Eine Ver*rückte

Das Projekt „Mobile Kirchenbank“ zeigt Kirche auf ungewohnte Weise

Margit Umbach, Yasmin Raimundo, Pierre-Willy Ngeyitala, Liduine Thelen, Dorothee Wakefield und links mit Gitarre Pablo Ochoa. (c) Andrea Thomas
Margit Umbach, Yasmin Raimundo, Pierre-Willy Ngeyitala, Liduine Thelen, Dorothee Wakefield und links mit Gitarre Pablo Ochoa.
Datum:
22. Juni 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 25/2021 | Andrea Thomas

Wenn sie reden könnte, sie hätte mit Sicherheit einiges zu erzählen: Feierliches, Besinnliches, Fröhliches, Trauriges, Persönliches, Formelles, Alltägliches, Musikalisches, Lautes, Leises, Ermüdendes, Einsames und Gemeinsames… Und jetzt kommt ganz viel Neues dazu, vor allem ist sie auf ihre alten Tage noch mobil geworden, schnuppert reichlich frische Luft und trifft neue Menschen: die alte Kirchenbank.

Die „verrückte“ Idee, eine Kirchenbank aus ihrem traditionellen Umfeld zu verrücken und mit ihr zu den Menschen zu gehen, hatte Margit Umbach. Bis zum Jahresanfang war sie Fachreferentin für die Caritas der Gemeinde in der GdG Himmelsleiter Kornelimünster-Roetgen, wo sie auch noch in einigen Projekten tätig ist; inzwischen ist sie Gemeindesozialarbeiterin beim Caritasverband Düren-Jülich.

Eine mobile Kirchenbank, die nicht einsam in der Kirche wartet, dass wer kommt, sondern die dort steht, wo Menschen sind, und einlädt, Platz zu nehmen und ins Gespräch zu kommen – das Bild ließ sie nicht los. Kirche mal anders, verrückt eben. „Vielleicht muss man das irgendwie auch sein, wenn man sich mit Kirche beschäftigt und etwas verändern will“, mutmaßt Umbach. Dafür, eine Kirchenbank aus der Kirche auf die Straße zu holen, müsse man das bestimmt sein.

In Yasmin Raimundo-Ochoa, Pastoralreferentin in St. Josef und Fronleichnam im Osten von Aachen, Pierre-Willy Ngeyitala, Mitarbeiter in der Aachener Jugendkirche Kafarnaum in der Innenstadtgemeinde „Franziska von Aachen“ und ihrer ehemaligen Himmelsleiter-Kollegin Dorothee Wakefield, die inzwischen als Gemeindereferentin in der GdG St. Franziskus Düren-Nord tätig ist, fand sie schnell Verbündete für ihre Idee. Die wuchs im Austausch miteinander und bekam neue Ideen-Ableger.

Auch eine – eigentlich sogar vier alte Kirchenbänke waren bald gefunden, die in der Kirche St. Anna in Aachen-Walheim nicht mehr gebraucht wurden und Staub ansetzten. „Eine davon will das Jugendzentrum Space kreativ gestalten, eine ist für ein Erstkommunion-Projekt in Venwegen gedacht und eine Bank soll ihren Platz in St. Fronleichnam bekommen“, zählt Margit Umbach auf. Nummer vier ist seit Mai „die“ mobile Kirchenbank des Projektes.

Noch bis zu den Sommerferien steht sie jeden Donnerstag auf dem Aachener Münsterplatz zwischen Dom und St. Foillan und wartet gemeinsam mit dem Kernteam, das von Ehrenamtlichen unterstützt wird, auf Publikum. Zwischen 12 und 14 Uhr soll sie mit den Menschen, die vorbeikommen, und ihren Themen besetzt werden. „Begegnungen aus dem Augenblick“, wie das Team das beschreibt.

Um ins Gespräch zu kommen, haben sie nicht nur die Bank dabei. Davor steht ein kleiner Tisch mit Blumenvase, und es gibt Kleinigkeiten zum Mitnehmen: Impulskarten mit religiösen und nicht-religiösen Texten, Zitatkärtchen als „Spruch des Tages“ und Gesprächsaufhänger, Anstecker und Samenkapseln mit dem Logo des Projektes. Wer mag, darf etwas ins Bank-Gästebuch schreiben. Außerdem kann man sich die Schuhe putzen lassen. Weitere Angebote wie zum Beispiel ein Kaffeewagen sollen folgen, so es die Corona-Lage zulässt. Einen Anfang machte bei sinkenden Inzidenzwerten die „Musik an der Kirchenbank“ mit Pablo Ochoa. Fortsetzung mit anderen Musikern folgt.

Neben dem Corona-Virus war das Wetter bislang der größte Unsicherheitsfaktor, weshalb der Start verschoben werden musste und zwei Termine „ins Wasser gefallen“ sind. An den Terminen, an denen es stattfinden konnte, war das Angebot bereits ein Erfolg. Auch wenn die Bank „eher unspektakulär, schlicht und gewöhnlich“ ist, wie Margit Umbach sie beschreibt, so ist sie doch ein Hingucker. Vor allem seit sie Kissen mit dem Aufdruck „Ver*rückt. Kirche an der frischen Luft“ und einen regenbogenbunten Sonnenschirm bekommen hat.

 

Die Bank ist ein Symbol für die Situation der Kirche

„Wir hatten schon viele positive Reaktionen und spannende Gespräche“, berichtet Dorothee Wakefield. Viele blieben neugierig stehen, fänden toll, dass sie das machten, und wünschten Erfolg. Dass Kirche so sein kann, offen, einladend, vorurteilsfrei, das überrascht so manchen und bringt ins Gespräch. „Wir hatten in der kurzen Zeit schon Querdenker, Neugierige, Obdachlose, Menschen, die mit der katholischen Kirche nichts oder nicht mehr viel zu tun haben, Gläubige, die etwas verändern wollen und mit ihrer Kirche ringen, und solche, denen Kirche noch nicht streng genug ist“, berichtet Margit Umbach.

„Eine ältere Frau war richtig begeistert und fand toll, dass es sowas wie unser Projekt gibt. Von den Hierarchien war sie, obwohl weiterhin gläubig, so abgeschreckt, dass sie bereits an Austritt gedacht hat“, erzählt Yasmin Raimundo-Ochoa. Manche Gespräche seien nur kurz, viele jedoch auch sehr intensiv und persönlich. „Es reicht nicht, wenn wir in der Kirche bleiben und warten“, sagt Pierre-Willy Ngeyitala über seine Motivation, am Kirchenbank-Projekt mitzuarbeiten. „Ich will wissen, was Menschen über meine Arbeit und die Kirche denken. Das geht nur, wenn wir zu ihnen gehen und zuhören, was sie bewegt und antreibt.“

Die Bank sei ein Symbol, sagt Yasmin Raimundo-Ochoa. „Eigentlich gehört sie in eine Kirche, ist starr und unbeweglich. Wir holen sie an die frische Luft und schenken Menschen etwas: Gespräche, Zuhörer, Bankbegegnungen.“ Liduine Thelen ist an diesem Tag erstmals als Ehrenamtliche an der Bank. Warum sie sich dafür engagiert? „Weil Kirche sich verändern muss. Kirche, das sind wir, die Menschen. Für mich gibt es eine Diskrepanz zwischen Kirche, wie ich sie leben will, und wie sie ist. Und damit bin ich ja nicht alleine.“ Dorothee Wakefield ergänzt: „Kirche steht für mich für die bunte Vielfalt des Lebens, jeder, der sich ihr zugehörig fühlt, ist willkommen. Von Jesus heißt es, er ist gekommen, damit wir das Leben in Fülle haben.“

Wenn die Bank gut angenommen wird – wonach es sehr stark aussieht – sind weitere Aktionen angedacht. So soll die Kirchenbank mit Ausstattung von Gruppen gemietet werden können. Voraussetzung ist laut Team, dass die geplante Veranstaltung oder Aktion geschlechtergerecht, rassismuskritisch und ökologisch nachhaltig ist. Fest stehen bereits ein Ausflug auf den Vorplatz des Aachener Hauptbahnhofs und vor die Grabeskirche St. Josef in Aachen, wo die dortige Trauerpastoral die Bank nutzen möchte. Aber die Bank reist ab dem Sommer auch gern an andere Orte im Bistum, wenn man ihr eine Mitfahrgelegenheit organisiert. Im Ideenfundus des Projektes sind außerdem noch (vorausgesetzt, Corona erlaubt es): Kultur- und Musikveranstaltungen rund um die Bank im Aachener Elisengarten, ein Frühstück oder eine Aktion für obdachlose Menschen mit den kirchlichen Akteuren, die sich in dem Feld engagieren, eine Foto-Aktion „Auf der Bank mit Gott“ oder … Da sei noch ganz viel Luft für Ideen.

Information, Termine und Geschichten auf der 
Internetseite www.verrueckt-aachen.de