Ein neuer Blick auf die Welt

Allein mit seinem Glauben in der Barockkirche St. Georg Neuenhoven während der stillen Wallfahrtsoktav

Abtauchen aus der Gegenwart: Bei der stillen Wallfahrt hatten Pilger die Kirche auch mal für sich. (c) Garnet Manecke
Abtauchen aus der Gegenwart: Bei der stillen Wallfahrt hatten Pilger die Kirche auch mal für sich.
Datum:
14. Juli 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 29/2020 | Garnet Manecke

In diesem Jahr war die Wallfahrtsoktav in Neuenhoven anders als sonst: Keine Pilgergruppen, die gemeinsam zum Gebet kamen und sich anschließend zum Frühstück trafen. Keine Gottesdienste, in denen der rote Faden des Leitthemas in den Predigten weitergesponnen wurde. Stattdessen gab es viel Ruhe und die Möglichkeit, für ein paar Minuten aus der Gegenwart abzutauchen.

Am Eingang wird auf die Hygienebestimmungen hingewiesen. (c) Garnet Manecke
Am Eingang wird auf die Hygienebestimmungen hingewiesen.

Neuenhoven ist nicht gerade das, was man heutzutage einen Hotspot nennen würde. Weder im alltäglichen Sinne, noch auf das Glaubensleben bezogen. Das war mal anders: Seit dem 14. Jahrhundert ist das Dorf bei Jüchen Anziehungspunkt für Pilger. Jedes Jahr im Juli kommen sie, um die 14 Nothelfer anzubeten. Bis in die 1960er Jahre war die Wallfahrt ein großes Ereignis, bei dem ein landwirtschaftlicher Markt vor der Kirche stattfand und in deren Zeit das Vertragsschlussdatum für Landübertragungen fiel.

Aber wie bei vielen Wallfahrten, nahm mit den Jahren die Teilnehmerzahl ab. Den Markt gibt es schon lange nicht mehr. Aber immerhin um die 2000 Pilger kamen bis vergangenes Jahr während der Oktavwoche zur Verehrung. In einem Dorf wie Neuenhoven fallen die durchschnittlich 300 Wallfahrer pro Tag auf. In diesem Jahr war alles anders: Corona hat den Wallfahrtsort zu einem ruhigen Wallfahrtsort gemacht. Wer hierhin kam, hatte gute Chancen, die kleine Kirche in der Kurve an der Dorfstraße ganz für sich allein zu haben.
Schon an der Eingangstür wird man an seine Verletzlichkeit erinnert – so wie das derzeit an vielen Orten der Fall ist. An der Holztür stehen direkt unter dem grünen Balken mit der Aufschrift „Eingang“ in roter Schrift, unterlegt von warnendem Gelb, was derzeit nicht möglich ist: die Ausgabe von Weihwasser, das Händeschütteln zum Friedensgruß, das Weiterreichen des Klingelbeutels und der Kommunionempfang mit dem Mund. Für einen kurzen Moment zuckt man hier zurück: Das klingt nicht nach einer Einladung – obwohl man natürlich weiß, dass dieses Schild den Umständen der Pandemie geschuldet ist. 
Die Tür ist offen, die Kirche leer und man tritt heraus aus der Gegenwart in eine ruhige Welt, in der man mit sich und seinem Glauben allein ist. Die Flamme der brennenden Wallfahrtskerze bewegt sich nicht. Die Stille umfängt einen. Die Gedanken schweifen, der Alltag fällt ab. In diesem Jahr ist die stille Wallfahrtsoktav auch der heiligen Corona gewidmet. Weil das Schicksal der Märtyrerin die Zerrissenheit der Menschen in der Gegenwart symbolisiert.

Die früheste urkundliche Erwähnung dieses Ortes stammt aus dem Jahr 1382. Schon damals erbaten die Gläubigen den Beistand der 14 Nothelfer. Seitdem mussten die Menschen viel überstehen: Epidemien wie die Pest im 14. Jahrhundert, den 30-jährigen Krieg und die Zerstörung der Kapelle, den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Die Welt hat sich trotz der Katastrophen weitergedreht. Die Menschen haben hier Trost gefunden, sich hier versammelt und gegenseitig gestützt. Die Corona-Pandemie ist an diesem Ort nur ein Ereignis unter vielen.

Zurück auf der Straße empfängt einen die üppige Natur: Das Lavendelbeet, in dem die Hummeln ihre Arbeit machen, die grünen Bäume, hinter denen die alten Bauernhäuser fast verschwinden. Der Blick auf die Schöpfung zeigt: Das Leben geht weiter.