Ein Stück Weltgeschichte

In der „Stadt wie Samt und Seide“ Krefeld blickt Gotzes Paramentenfabrik auf eine lange Tradition

Noch heute können die alten Webstühle in Krefeld erkundet werden. (c) Haus der Seidenkultur
Noch heute können die alten Webstühle in Krefeld erkundet werden.
Datum:
13. Juli 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 28/2021 | Ann-Katrin Roscheck

Vier Fenster in der ersten Etage, eine wunderbare, sehr gepflegte Jugendstilfassade und zwei Eingänge, einer für das frühere Personal und einer für edle Gäste, weisen an der Luisenstraße 15 in Krefeld darauf hin, dass hier in früheren Zeiten einmal vermögende Leute gewirkt haben müssen. Vier Fenster nämlich waren im alten Krefeld ein Zeichen für Reichtum: Die Stadt zog für die Länge der Fassade, die an die Straße grenzte, Steuern ein. Nur wenige Familien konnten sich deswegen mehr als zwei und erst recht nicht vier Fenster leisten. Ein rechteckiges Messingschild neben der Klingel verrät mehr über die Historie des Hauses: „Hubert Gotzes Paramente“ steht hier in großen Lettern geschrieben.

Wer sich am Niederrhein auskennt, der weiß, dass Krefeld auch heute noch den Beinamen „Stadt wie Samt und Seide“ trägt. Nur wer in die Tiefe der Seidenkultur eingetaucht ist, kennt aber die Geschichte von Hubert Gotzes, der als Weber für Priestergewänder und Chormäntel die religiöse Seidenkunst aus Krefeld in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis nach Amerika bekannt machte. Heute erinnert das „Haus der Seidenkultur“, ein Museum, in der alten Paramentenweberei an diese Geschichte. Als ehemaliger Patroneur, der neben Musterzeichner und dem Kartenschläger für die Abwicklung der Vorstufen des Webens verantwortlich war, hat Günter Goebels hier nicht nur zurück zu seinem früheren Schaffenskreis gefunden, sondern ist ein lebendiger Zeitzeuge. 

Dass Krefeld mit dem Textilhandwerk so berühmt wurde, verdankt es am Ende 
einer religiösen Weltentwicklung und irgendwie sogar der Figur Martin Luthers. „Nach der Reformation suchten Menschen jeglichen Glaubens einen Ort, an dem sie in Toleranz leben konnten“, erklärt Goebels. „In Krefeld fanden sie ihn. Im 17. Jahrhundert zogen Protestanten und Mennoniten in die Stadt.“ Eine der mennonitischen Familien, die infolgedessen Krefeld als Heimat auswählten, waren die von der Leyens – vermögende Seidenweber und Seidenhändler. Sie holten auch den ersten Produzenten kirchlicher Textilien, die Familie Casaretto, aus Italien nach Krefeld. Waren die Casarettos mit der Herstellung der Paramente erfolgreich, fiel sein florierendes Unternehmen auch dem jungen Weber Hubert Gotzes ins Auge. Casarettos Gedeihen faszinierte ihn so sehr, dass er ebenfalls beschloss, eine Fabrik für Paramente in Krefeld zu gründen. 1908 kaufte er das Haus an der Luisenstraße.

In den unteren Räumlichkeiten empfing er Priester mit Wein und Bischöfe mit Champagner. In einem großen Ankleidezimmer konnten sich die Herren die feinen Stoffe anschauen und den eigenen Mantel zusammenstellen. Anschließend wurde jedes Gewand individuell gefertigt. „Die Chormäntel kosteten so viel wie ein Kleinwagen“, erklärt der Patroneur. „Aber die Kirche hatte Geld. Hier achtete niemand auf die Finanzen.“ 

Schon damals waren ähnliche Muster in allen Paramentenfabriken beliebt. Jede einzelne Fabrik hatte aber ihre Eigenart, die Stoffe anzufertigen. War Goebels zwar damals nicht für Hubert Gotzes tätig, so kennt er doch aus seinem Berufsleben als Patroneur die genauen Abläufe der Stoffentwicklung. „Neben mir gab es noch den eigentlichen Musterzeichner und den Kartenschläger“, erinnert er sich. Der kleine Unterschied macht es aus. Beim beliebten Hirschsymbol beispielsweise unterscheidet sich auch heute noch je nach Fabrikat die Tropfenzahl der feinen Linien oder die Position der Halskette. 

Nicht nur den Hirschstoff, sondern auch weitere Muster gab Hubert Gotzes seinem jüngsten Sohn mit, als er diesen mit 17 Jahren nach Chicago schickte. Gotzes Junior sollte hier eine weitere Paramentenfabrik aufbauen. Kurze Zeit später, beim 26. Eucharistischen Weltkongress, der 1926 durch Zufall in Chicago stattfand, passierte etwas Unglaubliches. „Bei der Prozession öffnete der Himmel seine Schleusen, und es regnete in Strömen“, weiß Goebels aus Erzählungen. „Die Geistlichen in ihren teuren Gewändern sahen aus wie begossene Pudel. Nur aber diejenigen, die Stücke aus Gotzes Fabrik trugen, erstrahlten.“ Der Regen konnte der hohen Qualität der Chormäntel und Priestergewänder nichts anhaben. Über Nacht wurde die Paramentenfabrik Gotzes weltweit bekannt und konnte sich anschließend vor An-fragen kaum noch retten. 

Es war ungefähr zur gleichen Zeit, als auch eine Krefelder Gegebenheit das Geschäft der Gotzes ankurbelte. Die Seidenindustrie war so erfolgreich, dass Arbeiter aus der Umgebung eingefahren werden mussten. Dafür wurde eine Zugverbindung zum Beispiel ins benachbarte Kempen gebaut. Durch die Herrschaft der Preußen war es katholischen Priestern nur erlaubt, in zivil in der Stadt herumzulaufen. Wenn aber die Fronleichnamsprozession anstand, zeigten alle Geistlichen ihre farbenfrohen, teuren Gewänder in der Öffentlichkeit, und Menschen aus der gesamten Region strömten zur Dionysiuskirche, um sich das Spektakel anzuschauen. „Es gab eine Zeit, da hatte Krefeld deswegen nach dem Vatikan und nach Köln die drittgrößte Fronleichnamsprozession überhaupt“, erklärt Günter Goebels. 

Diese und viele weitere Geschichten bewahren Ehrenamtler wie Goebels heute im Haus der Seidenkultur auf und erzählen sie weiter. Sie sorgen dadurch auf der einen Seite dafür, dass die besondere Tradition der Stadt von den nachfolgenden Generationen nicht vergessen wird, sie holen aber auch verlorene Schätze wieder in die Heimat, um sie für die Nachwelt verfügbar zu machen. An unterschiedlichen Standorten werden die alten Gewänder sicher verwahrt, und einige davon gemeinsam mit den originalen Webstühlen an der Luisenstraße ausgestellt.

„Wir haben auch rund die Hälfte des Lochkartenbestandes inzwischen zusammen“, erklärt der ehemalige Patroneur. Ist die Herkunft eines Priestergewandes durch ein fehlendes Schildchen im Umhang nicht zu erkennen, kann Goebels damit prüfen, ob es ein Fabrikat aus Gotzes Fabrik ist. „Wir möchten dazu aufrufen, dass möglichst viele Gemeinden im Bistum noch einmal nachsehen, ob es in verschlossenen Schränken oder Dachböden noch alte Gewänder gibt“, schließt der Patroneur ab. „Es wäre schön, wenn wir so gemeinsam die Tradition Krefelds bewahren könnten.“

Das Haus der Seidenkultur in Krefeld bietet auch Führungen an. Weitere Informationen finden Sie im Internet auf www.seidenkultur.de

Schätze im Haus der Seidenkultur Krefeld

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