Für Schwester Dorothee ist die Liebe zu den Menschen das Wichtigste. „Nächstenliebe ist doch die reine Christusliebe“, sagt sie. „Durch die Wertschätzung sehe ich in Anderen das Gute – Tag für Tag. Ich möchte an ihren Leben teilhaben, sie unterstützen und ihre Sorgen teilen.“ Sie sehe dann, wie etwas entstehe, zwischen den Menschen.
Bis zuletzt erfährt die Ordensfrau Anfragen von Leuten, die noch einmal mit ihr sprechen möchten. Denn nach 26 wirkungsvollen Jahren voller Engagement für den Nächsten verlassen die drei Schervier-Schwestern aus Alters- und Gesundheitsgründen Krefeld und geben den Konvent „Haus Nazareth“ an der Josefkirche auf.
Die Armen-Schwestern vom heiligen Franziskus sind eine Ordensgemeinschaft, die am Pfingstfest 1845 durch Franziska Schervier in Aachen gegründet wurde. Dorthin, ins Mutterhaus, werden die Schwestern Dorothee, Maria Augustine und Erentrut jetzt ziehen.
Der Abschied fällt ihnen schwer. Sie haben in Krefeld eine aktive Zeit verbracht. Dafür war besonders die umtriebige und engagierte Schwester Dorothee durch ihren Lebensweg prädestiniert, natürlich berufen.
Dorothee, die eigentlich Hildegard heißt, floh als Kind mit ihrer Mutter und vier Geschwistern – der Vater war im Krieg – aus dem Sudetenland nach Hessen. „Mit zwölf Jahren habe ich dort Schwester Berta, eine evangelische Diakonissin, kennengelernt. Sie war eine Frau, die immer für uns und die Menschen da war. In mir reifte der Gedanke: ,Das wäre etwas für dich‘.“ Den Gedanken sprach sie aber zunächst nicht aus.
„Nach der Schule kam ich aufgrund der Vermittlung unseres katholischen Pfarrers an den Niederrhein, nach Osterath.“ Dort hat sie erste Erfahrungen in einem Altenheim, einem Kindergarten und einer Nähschule gemacht. Danach ist sie zweimal wöchentlich nach Krefeld in die Berufsschule für Hauswirtschaft gefahren. „Doch das füllte mich nicht aus.“
Als sie dann nach Hause schrieb, sie wolle ins Kloster gehen, war das nicht im Sinn der Eltern, obwohl sie sehr katholisch erzogen worden war. „Du kommst nach Hause, du bist zu jung“, war die Antwort des Vaters. Dennoch fuhr er mit ihr nach Aachen. Sie setzte sich durch und trat 1957 mit siebzehneinhalb Jahren dem Orden als Postulantin bei und begann damit den Aufnahmeweg. „Es war eine schöne Jugend danach im Noviziat“, erinnert sie sich. „Ich habe meinem Vater gesagt, er solle die Zeit als ganz normale ,Verlobungszeit‘ betrachten.“ Mittlerweile hat sie ihr diamantenes Ordensjubiläum gefeiert, gehört jetzt seit über 60 Jahren ihrem Orden an. „Die Jubiläen sind so wie bei Ehepaaren“, lächelt sie. „Ich bin glücklich. Ich gehöre dem lieben Gott.“
In den vielen Jahren war Schwester Dorothee oft in der Krankenpflege tätig, sieben Jahre lang hatte sie die Stationsleitung in einem Euskirchener Krankenhaus inne, einer Chirurgischen Unfallstation mit 37 Betten, erhielt aber immer neue Aufgaben, so beispielsweise als Gründerin einer Sozialstation.
Dann holte Pfarrer Lukas von St. Josef die Schervier-Schwestern nach Krefeld. „Ich möchte Sie gerne hier sehen“, habe er damals gesagt. Seitdem ist der Lebensmittelpunkt der Schwestern in dieser Gemeinde. „Wir haben Kommunionvorbereitung übernommen, Gruppenarbeit, Frühstückstreff und haben ordentlich Karneval gefeiert und natürlich Haus- und Krankenbesuche gemacht.“ Sie sei sehr froh, dass es in St. Dionysius – St. Josef gehört dazu – jetzt ein junges engagiertes Team um Pfarrer David Grüntjens gebe, erklärt die Frau weiter.
Der Geistliche sagt zum Abschied: „Dieser Einschnitt ist sowohl für unsere drei Schwestern als auch für uns als Gemeinde schmerzhaft und dennoch nachvollziehbar. Als wir im vergangenen Jahr das 25. Ortsjubiläum gefeiert haben, wurde noch einmal mehr deutlich, wie bedeutsam der Dienst der Schwestern in der Gemeinde und im Josefshaus ist.“
Gerade jetzt habe sie noch die Anfrage einer Frau erhalten, erzählt sie: „Können Sie nicht doch noch einmal vorbeikommen? Ich kann nicht mehr“, habe sie gesagt. Natürlich kommt Schwester Dorothee. Sie nimmt alle Menschen mit – in Beziehungskrisen, nach Todesfällen, immer. Schließlich habe Franziska Schervier gesagt: „,Ihr sollt Wunden heilen und Seelen retten.“
Schwester Dorothee lebt seit ihrem Start in Krefeld mit ihren Mitschwestern Maria Augustine und Erentrut gleich gegenüber der Kirche St. Josef im Haus mit der keinen Kapelle im ersten Stock und den mittlerweile zu vielen, nicht altersgerechten Treppen. Dort war und ist sie – wie gesagt – aber selten anzutreffen. Deshalb rauscht sie nach dem Gesprächs-Termin auch in ihrem blauen Kleinwagen vorbei. Hin zum nächsten Gespräch, zur nächsten Aufgabe. Sie ist nicht aufzuhalten. Das will auch keiner. „Ich bin immer im Außendienst“, sagt sie, lacht und wird gleich ernster: „Ich weiß, was Sorgen und Armut sind. Gott führt mich.“
Beim Gedanken an die Verabschiedung kommen der bodenständigen und tatkräftigen Frau schon jetzt die Tränen. „Das wird mir sicherlich auch dann passieren“, sagt sie und lächelt. „Ich kenne mich.“
Welche Aufgaben die Ordensfrauen in Aachen erwarten? Sie wissen es noch nicht so genau, sehen aber mit gewohnter Gelassenheit in die Zukunft.
Die Schervier-Schwestern werden mit einem festlichen Gottesdienst am 26. Januar um 11.30 Uhr in St. Dionysius verabschiedet. Im Anschluss gibt es bei einem Empfang die Möglichkeit, den Schwestern ein Dankeschön und Lebewohl zu sagen.