Ein Angriff auf das Allerheiligste

Vandalismus und Einbruch in Kirchen in Krefeld und dem Kreis Viersen sind keine Seltenheit

Der Altar noch vollständig: Die goldene Tür des Tabernakels wurde gestohlen. (c) Foto: Jan Lange
Der Altar noch vollständig: Die goldene Tür des Tabernakels wurde gestohlen.
Datum:
21. Juli 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 30/2020 | Ann-Katrin Roscheck

Das Haus Gottes“ – wenn wir uns diese drei Worte auf der Zunge zergehen lassen, dann haben wir Assoziationen mit ihnen, die weit über eine oberflächliche Betrachtung hinausgehen. Eine Kirche ist ein Ort, an dem wir Gott so nah sind wie selten.

Die jüngste Tat: Gewaltsam wurde die Tür aus ihren Scharnieren gerissen (c) Foto: Jan Lange
Die jüngste Tat: Gewaltsam wurde die Tür aus ihren Scharnieren gerissen

An dem wir unsere Sorgen und Ängste und auch unsere Dankbarkeit in ein Gebet legen. An dem wir beichten, wofür wir uns schämen und worauf wir nicht stolz sind, und Buße tun. An dem wir an Verstorbene denken, Kranken Genesung wünschen und für unsere Familie sprechen. Eine Kirche ist ein intimer Raum, er ist Gottes Wohn- und  Sprechzimmer gleichermaßen. „Umso erschreckender ist es, dass jemand in unsere Kirche gewaltsam eingedrungen ist und sich am Allerheiligsten bedient hat“, sagt Jan Lange von St. Johann Baptist in Krefeld fassungslos. „Die Gemeinde befindet sich in Schockstarre.“

Es ist rund zwei Wochen her, dass in der Nacht von Donnerstag auf Freitag Unbekannte die schwere Kirchentür im Gebäude am Johannesplatz aufgebrochen haben. Die Diebe entwendeten nicht nur einen kunstvoll verzierten Messingständer, der erst vor Kurzem von Pfarrer Schwarzmüller selbst angeschafft wurde, sondern rissen die wertvolle alte Schmucktüre des Hostienschreins gewaltsam aus den Scharnieren und nahmen sie mit. „Ich bin enttäuscht und wirklich getroffen“, erklärt der Leiter des Gemeindeausschusses. „In der Gemeinde werden Sätze laut wie ‚Jetzt schrecken die vor nichts mehr zurück‘, aber ich frage mich vor allem, was der Hintergrund dieser Tat ist. Unsere Tabernakeltüre ist so auffällig, die lässt sich nicht einfach verkaufen.“ Deswegen sucht die Polizei Krefeld jetzt nicht nur nach Zeugen, die in der Tatnacht etwas gesehen haben, sondern hofft auch, durch Zeugenaussagen etwas zum Verbleib der besonderen Gegenstände zu erfahren.

Die Motive der Täter aber bleiben weiter unklar. Auch Pfarrer i. R. Manfred F. Bub aus Tönisvorst kennt das Gefühl, wenn sich jemand an „seiner“ Kirche zu schaffen macht. Anfang des Jahres gab es drei Brandanschläge auf das Gebäude der Gemeinde Maria Waldrast. „Unbekannte haben versucht, Feuer zu legen“, schildert Bub. „Zugegebenermaßen war der Versuch stümperhaft, aber die Kriminalpolizei hat die Vorfälle dennoch sehr ernstgenommen.“ Während der Pfarrer das Zündeln nur trocken mit den Worten kommentiert: „Die Seele des Menschen ist unauslotbar“, sind in der Gemeinde die Folgen der Brandattacken zu spüren. Es hat sich eine Nachbarschaftswache gegründet, die immer mal wieder zu später Stunde in der Gemeinde nach dem Rechten schaut. Auch eine Überwachungskamera wurde angebracht, die das Gebäude zukünftig schützen soll. „Ich habe schon das Gefühl, dass dadurch weniger Menschen die Gottesdienste besuchen“, erklärt der Pfarrer weiter. „Ich persönlich finde es schade, dass wir die Täter nicht finden konnten. Ich glaube, solche Menschen brauchen Hilfe. Diese hätte ich gerne gegeben.“

Immer wieder hat die Polizei in Krefeld und dem Kreis Viersen mit Vandalismus und Einbruch an Kirchen zu kämpfen. Nicht nur katholische Häuser sind betroffen, auch in evangelischen Gemeinden gibt es Vorfälle, und kreisweit sind auch Fälle in freikirchlichen Gemeinden oder auch an Gebäuden der Zeugen Jehovas bekannt – die Täterermittlung gelingt selten. Innerhalb der letzten vier Jahre sind im Kreis Viersen knapp 40 Fälle angezeigt worden. Das Vorgehen der Täter reicht vom Besprühen der Kirchenwände über das Einschlagen oder Einwerfen von Fenstern bis hin zum Beschädigen von Figuren. Rund 20 Mal wurde im Kreis Viersen in den letzten vier Jahren in Kirchen eingebrochen: Vor allem das Aufbrechen von Opferstöcken beschäftigt die Polizei.

Auch in Krefeld werden immer wieder Fälle gemeldet. Die Statistik weist auch hier eine ganze Bandbreite von Delikten auf: von einfachem Diebstahl über den schweren Diebstahl, also zum Beispiel das Aufbrechen eines Behältnisses, bis hin zum gezielten Diebstahl von sakralen Gegenständen. „Was genau die Motivation im Einzelfall ausmacht, ist schwer zu beantworten und wird uns nur dann bekannt, wenn der Fall geklärt wird und der Täter eine Aussage macht“, schildert Karin Kretzer als Leiterin der Pressestelle der Polizei Krefeld. „Gleichwohl ist anzunehmen, dass den Tatverdächtigten die Besonderheit der Örtlichkeit bewusst ist, die sie weder rechtlich noch moralisch davon abhält, eine Straftat zu begehen.“

Diesen Gedanken an das bewusste Eindringen in „ihr“ Gotteshaus wird auch Jan Lange und die Gemeinde rund um St. Johann Baptist noch eine ganze Weile beschäftigen. Lange ist zudem beunruhigt von der Tatsache, dass die Täter einige Zeit die Räumlichkeiten beobachtet haben müssen. „Unsere Kirche ist ja eine der wenigen Häuser in Krefeld, die tagsüber besuchbar ist“, erklärt er. „Für mich wirft das viele Fragen auf. Theoretisch wäre es viel leichter gewesen, einfach Gegenstände in den Rucksack zu stecken und die Räume wieder zu verlassen, als sich nachts Zutritt zu verschaffen.“

Darüber hinaus ist St. Johann für seine außergewöhnliche Ausstattung bekannt. Priester Kaspar Thywissen, der als erster Pfarrer die Gemeinde leitete, kaufte von seinem Privatvermögen wahre Schätze für die Räumlichkeiten und brachte besondere Geschenke von seinen Reisen mit. „Bei einer Romreise schenkte man ihm zum Beispiel einen gläsernen Schrein mit den Gebeinen des heiligen Gaudentius“, erklärt Lange. „Auch aus dem Nachlass von Dompropst Münzenberger sind heute einige spätgotische Kostbarkeiten in unserer Kirche zu Hause.“ All diese Gegenstände befinden sich weiterhin in der Kirche. Und genau deswegen bleibe das Gefühl, so schildert der 20-Jährige, dass die Verbrecher nicht nur stehlen, sondern auch das Herz der Kirche angreifen wollten: „Der Tabernakel verwahrt den Leib Christi. Das ist ein Angriff auf das Allerheiligste.“