Eine riesige humanitäre Herausforderung

Nach 60 Jahren Bürgerkrieg ist in Kolumbien per Dekret Frieden. Doch die eigentliche Arbeit beginnt erst

Frieden Nachricht (c) Pfr. Alexius Puls
Frieden Nachricht
Datum:
1. März 2017
Es ist Bewegung in den Friedensprozess in Kolumbien gekommen. Das von der Bevölkerung abgelehnte Friedensabkommen zwischen der Regierung und der Farc-Guerilla ist überarbeitet, Verhandlungen mit der Eln-Guerilla haben begonnen.
Miethke Original (c) KiZ
Miethke Original

Doch die eigentliche Arbeit nach 60 Jahren Bürgerkrieg fängt erst an. Fragen an Stephan Miethke, der seit fünf Jahren die Versöhnungskommission der Kolumbianischen Bisofskonferenz berät.

 

Ende September hatte die kolumbianische Bevölkerung überraschend das Friedensabkommen abgelehnt. Hat Sie das Ergebnis auch überrascht? Und warum, glauben Sie, hat die Bevölkerung so entschieden?

Tatsächlich war ich von dem Abstimmungsergebnis überrascht, denn ähnlich wie beim Brexit oder im November bei der Wahl des US-Präsidenten hatten die Prognosen ein völlig anderes Ergebnis erwarten lassen. Offenbar ist auch in Kolumbien das postfaktische Zeitalter angebrochen, denn der Chef der Kampagne gegen das Abkommen hat kurz nach deren Erfolg öffentlich eingestanden, dass man bewusst Halbwahrheiten und Lügen hin auf bestimmte Zielgruppen verbreitet habe.

So war beispielsweise den Rentnern suggeriert worden, ihre Rente würde um sieben Prozent gekürzt, um die Kosten für den Friedensprozess bestreiten zu können – eine dreiste Lüge. Natürlich gab es auch durchaus ernstzunehmende Bedenken gegen das Abkommen: Wurde damit dem Anspruch auf Gerechtigkeit für die Opfer des Konflikts Genüge getan? Hier spiegelt sich zudem eine tiefe Skepsis vieler Kolumbianer gegenüber der Guerilla – nach über 60 Jahren eines mit Waffen ausgetragenen brutalen Konflikts vielleicht sogar nachvollziehbar.

 

Regierung und Farc haben dennoch versichert, nicht zu den alten Zuständen zurückzukehren. Was bewegt sich im Friedensprozess?

Inzwischen liegt ja aber eine zweite, nachgebesserte Fassung des Abkommens vor, die das Parlament mit großer Mehrheit abgesegnet hat. Präsident Santos selbst qualifizierte diese zweite Fassung wie folgt: „Das Abkommen, das am 26. September in Cartagena unterzeichnet wurde, war nach den Fachleuten wie denen vom Kroc-Institut der Universität Notre Dame eines der besten – wenn nicht sogar das beste und vollständigste –, das in der jüngsten Geschichte zur Lösung eines Konflikts unterschrieben wurde. Ich möchte aber in aller Demut anerkennen, dass dieses neue Abkommen noch besser ist.“

Auch gegen dieses verbesserte Abkommen gibt es Widerstand, aber ich denke, dass nun doch eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung den mittlerweile angelaufenen Prozess der Umsetzung des Abkommens befürwortet. Derzeit sammeln sich die Kämpfer der Farc-Guerilla an den dafür vorgesehenen Orten; trotz teils großer Defizite in der Herrichtung dieser Sammellager und einer vielfach prekären Versorgungslage – eindeutig ein Versagen des Staates, der vertragliche Zusagen nicht eingehalten hat – haben sich die Frauen und Männer der Farc an die ihnen zugewiesenen Orte begeben. Die Zahl von Abtrünnigen, die sich nicht an der Demobilisierung beteiligen wollen, ist entgegen manchen Befürchtungen sehr gering. Und seit Kurzem ist es ein Faktum: Am 7. Februar haben die kolumbianische Regierung und die zweite Guerilla-Bewegung Eln endlich auch mit Gesprächen begonnen, um über ein Friedensabkommen zu verhandeln.

 

Wie sieht Ihre Rolle dabei aus?

Die ist sehr bescheiden. Als Fachkraft der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) e. V. im Personalprogramm Ziviler Friedensdienst (ZFD) berate ich die Nationale Versöhnungskommission der Kolumbianischen Bischofskonferenz und begleite regionale Versöhnungskommissionen in einigen Diözesen; diese setzen sich vor Ort für eine Kultur der Versöhnung und des Friedens ein. Als nationale Einrichtung wirkt die Versöhnungskommission auch auf vielfältige Weise an der Förderung des komplexen Friedensprozesses mit. Ich empfinde es als Privileg, durch meine Mitarbeit in deren Team so nahe an Entwicklungen dran zu sein, in deren Folge aus meiner Sicht Kolumbien ein neues, friedlicheres Kapitel seiner Geschichte zu schreiben beginnt.

 

Was kann und sollte Kirche tun, um den weiteren Friedensprozess zu begleiten?

Seit Jahrzehnten mahnt die Kirche den Frieden an; unsere Versöhnungskommission besteht beispielsweise bereits seit 1995. „Im Geist der Dienstbarkeit werden wir die Umsetzung des Abkommens begleiten, als prophetische Stimme, als Interpreten des Volkes und auf besondere Weise der Opfer des mit Waffen ausgetragenen Konflikts, nämlich der (Klein-)Bauern, der ethnischen Minderheiten und Ärmsten der Armen“, gab der Vorsitzende der Kolumbianischen Bischofskonferenz, Monseñor Luis Augusto Castro Quiroga, Erzbischof von Tunja, in einer Stellungnahme aus Anlass der Verabschiedung des jetzt geltenden Abkommens die Richtung vor. Die Versöhnungskommission hat bereits im vergangenen Jahr begonnen, Pfarrer aus den Gebieten, in denen die zukünftigen Ex-Guerilleros angesiedelt werden, auf ihre schwierige Aufgabe als Wegbereiter für Integration und Friedensstifter vorzubereiten. Schon während des Verhandlungsprozesses auf Kuba hat sich die Kommission die Begleitung von Opfern und die Wahrnehmung von Anwaltschaft für die Opfer zu eigen gemacht. Insgesamt wird sich die Kirche der riesigen humanitären Herausforderung stellen, die das Ende eines über sechzig Jahre währenden Bürgerkriegs mit sich bringt. Dazu gehört auch das Anprangern der Morde, Drohungen und anderer Gewalttaten gegen Verteidiger der Menschenrechte, Führungskräfte von Opferverbänden und sozialen Bewegungen (die sich beispielsweise für die Rückgabe geraubten Landes einsetzen) sowie indigener und afro-kolumbianischer Gemeinschaften. Die Zahl gezielter Morde gegen diesen Personenkreis hat seit Mitte vergangenen Jahres erschreckend zugenommen.

Und hier kann die Kirche von Aachen tätig werden, indem sie neben dem Gebet für Kolumbien und die Menschen hierzulande mit dafür Sorge trägt, dass solche Gewalttaten international bekannt und geächtet werden. Damit wird zugleich der Druck auf die Regierung des Nobelpreisträgers Juan Manuel Santos erhöht, endlich unnachgiebig und wirksam gegen diese Gewaltverbrechen vorzugehen. Und natürlich sollten alle, die bereits jetzt in der Partnerschaftsarbeit mit Kolumbien engagiert sind, all ihren Partnern hierzulande weiterhin und womöglich noch kräftiger als bisher den Rücken stärken, damit sie in ihrem Einsatz für ein friedliches Kolumbien nicht nachlassen.

Stephan Miethke, freigestellter Mitarbeiter des Bistums Aachen, ist Fachkraft im Zivilen Friedensdienst der AGEH und berät seit fünf Jahren die Versöhnungskommission der Kolumbianischen Bischofskonferenz.

Die Fragen stellte Kathrin Albrecht.

Frieden Quadratisch (c) Pfr. Alexius Puls