Wohnungen in einem sehr schlechten Zustand sind für Arme, Arbeitslose und Alleinerziehende nicht mehr zu bezahlen. Alleinstehende Rentnerinnen müssen aus ihren Wohnungen, in denen sie ihre Kinder großgezogen und die Eltern gepflegt haben, ausziehen, weil sie in der Grundsicherung im Alter nur noch in einer kleinen Wohnung leben dürfen. Egal wo diese Wohnung liegt und in welchem Zustand sie ist.

Und heute ist es nicht mehr der Stall mit der Krippe, wohin die Heilige Familie hätte ausweichen können, weil in der Herberge kein Platz für sie war. Heute wären es die Container auf den Baustellen oder in den Betrieben, in denen die osteuropäischen Wanderarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer zu horrenden Mietzahlungen, oft zusammengepfercht, leben, um in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, zum Beispiel in der Fleischindustrie, arbeiten zu müssen. Die Weihnachtsgeschichte des Lukas zeigt mit Jesu Geburt in einem Stall und mit der Krippe, dass Gott selbst sich auf die Seite dieser Menschen in den Containern stellen will. Sein Sohn hat am eigenen Leib erfahren müssen, dass in der Herberge kein Platz für ihn war und seine Mutter Maria ihn in einem Stall gebären musste und ihn in eine Krippe legen musste, einem Ort, der für eine Geburt sicher nicht geeignet ist.

„In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr. Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht! […] Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt“ (Lk 2,8–10a.11–12).


So mancher fürchtet das nahende Fest

Die ersten, die zum Kind in der Krippe gerufen wurden, sind die Hirten. Auch sie lebten am Rande, sie waren arm und hatten kein Ansehen in der Bevölkerung. Es sind die armen Hirten, die ein hartes Leben hatten, die als erste zum Kind in der Krippe gerufen wurden, um den Sohn Gottes zu sehen. Für die Hirten leuchtete das Licht ganz hell in dieser heilbringenden Nacht. Dieses Licht bedeutet Hoffnung, Zuversicht und Zukunft für die Menschen, denen es nicht so gut geht.

Das Licht leuchtet auch den Klugen und Mächtigen. Im Matthäusevangelium ist es der Stern, der den Weisen aus dem Morgenland, die die Tradition später zu Königen gemacht hat, den Weg nach Betlehem weist.

„Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt. Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm“  (Mt 2,10.11a)

Der Weg für die Könige war lang, mit vielen Hindernissen verbunden, sowie am Ende mit einer Begegnung mit dem Sohn Gottes. Dies war nicht in prunkvoller Umgebung, sondern ganz einfach und leise. Alte Figuren an der Krippe zeigen prunkvoll gewandete Könige mit wertvollen Geschenken, knieend und in demütiger Haltung. Sie geben ab, sie teilen ihren Reichtum, indem sie die wertvollen Geschenke dem Kind zu Füßen legen. Die Könige werden demütig angesichts des Kindes in Betlehem und werden damit selbst ganz klein. Es gibt Wichtigeres als Macht und Reichtum. Es geht um das Licht, welches die Nacht erhellt, es geht um das Geben und Teilen, das reich macht.

Uns Menschen ist es wichtig, an Heiligabend nicht alleine, sondern zusammen mit unseren Lieben das Weihnachtsfest zu begehen. Wegen der Corona-Krise werden wir keine großen Familienfeiern haben. Ariane sagte mir am Telefon, dass ihr vor diesem Heiligen Abend in diesem Jahr graut und sie Angst davor hat. Nicht einmal das Treffen mit den anderen ist in diesem Jahr möglich. Ihre eigene Familie hat sich schon lange von ihr abgewandt. Diese schwierigen Zeiten sind besonders hart für Menschen, die arm, arbeitslos oder fern ihrer Familien und Freunde sind. Arbeitslosigkeit und Armut machen einsam, wie bei Ariane. Dies gilt auch für Darius, dessen Familie im Süden Europas wohnt und dessen einziger Bruder weit weg ist. Er selbst hat kein Geld und keine Möglichkeit, mit ihnen zusammen den Heiligen Abend zu verbringen. Dies verstärkt sich dadurch, dass die Orte der 
Begegnung und der Gemeinschaft an Heiligabend in diesem Jahr wegen der Pandemie geschlossen sind. Besonders vielen von diesen Menschen graut es vor diesem Fest des Friedens, der Hoffnung und der Zukunft für uns Menschen.

In diese Furcht vor dem Heiligen Abend und dem Weihnachtsfest in diesem Jahr mischt sich Hoffnung. Seit drei Wochen erlebe ich viele Menschen, die in Sorge um die Einsamen und Verlorenen, die sich in diesem Jahr nirgends treffen können, die Idee verwirklichen wollen, den Menschen den Heiligabend nach Hause zu bringen. Insbesondere Gastronomen und Caterer, denen es selbst in der Krise finanziell nicht so gut geht, haben vor, den Menschen, die alleine und verloren sind, das Festtagsmenü nach Hause zu bringen. Alleine bei Amos in Oberbruch und beim Treffpunkt am Kapellchen in Mönchengladbach wird über hundert Menschen das Fest nach Hause gebracht. Sie bekommen das Essen für den Heiligen Abend nach Hause, zum Teil zusätzlich mit einer schönen Decke, einer Kerze oder einer hoffnungsvollen Weihnachtsgeschichte. Dabei ist nicht nur das köstliche Essen und das Festliche wichtig, sondern dass sie nicht alleine sind, weil andere Menschen an sie denken und in diesen Gedanken gerade bei ihnen sind. Sie können sich weder sehen noch umarmen, aber die Verlorenen wissen, dass sie nicht alleine sind. So leuchtet auch ihnen der Stern ganz hell. Der Stern, das helle Licht des Aneinander-Denkens bedeutet, sich nicht allein fühlen zu müssen.


Lassen wir den Stern für alle scheinen

Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, um den Menschen ganz nahe zu sein, um das Leben mit uns zu teilen und uns zu erlösen. Erlösen heißt am Weihnachtsfest, dass er uns aus der Einsamkeit und Verlassenheit erlöst, weil wir uns unseren Mitmenschen zuwenden, um zu geben, zu teilen und uns dafür einzusetzen, dass Gerechtigkeit und Zukunft für alle Menschen zugesagt werden kann. Den vielen Geflüchteten, den Wanderarbeitnehmerinnen und -arbeitern, denen, die kein Dach über dem Kopf haben, den Armen und Arbeitslosen, Ariane oder Darius, all diesen Menschen brennt ein helles Licht, wenn wir an sie denken und uns für sie einsetzen.

In diesem Sinne ist es ein anderes Weihnachtsfest, ein ursprünglicheres, aber und hoffentlich ein schönes und frohes Weihnachtsfest, weil wir uns wie die Hirten oder die Weisen aus dem Morgenland auf den Weg machen zum Jesuskind unter dem Stern, der auch uns hell leuchtet. Und vielleicht schreiben oder telefonieren wir in diesem besonderen Jahr einmal mit denen, an die wir in den letzten Jahren nicht so sehr gedacht haben oder von denen wir wissen, dass sie alleine sind, oder sogar mit denen, mit denen wir nicht sprechen wollen. Dann leuchtet der Stern ganz hell über unserer Krippe, über dem Jesuskind, der Heiligen Familie, Ochs und Esel und besonders für die Menschen, an die wir gerade gedacht haben.

Der Autor ist als Pastoralreferent in der GdG Heinsberg-Oberbruch tätig und engagiert sich in vielen sozialen Initiativen im Bistum Aachen.