Ein Leben in Fülle

Caritas im Bistum Aachen bleibt auf Kurs für Menschen am Rand

Ein besonderer Moment in der Geschichte der Caritas im Bistum Aachen: die öffentliche Übergabe der Amtsgeschäfte von Burkard Schröders (hinten) an Stephan Jentgens (vorne). Mit dabei: Sr. Maria Ursula Schneider (l.) und Monika Karim sowie Generalvikar (c) DiCV Aachen/Frank Kind
Ein besonderer Moment in der Geschichte der Caritas im Bistum Aachen: die öffentliche Übergabe der Amtsgeschäfte von Burkard Schröders (hinten) an Stephan Jentgens (vorne). Mit dabei: Sr. Maria Ursula Schneider (l.) und Monika Karim sowie Generalvikar
Datum:
25. Nov. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 48/2020 | Thomas Hohenschue

Papst Franziskus wünscht sich eine verbeulte Kirche, welche die Ärmel hochkrempelt, um Menschen am Rande der Gesellschaft aufzurichten. Er wünscht sich eine Kirche, die anwaltschaftlich die Stimme erhebt für die Armen und Bedrängten, die Mitverantwortung übernimmt für das gemeinsame Haus, in dem wir alle leben. Das alles verbindet sich in der verbandlichen Caritas. Und es macht die Grundüberzeugung zweier Männer aus, welche im Bistum Aachen Verantwortung für diesen Zweig der Kirche tragen: 23 Jahre lang Burkard Schröders und nun Stephan Jentgens.

Stephan Jentgens (l.) und Burkard Schröders haben kollegial den Übergang gestaltet. (c) DiCV Aachen/Frank Kind
Stephan Jentgens (l.) und Burkard Schröders haben kollegial den Übergang gestaltet.

Corona macht alles anders in diesem Jahr, auch beim Aachener Diözesancaritasverband. Daher konnte der langjährige Direktor Burkard Schröders weder die Übergabe seiner vielfältigen Geschäfte und Ämter so bestens vorbereitet vollziehen, wie er es vorhatte, noch überhaupt seinen Alltag in diesem Jahr gut steuern. Mehrere Monate bestimmten das Virus, der Infektionsschutz und die sozialen Folgen, womit er sich vorrangig zu beschäftigen hatte. Wer Schröders kennt, kann sich vorstellen, dass ihm dieser Kontrollverlust wenig schmeckte. Schließlich, im Sommer, aber gelang es trotzdem, in die Übergabe an seinen früh gewonnenen Nachfolger Stephan Jentgens einzusteigen. Jetzt, wo die Staffelübergabe unmittelbar bevorsteht, mit einer kleinen Feier im Dom die bischöfliche Beauftragung an Jentgens vollzogen wird, schauen beide zufrieden daher. In großer Kollegialität haben sie sich durch die vielen Aufgaben- und Arbeitsfelder gewühlt, und Stephan Jentgens hat sich gut orientieren können.

Corona bestimmte auch den Moment der öffentlichen Übergabe der Amtsgeschäfte. Die Pressekonferenz dazu fand im Wesentlichen online statt. Im großen Saal an der Burtscheider Kapitelstraße saßen dann einige Offizielle und die beiden besagten Herren. Für den Vorstand des Caritasverbands erhob einleitend Sr. Maria Ursula Schneider das Wort, stellte in Aussicht, dass der Nachfolger des langjährigen Direktors ein Mensch sei, der das Bistum und dessen Strukturen kenne und aus seiner bisherigen Arbeit unter anderem bei Adveniat wisse, wie wichtig die Kooperation in Netzwerken sei. 

Generalvikar Andreas Frick würdigte Präzision, Klarheit, Erinnerungsvermögen und Weitsicht des scheidenden Burkard Schröders, der stets einen sehr wachen Blick für die Notlagen von Menschen bewiesen habe. „Das Bistum hat ihm viel zu danken“, sagte Frick. Auch beim Nachfolger Stephan Jentgens wusste er die Überzeugung gut vertreten, dass jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist und der diakonische Dienst auch eine Verkündigung des Heilswerkes Gottes darstellt.


Offizieller Stabwechsel in der Direktion 


Der mit so viel Vorschusslorbeeren versehene künftige Diözesancaritasdirektor skizzierte im Nachfolgenden, in welchem Geist er sein Amt anpacken möchte. Ein wichtiges Stichwort für ihn ist Partizipation in allen Prozessen, die anstehen, bei Dingen, die sich verändern müssen. Klar könne man in so einer entscheidenden Position sich mit den eigenen Standpunkten profilieren und Dinge setzen. Aber er habe bei seinen bisherigen beruflichen Stationen gesehen und gelernt, dass die Kooperation die Handlung mit der längeren Reichweite sei. 

Für ihn ist ein Ziel das Wichtigste: der Auftrag des Evangeliums, dass alle Menschen bei uns in Deutschland und in der Welt insgesamt ein Leben in Fülle haben. Als Direktor werde er sehen, dass dieser Auftrag Hände und Füße bekomme – und eine Stimme. Man könne kaum treffender formulieren, worum es bei der Caritas geht, als sie es mit ihrem Slogan tut: „Not sehen und handeln“. Und Jentgens benannte gleich vier Felder, die er besonders im Blick hat. 

Mit Sorge beobachtet er eine wachsende Kluft in der Gesellschaft, viele, die abgehängt werden. Für ihre Teilhabe engagiert sich die Caritas, in Gemeinschaft. In den an den Rand Gedrängten sollten wir alle unsere Geschwister sehen, appelliert Jentgens. Auch fünf Jahre nach 2015, als Geflüchtete auf viel Hilfsbereitschaft, aber auch starke Ablehnung stießen, brauche es weiter die Unterstützung der ganzen Gesellschaft, um diese Neubürger in das Gemeinwesen zu integrieren. Wer sich von diesem im Grundgesetz verankerten Grundkonsens abgrenze, stelle sich außerhalb der Gesellschaft, zeigte Jentgens Flagge gegenüber Populisten, die Stimmung gegen Geflüchtete schüren.

Als drittes wichtiges Thema stellt der künftige Caritasdirektor die Aufwertung von Pflege- und sozialen Berufen heraus. Vom sicherlich gut gemeinten Klatschen am Fenster könnten sich die Frauen und Männer, die tagaus, tagein auch ohne Coronakrise an ihre Grenzen gehen, sprichwörtlich nichts kaufen. Es brauche außerdem bessere Arbeitsbedingungen. Und als vierter Punkt nennt Jentgens die Digitalisierung, welche die Gesellschaft erfasst hat und die auch in der sozialen Arbeit Einzug hält. Hier sei dringend darauf zu achten, dass nicht alte soziale Klüfte verstärkt oder neue geschaffen werden.

Während sein Nachfolger das künftige Programm skizzierte, saß der bisherige Direktor nicht mehr als Macher, sondern als aufmerksamer Zuhörer daneben, um später Dank zu sagen für Vertrauen und Zusammenarbeit. Schon Tage zuvor hatte Burkard Schröders einen Einblick in seine Seelenlage gegeben. 23 Jahre waren eine lange, unter dem Strich anstrengende, aber erfüllende Zeit. Seit einem gesundheitlichen Mahnruf vor acht Jahren ging es früher nach Hause, alles war ein wenig geregelter, zwar verdichtet, aber auch klarer, auch im Verständnis, wie erfolgreiches Segeln im Flottenverbund der verbandlichen Caritas geht, über viel Gespräch und Kooperation. Er schätzt die Debattenkultur in der Caritas.

Dass soviel Sinn hinter all dem steckt, hat Schröders immer stimuliert und motiviert. Als positive Höhepunkte aus einer Amtszeit nennt er die Bewältigung der Zuwanderung 2015 und auch, wie die Caritas dieses verflixte Coronajahr im Sinne der Menschen gestemmt hat. Als schwierige Momente seiner Amtszeit blickt er auf den Umbruch in der Schwangerenkonfliktberatung zurück, der ihn mit der Kirche hadern ließ, sowie auf die Finanzkrise im Bistum, die ihn manche schlaflose Nacht gekostet hat. Jetzt freut er sich auf ein intensives Leben im Kreis der Großfamilie, mit den Enkeln. Noch empfindet er befremdliche Gefühle, wenn er in seinen recht leeren Terminkalender für 2021 blickt. Und weiß doch, dass dieser sich füllen wird. Lockrufe für Ehrenämter gibt es viele, noch hat er nur in Einzelfällen nachgegeben. Er will sich neu erfinden.