Das Glück mit Händen fassen

Wie mit den eigenen Möglichkeiten das Gemeinwohl fördern? Das Nell-Breuning-Haus macht es vor

Nachhaltige Lieferketten aufzubauen, ist anspruchsvoll. Auch bei den Lebensmitteln achtet das Nell-Breuning-Haus darauf, hat sich biozertifizieren lassen. Der Lieferant macht mit. (c) Thomas Hohenschue
Nachhaltige Lieferketten aufzubauen, ist anspruchsvoll. Auch bei den Lebensmitteln achtet das Nell-Breuning-Haus darauf, hat sich biozertifizieren lassen. Der Lieferant macht mit.
Datum:
2. Feb. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 05/2021 | Thomas Hohenschue

Wohlfeile Worte: Wer kennt sie nicht? Allgemeinplätze werden mit der Geste des Bedeutsamen aufgeblasen und breitbeinig vom Podium oder der Kanzel verkündet. Natürlich wollen wir alle die Welt retten. Oder zumindest ein wenig besser machen. Gesagt ist das leicht, getan allerdings nicht. Das ist richtig Arbeit. Das Nell-Breuning-Haus hat sich dem ausgesetzt und eine testierte Gemeinwohlbilanz vorgelegt.

Das war echte Arbeit. Leiter Manfred Körber zeigt die kompakte Gemeinwohlbilanz. Sie testiert dem Nell-Breuning-Haus, sich auf den mühsamen Weg einer nachhaltigen Entwicklung begeben zu haben. (c) NBH/Wolfgang Sevenich
Das war echte Arbeit. Leiter Manfred Körber zeigt die kompakte Gemeinwohlbilanz. Sie testiert dem Nell-Breuning-Haus, sich auf den mühsamen Weg einer nachhaltigen Entwicklung begeben zu haben.

Ein Jahr lang – das Coronajahr 2020 – nahmen Leiter Manfred Körber und Mitarbeitende den Alltag des Bildungszentrums in Herzogenrath unter die Lupe. Sie drehten jeden Stein um, um ein schlüssiges Bild zu gewinnen, wo das Haus steht und was es besser machen kann. So etwas ist mühsam, denn es erfordert, ein, zwei Schritte aus dem Gewohnten und vermeintlich Bewährten hinauszutreten und mit nötigem sachlichem Abstand kritisch zu bewerten, was man sieht. Es braucht den Willen, schonungslos anzuerkennen, dass man zwar ideelle Ziele verfolgt, diesen aber nicht umfassend gerecht wird. Und es verlangt den Mut, die eigene Unzulänglichkeit offenzulegen und messbare Ziele, die Defizite abzustellen, öffentlich zu benennen.

All das hat das Nell-Breuning-Haus getan. Man kann es nachlesen auf seiner Internetseite, denn dort sind die Gemeinwohlbilanz und der dazu gehörende detaillierte Bericht veröffentlicht. Transparenz ist eines der obersten Prinzipien der Gemeinwohlökonomie-Bewegung. Denn das ist diesem internationalen bürgerschaftlichen Netzwerk, das inzwischen etwa 2000 Unternehmen umfasst, wichtig: dass jedes Mitglied Zeichen und Impulse setzt, Vorbild für Dritte ist. Denn erst, wenn sich die Grundgedanken und das Wissen über diese alternative Form zu wirtschaften weiter verbreiten, bekommt es die Wirkmächtigkeit, im Großen und Ganzen die Hebel in Richtung nachhaltige Entwicklung umzulegen.

Worum geht es konkret? Die Ausgangsfrage der Gemeinwohlökonomie lautet: Wie lässt sich das Glück der Menschheit durch eigenes Verhalten und Handeln sichern und vermehren? Das ist keine rein persönliche Frage, die durch gute Lebensführung beantwortet wird. Vielmehr tragen auch Unternehmen, Betriebe, Verwaltungen Verantwortung dafür, wie es mit dem sozialen Frieden, der Demokratie, dem Klima, der Umwelt und der Natur weitergeht. Sie haben Tausende Stellschrauben, auf den Fortgang der gemeinsamen Geschichte Einfluss zu nehmen. Je nachdem, wie sie gedreht werden, verändert sich etwas zum Guten – oder eben auch nicht. Nichts zu verändern, heißt nämlich nicht, nichts falsch zu machen.

Wo anfangen? Es braucht eine Systematik, um die komplexe Sache zu beraten. Schon der eigene Laden ist in der Regel vielschichtig genug. Aber ihn darauf zu durchleuchten, wie man ihn in Richtung Gemeinwohl trimmen kann, lässt sich ohne hilfreiche Begriffe und Leitideen nicht bewältigen. Dazu stellt die Gemeinwohlökonomie ein Raster zur Verfügung, mit dem man sich Schritt für Schritt in das Labyrinth hineinwagen und auch wieder herausfinden kann. Grob skizziert geht es um vier Werte: Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung. Wie werden sie im Unternehmen gelebt, jenseits Leitbildern und Absichtserklärungen? Wer eine Gemeinwohlbilanzierung anstrebt, muss das ganz konkret untersuchen und beschreiben. Und zwar entlang der Frage, wie die Werte wirksam werden im Umgang mit Lieferanten, mit Eigentümern und Finanzpartnern, mit Mitarbeitern, mit Kunden und Mitunternehmen sowie mit dem gesellschaftlichen Umfeld. 


Vom Idealzustand ist jeder weit entfernt 


Jede Menge Stoff zum Hinschauen, Analysieren und Diskutieren. In jedem der 20 Felder gilt es, realistisch dem Stand der Dinge ins Auge zu sehen, ihn nachvollziehbar darzustellen, auszuloten, wo es Potenzial gibt, den Wert im Umgang mit der jeweiligen Gruppe besser und gezielter zu verwirklichen. Das kann sehr ernüchternd ausfallen, darauf stellt man sich am besten von vorneherein ein: Vom Idealzustand ist ausnahmslos jeder weit entfernt. Entsprechend ist auch die Bilanz des Nell-Breuning-Hauses ausgefallen: Im ersten Anlauf hat es 331 von 1000 möglichen Punkten erhalten, also bloß ein Drittel des theoretisch Erreichbaren.

Für das Team ist das ein Ansporn, das Bildungszentrum stetig weiterzuentwickeln. Bei den Beratungen zum Bericht sind viele Projekte zur Sprache gekommen, die zur Mehrung des Gemeinwohls beitragen können. Zum Beispiel mehr Bioprodukte beziehen, auf Ökostrom umstellen, E-Mobilität durch eine Ladesäule fördern, Biodiversität im Außengelände unterstützen, Müllvermeidung verstärken, aber auch die Beleuchtung der Arbeitsplätze verbessern, Mitarbeiterjahresgespräche für alle einführen, weiter an der Transparenz arbeiten und, und, und.

Natürlich kann man nicht alles tun, was denkbar ist. Denn nicht alles ist möglich. Die finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen geben es nicht immer her. Aber sich hinter den Begrenzungen zu verstecken, gilt nicht. Wer sich einmal auf den wertvollen Prozess der Gemeinwohlbilanzierung einlässt, lernt noch einmal neu, Verantwortung für die gesellschaftliche Zukunft zu übernehmen. In diesem entschlossenen Pioniergeist kann das Nell-Breuning-Haus ein Vorbild sein, das andere Unternehmen, Betriebe, Verwaltungen im Bistum Aachen inspiriert. Das bekräftigten bei einer Online-Feierstunde auch die kommunalen Spitzen der Städteregion und der Städte Herzogenrath und Aachen. Dieses Zeichen kommt zur rechten Zeit. Denn gerade wird im Rheinischen Revier teils erbittert über den nötigen Strukturwandel gestritten. Konstruktive Impulse können helfen, die Debatte zu versachlichen.