Ein Traum wird wahr

Einige Frauen und Männer der Wohnstätte Höngen nehmen zum ersten Mal an der Sternsingeraktion teil

Gespannt sieht Petra (2.v r.) zu, wie Sylke Seefeldt (2. v .l.) die Melodie zum Lied auswählt. Agi (l.) konzentriert sich auf den Text.. (c) Garnet Manecke
Gespannt sieht Petra (2.v r.) zu, wie Sylke Seefeldt (2. v .l.) die Melodie zum Lied auswählt. Agi (l.) konzentriert sich auf den Text..
Datum:
28. Dez. 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 01/2020 | Garnet Manecke

In diesem Jahr wird in Höngen eine besondere Gruppe Sternsinger von Haustür zu Haustür ziehen, um den Segen zu spenden. Die Bewohner der Wohnstätte haben sich seit Wochen auf diesen Tag vorbereitet, Lieder geübt und den Segensspruch gelernt. Gemeinsam mit ihren Betreuern erfüllen sich die Frauen und Männer mit geistiger Behinderung einen Traum: Denn einige von ihnen wären gerne schon als Kind mitgegangen, durften aber nicht. Jetzt sind sie die Segensbringer in Höngen.

Eine Träne kullert Agi über das Gesicht. Ein bisschen verlegen wischt sie sie ab, aber da kommt schon die nächste. Agi will eigentlich singen, aber die Stimme versagt in diesem Augenblick. Für sie geht ein Kindheitswunsch in Erfüllung: Sie wird als Sternsingerin den Bewohnern in Höngen den Segen bringen und Geld sammeln. Damit wird Kindern in Entwicklungsländern geholfen und eine Perspektive gegeben: In verschiedenen Projekten bekommen sie eine gesunde Ernährung, Schulbildung oder ihnen wird auf andere Weise geholfen, den Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu finden. Und Agi ist Teil dieser  Hilfe. Ein bisschen ist sie stolz darauf. Genauso wie Petra,

Gisela, Juppi, Franz, Johann und Marion, die alle um den Tisch herum sitzen und nun die Lieder üben, die sie den Spendern zum Dank an den Haustüren singen wollen.

Sylke Seefeldt, Gemeindeassistentin in der GdG St. Servatius Selfkant, hat die Frauen und Männer angesprochen. „Mir ist aufgefallen, dass die Bewohnerinnen und Bewohner der Wohnstätte noch nie einbezogen worden sind“, sagt sie. Also habe sie sich ein Herz gefasst und einfach bei der Hausleitung nachgefragt, ob es jemanden gibt, der bei der Aktion mitmachen wollte. Sofort hat sich eine Gruppe zusammengefunden.

„Frieden! Im Libanon und weltweit“ ist in diesem Jahr der Leitspruch der Aktion

Beim ersten Treffen hat Sylke Seefeldt drei kleine Puppen mitgebracht, die die Heiligen Drei Könige darstellen. Mit ihnen erklärt sie die Geschichte und den Inhalt der Sternsinger-Aktion. Auch dass in diesem Jahr die Kinder im Libanon im Mittelpunkt stehen, berichtet sie den Sternsinger-Aspiranten. „Frieden! Im Libanon und weltweit“ ist der Leitspruch 2020.

Der Libanon ist für das Thema das Beispielland, weil hier die Brüchigkeit des Friedens anschaulich aufgezeigt werden kann. 15 Jahre, 1975 bis 1990, leidet das Land unter einem Bürgerkrieg. Mit der Beendigung hat das Land im Nahen Osten es geschafft, demokratische Strukturen einzuführen und den Frieden zwischen unterschiedlichen Religionen und Konfessionen herzustellen. Die Menschen können aufatmen, eine sichere Zukunft scheint greifbar. Doch mit dem Krieg im benachbarten Syrien, der 2011 begann, ist der soziale Friede schon wieder bedroht. 1,2 Millionen Kinder, Frauen und Männer, die aus Syrien geflüchtet sind, hat das Land aufgenommen. Damit stellen Flüchtlinge mittlerweile ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Vor dem Hintergrund, dass die alten Vorurteile unter den Bevölkerungsgruppen und Bürgerkriegsparteien weiter gären, ist das ein gefährlicher Nährboden für die Bedrohung des gesellschaftlichen Friedens. Es fehlt an Bildungsmöglichkeiten, und das Gesundheitssystem ist unzureichend. Das hat auch Einfluss auf die Kinder und Jugendlichen, die einer zunehmenden Perspektivlosigkeit ausgesetzt sind.

Als Sylke Seefeldt mit den glitzernden Königsumhängen und den goldenen Kronen in den Aufenthaltsraum der Wohnstätte Höngen kommt, ist die Aufregung groß. Die Umhänge, die die kostbaren Gewänder der Heiligen Drei Könige symbolisieren und die im Licht leuchtenden Kronen sind das Zeichen dafür, dass ihr Traum jetzt Wirklichkeit wird: Die Gruppe, die hier um den Tisch sitzt, wird zum ersten Mal in Höngen bei der Sternsinger-Aktion mitmachen. „Das habe ich mir schon als Kind gewünscht“, sagt Agi. „Aber ich durfte nicht mitgehen.“ Marion strahlt, als sie die Krone auf ihr Haupt gesetzt bekommt. Sie hat sich extra bunte Armbänder angezogen und die Fingernägel mit einer dezenten Farbe lackiert. Schließlich will sie gut aussehen, wenn sie den gelben Stern trägt. Johann hält die Spendenbüchse mit beiden Händen fest und übt schon mal die richtige Haltung, damit die Spender das Geld gut hineinstecken können.

27 Frauen und Männer im Alter von 20 bis Anfang 60 leben in der Wohnstätte direkt hinter dem Ortsschild. 1998 ist das Haus mit dem großzügigen Garten eröffnet worden. „Jesus hat auch diejenigen in den Blick genommen, die krank sind und schwach“, sagt Sylvia Seefeldt. Ihr ist aufgefallen, dass es kaum Kontakt zu den Bewohnern der Wohnstätte gab. „Dabei gehören sie doch genauso zur Gemeinde. Aber wir können nicht warten, dass sie zu uns kommen, wir müssen aktiv auf sie zugehen“, ist sie in Bezug auf ihre Arbeit in der Kirche überzeugt. Von dem Zuspruch der sieben, die hier um den Tisch versammelt sind, und ihrer Begeisterung, ist Seefeldt überrascht. „Ist das nicht schön?“, fragt sie voller Freude.

Eigentlich sagen die Sternsinger an den Haustüren ihren Segensspruch auf. Aber für die Bewohner ist es schwer, den Text auswendig zu lernen. Deshalb hat sich Seefeldt dazu entschieden, das Singen noch mehr in den Vordergrund zu stellen. „Wenn sie singen, können sie es besser behalten. Den Segensspruch sagen dann die Begleiterinnen“, hat die Gemeindereferentin entschieden.

Marion, Johann, Franz, Juppi, Gisela, Petra und Agi werden in Höngen Segen bringen

Bei aller Vorfreude hat Seefeldt die Gruppe auch auf mögliche negative Reaktionen vorbereitet. „Es kann sein, dass Euch die Tür nicht aufgemacht oder sogar vor der Nase zugeschlagen wird“, sagt sie. „Das passiert immer wieder mal. Auch anderen Gruppen.“ – „Davon lassen wir uns nicht entmutigen und den Spaß verderben“, entscheidet Petra entschlossen. Denn gerade der Spaß ist für sie das entscheidende Kriterium, mitzumachen. Dass es an dem Tag sehr kalt werden könnte, muss einkalkuliert werden. Und dass sich alle abwechseln beim Tragen der Spendenbüchse und des Sterns oder beim Aufkleben der Spruchbänder. Am Ende des Abends fällt es allen schwer, sich von ihren Kronen und Umhängen zu trennen. Aber die werden erstmal eingesammelt und in der Kiste aufbewahrt. Bis zu dem großen Tag, an dem aus Marion, Johann, Franz, Juppi, Gisela, Petra und Agi die Segensbringer von Höngen werden.

 

Info

4. Januar: Mit einer Aussendungsfeier in der Kirche St. Lambertus Höngen um 9 Uhr werden die Sternsinger auf ihren Weg geschickt. Dann ziehen die Gruppen durch den Ort, um Spenden für die Aktion Dreikönigssingen zu erbitten.

2019 sammelten die Sternsinger bundesweit 50235623,62 Euro und damit rund 1,4 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Das ist das höchste Ergebnis seit dem Start der Aktion 1959. Seither kamen beim Dreikönigssingen insgesamt rund 1,14 Milliarden Euro zusammen, mit denen mehr als 74400 Projekte für benachteiligte Kinder in Afrika, Lateinamerika, Asien, Ozeanien und Osteuropa unterstützt wurden.

Träger der Aktion sind das Kindermissionswerk und der Bund der Deutschen Katholischen Jugend.

Sternsingeraktion Höngen

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