Das Regenbogenkreuz

Hinweise zum neuen Schloss für die Aachener Heiligtumsfahrt 2021

Fünf Smaragde zieren den Ölzweig der Friedenstaube. Gestiftet hat sie der bisherige Primas von Kolumbien und inzwischen emeritierte Erzbischof von Bogotá, Kardinal und Ehrendomherr Rubén Salazar Gómez, als Zeichen für die tiefe Partnerschaft zwischen der Kirche Kolumbiens und dem Bistum Aachen. (c) Domkapitel Aachen/andreas Steindl
Fünf Smaragde zieren den Ölzweig der Friedenstaube. Gestiftet hat sie der bisherige Primas von Kolumbien und inzwischen emeritierte Erzbischof von Bogotá, Kardinal und Ehrendomherr Rubén Salazar Gómez, als Zeichen für die tiefe Partnerschaft zwischen der Kirche Kolumbiens und dem Bistum Aachen.
Datum:
30. Juni 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 27/2020 | Von Heinrich Mussinghoff

Bei meinen Reisen ins Heilige Land hat mich das „Regenbogenkreuz“ auf der Sinaihalbinsel tief beeindruckt. Der Sinai ist durchzogen von vielen Pilgerwegen. Von Ägypten her durchqueren Muslime auf der Hidschra, auf der pflichtmäßigen Wallfahrt nach Mekka und Medina, den Sinai, während Juden und Christen den Mosesberg oder die Heilige Stadt Jerusalem zu erreichen suchen.

Der Mosesberg erinnert an den Bund Gottes mit seinem Volk Israel und macht die vierzigjährige Wanderung des Gottesvolkes durch die Wüstenlandschaft lebendig. Viele Christen pilgern nach Norden zur Heiligen Stadt Jerusalem.

Wie entdeckte ich das „Regenbogenkreuz“? Bischof Reinhard Lettmann und ich kamen von Eilat am Golf von Aqaba hinab, bogen bei Nuweiba in die Richtung zum Mosesberg ab, wir mieteten Kamele und ritten nordwärts zum  Wadi Haggag und Ain Hudra.
Die Oase Ain Hudra ist für Aachener interessant, weil hier die Kamelrennen des Sinai stattfinden, also das Pendant zu unserem jährlichen Pferdesportfest in Aachen, dem Chio.
Wir wurden gastlich empfangen mit erfrischendem Tee. Wir hielten unser Abendgebet (Vesper) hoch oben am Felsen, während unten ein alter Mann  seinen Gebetsteppich ausbreitete.

Der Ritt in sommerlicher Hitze unter stahlblauem Himmel war gut erträglich gewesen; die Hitze lastete nicht auf uns. Der alte Pilgerweg ging über goldgelben Sand oder graue Schottersteine und führte zwischen Felswänden hindurch. Die Stille der Wüste legte sich auf uns.

Schließlich führte uns der Weg durch ein tiefes Wadi. Wir stiegen ab, damit die Kamele den schwierigen Aufstieg hinauf besser leisten konnten. Hoch oben am Ausstieg trafen wir auf den „Fels der Inschriften“. Nicht weit entfernt sahen wir die Nawamis, eine Gruppe von Rundbauten, die von den meisten Forschern als (vorläufige) Bestattungsorte gedeutet werden.

Dieser hohe „Rock of Inscriptions“ fesselte unsere Aufmerksamkeit. Über die Jahrhunderte hin hatten Pilger Inschriften in nabatäischer, byzantinisch-griechischer, hebräisch-aramäischer, koptischer, armenischer und lateinischer Schrift und Sprache sowie Symbole aus dem zweiten oder dritten bis in das 16. Jahrhundert hinein in den Fels geritzt. Sie sind Ausweis einer durch die Jahrhunderte währenden Pilgergemeinschaft aus verschiedenen Völkern, Religionen und Kulturen. Unter diesen Pilgerzeichen finden wir frühe christliche Zeichen und Symbole wie das „Regenbogenkreuz“. Dieses Kreuz hat mich tief beeindruckt und ist mir immer im Herzen geblieben.

Als ich den Auftrag erhielt, einen Entwurf für die Gestaltung des neuen Schlosses für die Heiligtumsfahrt 2021 vorzuschlagen, fiel mir sofort als Motiv dieses „Regenbogenkreuz“ ein.
Dieses Kreuz stellt den Bund Gottes mit den Menschen in Schöpfung und Geschichte dar:

1.  den Noachbund: Gottes ewigen Bund mit allen Menschen und der ganzen Schöpfung
2.  den Sinaibund: den nie gekündigten Bund des treuen Gottes, den er  durch Mose mit seinem Volk Israel schloss
3.  den Jesusbund: mit dem sich Gott in Christus durch seine Menschwerdung und Botschaft, durch sein Kreuz und seine Auferstehung mit uns Menschen verbunden hat.

Alle drei Bünde sind Zeichen der Treue Gottes durch die Geschichte. Gott will das Heil aller Menschen. Deshalb achten wir ihre Unterschiedlichkeit in den Konfessionen und Religionen.

Was sagt uns Gott mit diesen drei Bünden?

In der symbolischen Sprache der Sinaipilger deutet der Regenbogen den ewigen Bund Gottes mit der Menschheit und allen Lebewesen und allen Geschöpfen der Erde an; davon erzählt die Geschichte von der Sintflut (Gen 6 ff.) 

Auf der Rückseite des Schlosses finden wir das Bild, das die Erscheinung des farbigen Regenbogens noch einmal darstellt. Nach einem Regen sehen wir, wie die weiße Helligkeit des Lichtes sich in die sieben Spektralfarben differenziert: Blauviolett, Blau, Grün, Gelb, Orange, Indigo, Gelblichrot.

Wir sind die eine Menschheit und Schöpfung Gottes: vielfarbig und vielfältig. Wir sollten darin den Hinweis Gottes auf unsere gegenseitige  Verwiesenheit sehen, auf unser Mit- und Füreinander in Fürsorge und Friedenspflicht.

Der Regenbogen wird gekennzeichnet durch die Friedenstaube mit dem grünen Ölzweig im Schnabel. Gott hatte die Menschheit gut erschaffen und ihr den Paradiesesgarten gegeben, doch Adam und Eva aßen von der verbotenen Frucht. Kain tötete seinen Bruder Abel. Himmel und Erde gerieten durcheinander: Gottessöhne heirateten Menschentöchter. „Der Herr sah, dass auf der Erde die Bosheit der Menschen  zunahm und alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war“ … (Gen 6,5). Gott schickt die Sintflut über die Erde und alle Menschen und Tiere wurden vernichtet. Nur Noach und seine Familie werden in der Arche gerettet. Schließlich schickt Noach, als er das Ende der Flut vermutet, zuerst den Raben und dann zweimal die Taube hinaus, die schließlich mit dem grünen Olivenzweig heimkehrt. Und Gott schließt mit der Familie Noachs, das heißt mit allen Menschen und der ganzen Schöpfung einen ewigen Bund: Nie wieder werde er Menschen und Schöpfung verderben. Und er setzt seinen Regenbogen in die Wolken als Zeugnis seines ewigen Bundes mit allen Menschen und der ganzen Schöpfung.

Andrea Riccardi hat den Regenbogen und die Friedenstaube, die im Schnabel einen grünen Zweig trägt, für seine Gemeinschaft von Sant’Egidio gewählt. Dieses Symbol kann Ausdruck des Selbstverständnisses und der Zielvorstellungen für alle Staaten und Völker, für alle Gemeinden und Vereinigungen werden. 

Der Regenbogen kennzeichnet die Schönheit und den Wert, zusammen zu leben, ohne die eigenen Farben zu leugnen, die eigenen Schattierungen und Besonderheiten. Es geht darum, mit den anderen zusammenzuarbeiten, die eigenen Farben mit den Farben und Ressourcen anderer zu verbinden mit Rücksicht auf die Verschiedenheit und die Wertschätzung der Pluralität und des Anders- und Fremdseins. Dies alles erinnert uns an die biblische Lebensweise in der Arche Noach, die Ort der Rettung für die Lebewesen während der großen Sintflut war. Sie erinnert an das Zeichen der pfingstlichen, vom Heiligen Geist unterstützten Sprachfähigkeit, so dass Petrus und die Jünger zum ersten Mal die Auferstehung Jesu in Jerusalem verkündeten, indem sie sich den Gesprächspartnern der verschiedenen Nationen zuwandten, die gemeinsam dahin gekommen waren, um zu verstehen, was die Apostel sagten.

„Herausgehen, um zu verstehen.“ Das ist ein wichtiger Aspekt für die Spiritualität einer christlichen Lebensgemeinschaft.

Das Symbol der Taube mit dem grünen Ölzweig im Schnabel ist ein weitverbreitetes Symbol des Friedens. Es zeigt das Ende der großen, alles vernichtenden Sintflut an, die über die Erde kam, weil die Bosheit der Menschen zunahm und dem Herzen Gottes wehtat (Gen 6). Es ist ein Zeichen des ewigen Friedens, den Gott mit der Menschheit und der ganzen Schöpfung geschlossen hat. Wir brauchen Symbole für den Frieden.

Schön ist, dass der Olivenzweig im Schnabel der Taube fünf Smaragde zeigt, die für die Partnerschaft unseres Bistums Aachen mit dem Partnerland Kolumbien stehen. Gestiftet hat sie der bisherige Primas von Kolumbien, Rubén Cardenal Salazar Gómez, inzwischen emeritierter Erzbischof von Bogotá.

Zum Sinaibund: In der Mitte des Symbols  der Zeichnung der Sinaipilger sprießen aus den vier Enden des Kreuzes je drei Zweige hervor: man nennt ein solches Kreuz eine Crux floreata, ein Kreuz, das lebendige Zweige hervorbringt. Die vier Enden des Kreuzes lassen je drei Triebe wachsen, so dass ihre Zwölfzahl auf die zwölf Söhne Israels und damit auf die zwölf Stämme des Volkes Gottes hinweist. So verheißt Gott diesem Stammbaum für immer Lebenskraft und Blüte. Diese Lebenskraft und Blüte aus dem alten Stamm will Zeichen und Versprechen Gottes sein, dass Juden und Christen an diesem Symbol weiterdenken sollen und in allem Respekt für unterschiedliche Ausdrucksformen ein gemeinsames Bewusstsein dafür entwickeln, damit wir auf dem Weg sind „hin zu einer Partnerschaft zwischen Juden und Christen“.

Das Konzilsdokument „Nostra aetate“ hat eine wunderbare Wirksamkeit und Blüte erfahren, die in zwei neuen Dokumenten orthodoxer Rabbiner und einem der katholischen Kirche Ausdruck findet (Hin zu einer Partnerschaft zwischen Juden und Christen / Zwischen Jerusalem und Rom 2017).

Zum Christusbund: In der Symbolsprache der Sinaipilger bezeichnet das Kreuz in der Mitte den Glauben der Christen. In Menschwerdung und Heilswerk Christi, in Leiden, Kreuz und Auferstehung des Herrn steht das Kreuz für den Glauben der Christenheit. In Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung Jesu Christi wissen Christen sich erlöst und gerettet. Im Hören des Wortes Gottes, im Lesen der Heiligen Schrift (Thora und Evangelium), in der Feier der Sakramente, in der Liebe zu den Armen, den Bedürftigen und Leidenden feiern wir Gott. Zentral ist die Frage Jesu an seine Jüngerinnen und Jünger: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16,15; 
Mk 8,29; Lk 9,20; vgl. Joh 6,66–69).
 Diese Frage Jesu hat zum Motto der Heiligtumsfahrt 2021 geführt: „Entdecke mich“.

Die Heiligtumsfahrt führt seit Beginn des Mittelalters alle sieben Jahre Menschen aus Europa und der ganzen Welt nach Aachen. Bei der letzten Heiligtumsfahrt kamen mehr als 100000 Pilger. Das Leitwort für 2021 will diese entscheidende Frage Jesu an seine Jünger in die Mitte stellen, denn er fragt uns: „Entdecke mich“. Er fragt uns nach unserem persönlichen Glauben, nach der Überzeugung unseres Herzens und unserer Bereitschaft, unseren christlichen Glauben aktiv zu leben in Tat und Wahrheit, mit Herz und Verstand, in aktiver Geschwisterlichkeit und großer Freude.

Die drei monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam) wissen sich (in unterschiedlicher Weise) durch diese drei Bundesschlüsse in Gott verbunden: in der noachitischen Menschheit, in dem mosaischen Bund Gottes mit seinem Volk Israel und im Jesusbund der christlichen Kirchen. Wir suchen ein Zusammenleben in Frieden, das geschwisterliche Gespräch miteinander und die Zusammenarbeit der Religionen zum Wohl der menschlichen Gesellschaft. Der Glaube an den einen Gott verbindet uns zum gemeinsamen Gebet, zum Einsatz für Frieden und Freiheit und zum Dienst an den Armen, an den Entrechteten und Leidenden dieser Erde.

Eingeritzte Kreuze finden sich vor allem in der Heiligen Stadt Jerusalem und auf den Pilgerwegen. Diese stammen aus der Zeit vor den Kreuzrittern. Wir finden solche Symbole auch in unserem Aachener Dom. Kaiser Karl der Große erhielt immer wieder Geschenke vom Jerusalemer Patriarchen (wie die Reichsannalen des Jahres 799 berichten). 
In unserem Dom finden sich am Karlsthron und am Hauptaltar Marmorplatten mit solchen Symbolen der Jerusalempilger. Sie stützen die alten textilen Reliquien: das Kleid Mariens, die Windeln Jesu, das Lendentuch des Herrn und das Enthauptungstuch Johannes des Täufers, die uns „auf Tuchfühlung mit Jesus“ bringen wollen, wie Bischof Hemmerle es ins Wort gebracht hat.

Die Heiligtumsfahrt 2021 beginnt am 18. Juni 2021 um 19 Uhr. Auf Antrag des Dompropstes und des Oberbürgermeisters der Stadt Aachen und unter Beteiligung von Domkapitel und Stadtrat wird Bischof Helmut Dieser die Öffnung des Marienschreins und die Zeigung der Reliquien veranlassen. Wir freuen uns auf eine große Wallfahrt im Beten und Singen, Schauen und Meditieren, die neue Erfahrungen in uns auslösen. Am Ende der Heiligtumsfahrt werden die vier biblischen Tuchreliquien wieder im Marienschrein des Domes geborgen.

Das neue Schloss mit dem Symbol des Regenbogenkreuzes wird die vier biblischen Tuchreliquien: das Kleid Mariens, die Windeln Jesu, das Lendentuch des Herrn und das Enthauptungstuch Johannes des Täufers für sieben Jahre im Marienschrein sichern. 

Am 28. Juni 2021 um 18.30 Uhr wird der Dompropst sie mit dem neuen Schloss verschließen. Danach werden die beiden vereidigten Gold- bzw. Silberschmiede das Schlüsselloch mit flüssigem Blei ausgießen und den Schlüssel des neuen Schlosses zersägen. Den Schlüsselgriff erhält der Dompropst (für das Domkapitel) und den Schlüsselbart der Oberbürgermeister der Stadt Aachen (für den Stadtrat) gemäß dem alten Konkustodienrecht. Das Protokoll dieses Vorganges wird vom Dompropst  im Dom verlesen. Damit endet die Aachener Heiligtumsfahrt 2021.

Wir sagen den Pilgern, den Veranstaltern und Gästen Dank und laden die Pilger und Gäste zur nächsten Heiligtumsfahrt ein, so Gott will im Juni 2028.


Der Autor ist emeritierter Bischof des Bistums Aachen. 

Das neue Schloss für den Marienschrein

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