Einladung angenommen

Schwester Silke-Andrea Mallmann aus Stolberg ist Ordensschwester und Kämpferin – für sich und andere

Silke-Andrea Mallmann mit ihrer Mutter (links), die sie in ihrer schweren Krankheit begleitet hat. (c) Marie-Luise Otten
Silke-Andrea Mallmann mit ihrer Mutter (links), die sie in ihrer schweren Krankheit begleitet hat.
Datum:
27. Apr. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 18/2020 | Marie-Luise Otten

Auf einem Felsen über der Drauschleife östlich von Villach thront das Schloss Wernberg. Seit dem Jahr 1935 ist der Renaissancebau ein Kloster der Mariannhiller Missionsschwestern vom Kostbaren Blut. Weltweit gibt es ungefähr 900 Schwestern dieses Frauenordens. Eine davon ist Silke-Andrea Mallmann aus Mausbach. 

Das Kloster Wernberg der Mariannhiller Missionsschwestern in Kärnten, wo Silke Mallmann lebt. (c) wikimedia Commons/Dennis Jarvis
Das Kloster Wernberg der Mariannhiller Missionsschwestern in Kärnten, wo Silke Mallmann lebt.

Silke Mallmann, Jahrgang 1968, lernte diese Gemeinschaft als Kind und Jugendliche während mehrerer Urlaube mit ihren Eltern kennen, denn in Wernberg betreiben die Schwestern vom Kostbaren Blut auch ein Bildungshaus und eine Gästepension. Angetan von der Arbeit dieser Missionsschwestern, absolvierte sie mehrere Praktika in Südafrika, um sich mit Menschen zu beschäftigen, die am Rande der Gesellschaft leben.  „Wofür lebe ich, wofür werde ich gebraucht, was möchte Gott von mir?“, das waren Fragen, die sie in ihrer Jugend beschäftigten.

Ordensfrau zu werden, kam ihr da als Idee, als Lebensentwurf und als Gefühl, das sei, was sie aus ihrem Leben machen solle, in den Sinn. „Ordensfrau wird man, weil Gott gerufen hat“, erklärt sie ihre Motivation, dem Orden der Mariannhiller Missionsschwestern als Anfang Zwanzigjährige beizutreten. „Eine Einladung von Gott kann man annehmen oder ablehnen, das war spannend.“ Silke Mallmann studierte Pädagogik und Psychologie in Köln und Wuppertal, machte eine Ausbildung zur Ordensfrau. Nach dem Noviziat von 2000 bis 2008 kümmerte sie sich in Südafrika und Mosambik im Rahmen des „Schutzengel“-Projekts des katholischen Hilfswerks Missio und einheimischer Partner um Aids-Erkrankte und Aids-Waisenkinder. Wobei bei ihrer Arbeit die seelsorgerische Hilfe im Mittelpunkt stand.

Das Zentrum, in dem sie dort tätig war, bietet häusliche Hilfe für 900 Patienten im Jahr und betreut rund 2500 Kinder durch Ehrenamtler. Silke Mallmann spricht neben Deutsch vier weitere Sprachen: Englisch, Niederländisch, Französisch und Portugiesisch. Seit 2009 lebt und wohnt sie mit weiteren 54 Schwestern im Kloster in Wernberg und leitet dort die Caritas-Beratungs- und Betreuungsstelle „Talitha“ für Opfer (Mädchen und Frauen) von Menschenhandel in Kärnten, welche der Prostitution nachgehen oder von Zwangsprostitution, Menschen- und Heiratshandel betroffen sind. Bisher suchten hier 70 Frauen Schutz und Unterstützung. Viele Prostituierte kommen aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn nach Kärnten, weil die Prostitution in Italien und Slowenien verboten ist. 

 

Die Welt schien auf einmal still zu stehen

Mehrere Jahre gehörte Schwester Silke der Volksanwaltschaft für die Steiermark und Kärnten an, einem hoch angesehenen staatlichen Gremium, das öffentliche und  private Einrichtungen im Hinblick auf mögliche Menschenrechtsverletzungen kontrolliert. Für dieses Engagement wurde sie 2013 mit dem Kärntner Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Weiterhin betreibt die engagierte Ordensfrau Aufklärungsarbeit in Schulen und Pfarreien, gibt Deutschkurse für Flüchtlinge und unterrichtet Sozialmanagement an einer Berufsschule. Dann, nach über zwanzig Jahren im Dienst für andere, war plötzlich alles ganz anders: Unheilbarer Krebs lautete die Diagnose – aus heiterem Himmel, ganz ohne Vorankündigung.

Die Welt schien plötzlich still zu stehen für Silke Mallmann. Was macht man in einem solchen Augenblick, wenn all die herkömmlichen Abläufe des Lebens, die die volle Konzentration verlangen, in den Hintergrund gedrängt werden? Was würde aus ihren Lerncafés der Caritas, ihrem Talitha-Projekt, den Vorträgen, Seminaren und Veranstaltungen, die geplant waren, und nun auf unbestimmte Zeit verschoben werden mussten? Zuerst, erzählt sie, sei nur noch von palliativer Behandlung die Rede gewesen, doch dann habe es der Chefarzt im Krankenhaus kurativ versucht, wobei er gleichzeitig auf ein Wunder gehofft habe.

 

Die rheinische Mentalität  verhalf zu mehr Gelassenheit

Mit Mut und viel Gottvertrauen begab sich Schwester Silke in eine längere und harte Behandlungsphase: vier Chemotherapien vor der Operation, zwei Chemotherapien danach. Krankenhauskeim und künstliche Ernährung ließen nicht lange auf sich warten. Und doch – immer, wenn es ihr ein wenig besser ging, griff sie freudig zu Papier, Wasser- und Aquarellfarben und malte die bunte spannende Welt, von der ihre Nichte Mirella via  Facetime (Videoanrufe mit dem Handy) fröhlich erzählte.  Als gebürtige Rheinländerin ist sie überzeugt, dass deren Mentalität „Et kütt wie et kütt“ auch ihr zu mehr Gelassenheit in der Krankheitsphase verholfen hat.

Die Hochs und Tiefs ihrer Erkrankung kamen und gingen. Insgesamt dauerte es neun Monate, bis sich die Lage endlich zu stabilisieren schien. Mittlerweile hatte sie sich dazu durchgerungen, ihre Geschichte aufzuschreiben, wohl wissend, dass jeder Verlauf einer Krankheit sehr individuell ist.  Aufschreiben heißt für sie hinsehen – genau hinsehen. „Das, was stärkt, was Mut macht und was Kraft gibt, können die Menschen aus meinen Zeilen mitnehmen“, sagt sie.  Ihr kürzlich erschienenes Buch „Goldfäden zwischen Himmel und Erde“ (vorgestellt in KiZ 14/2020, Seite 31) widmete sie ihrer Mutter, die in der schweren Zeit immer an ihrer Seite war. Darin geht es nicht nur um die Überwindung der Krankheit – seit 2019 ist sie gegen alle Vorhersagen krebsfrei  –, sondern auch um die Auseinandersetzung mit Gott in ausweglosen Situationen. Texte von Alfred Delp, Dietrich Bonhoeffer und Hilde Domin zum Beispiel haben sie dazu angehalten, das Leben neu zu sehen. 

Die Erkenntnis, dass sie von Gott geliebt wird, hat sie die starken Belastungen und längeren Durststrecken aushalten lassen. Heute sucht sie nach „den Brunnenpunkten und Goldfäden“, die das Leben für sie bereithält. Angst vor dem Tod hat sie nicht, sagt sie, wohl aber vor dem Sterben, das sie mit Loslassen gleichsetzt. Die Auferstehung habe eine ganz neue Bedeutung bekommen. Sie lebe jetzt dankbarer, intensiver und bewusster.