Das Gebet als Verbindendes

Beim „Sehbehinderten-Sonntag“ hilft eine Kirchenbank, um auf Hindernisse aufmerksam zu machen

Jutta Busch (l.), Diözesanbeauftragte für die Blindenseelsorge im Bistum Aachen, und Katharina Wersig kommen auf der „ver*rückten Kirchenbank“ ins Gespräch. (c) Stephan Johnen
Jutta Busch (l.), Diözesanbeauftragte für die Blindenseelsorge im Bistum Aachen, und Katharina Wersig kommen auf der „ver*rückten Kirchenbank“ ins Gespräch.
Datum:
22. Juni 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 25/2022 | Stephan Johnen

Kirchenbänke gehen eigentlich fast nie auf Reisen. Noch seltener sind sie unter freiem Himmel aufgestellt. Kaum verwunderlich, dass die massive Bank aus Eiche vor der Dürener Annakirche ein Hingucker war, gerade an einem Markttag. Vor allem bot sie einen (Sitz-)Platz für Begegnungen, für Gespräche, für einen Erfahrungsaustausch. 

Gesprächspartner an der „ver*rückten  Kirchenbank“:  die Gemeindereferentinnen Antje Stevkov (l., Pfarrei St. Lukas) und Dorothee  Wakefield (GdG St. Franziskus) sowie Michael Mohr, Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins Düren. (c) Stephan Johnen
Gesprächspartner an der „ver*rückten Kirchenbank“: die Gemeindereferentinnen Antje Stevkov (l., Pfarrei St. Lukas) und Dorothee Wakefield (GdG St. Franziskus) sowie Michael Mohr, Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins Düren.

Wie in Düren beteiligten sich Kirchengemeinden im ganzen Bistum am bundesweiten Aktionsmonat „Sehbehinderten-Sonntag“. Im Mittelpunkt stand dieses Mal die Sehbehinderung im Kirchenalltag. Eine Kirchenbank in der Fußgängerzone konnte somit auch eine Art positiver Stolperstein sein, um die Bedürfnisse blinder und sehbehinderter Menschen in der Kirche sichtbarer zu machen.

„So eine ,ver*rückte Kirchenbank‘ ist ein super Vehikel. Es gibt sonst nicht so viele Berührungspunkte zwischen sehbehinderten und nicht-sehbehinderten Menschen“, sagt Jutta Busch, Diözesanbeauftragte für die Blindenseelsorge im Bistum Aachen. „Miteinander Wege gehen – die Welt mit anderen Augen sehen“, haben die Organisatoren vor Ort ihre Aktion überschrieben und sich als Kooperationspartner neben dem Team von „ver*rückt – Kirche an die frische Luft“ samt der reisenden Kirchenbank unter anderem den Blinden- und Sehbehindertenverein Düren ins Boot geholt. Seit 1998 findet der Sehbehinderten-Sonntag jährlich statt. Alle zehn Jahre beteiligen sich auch die Kirchen mit einem Schwerpunkt an der Aktion. Zuletzt 2010 – dann funkte „Corona“ dazwischen, und alle Veranstaltungen wurden vorsichtshalber um zwei Jahre verschoben.

(c) Stephan Johnen

Die vor der Annakirche platzierte Bank kam aus Aachen-Walheim. Dort wurden sie und viele „Geschwister“ von Jugendlichen in einem Jugendtreff gestaltet. Für ganz unterschiedliche Aktionen werden diese Bänke „ver*rückt“ und reisen durchs Bistum.
„Es gibt viele Schnittstellen von Kirche und Menschen mit Sehbehinderung“, freut sich Michael Mohr, Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins Düren, über die Zusammenarbeit vor Ort und die Möglichkeit, auch im kirchlichen Umfeld sehbehinderte und nicht-sehbehinderte Menschen zusammenbringen und für das Thema sensibilisieren zu können. „Wir möchten das Miteinander zwischen den Blinden und Sehbehinderten fördern und verstärken und gemeinschaftlich darauf aufmerksam machen, dass sich Kirche hier und da auch noch optimiert darstellen muss“, sagt Mohr. Ganz oft sind es vermeintliche Kleinigkeiten (zumindest für Sehende!), die Menschen mit Sehbeeinträchtigung die Teilnahme am Gottesdienst erschweren – und manchmal auch zu einem Rückzug aus dem Gemeindeleben führen. „Es sind Probleme, die teilweise mit ganz einfachen Mitteln und einem klärenden Gespräch aus dem Weg zu räumen wären“, weiß Jutta Busch aus vielen Gesprächen. 

Es beginnt mit den Kirchenbänken. „In Kelz kenne ich jeden Millimeter der Kirche. Da komme ich zurecht. Aber bevor ich orientierungslos durch die Annakirche streife, lasse ich es lieber direkt bleiben“, bringt Katharina Wersig die Ängste von Menschen mit Sehbeeinträchtigung auf den Punkt. Es sind Herausforderungen des Alltags, die Sehende nicht unbedingt auf dem Schirm haben. Mit acht Monaten wurde bei Katharina Wersig eine Netzhauterkrankung festgestellt, die ihr Sehvermögen seit Geburt massiv beeinträchtigt hat. Mit einem Restsehvermögen von etwa fünf Prozent kann sie auf kurzer Distanz Umrisse erkennen, helle und dunkle Flächen unterscheiden. Eine auffällige Markierung von Kirchenbänken und Treppenstufen würde vielen schon helfen, sich leichter in einer nicht vertrauten Umgebung orientieren zu können – und nach der Kommunion auch wieder die Bank zu finden, in der man zuvor gesessen hat. Auch eine kontrastreiche Beleuchtung von Innenräumen ist eine große Hilfe zur Orientierung.

Um sich in Gottesdienst und Kirche gut zurechtfinden und willkommen fühlen zu können, gibt es in der Annakirche auf Nachfrage immer die Möglichkeit, eine Führung zu bekommen. Auch im Rahmen des Sehbehinderten-Sonntags lud Pfarrer Hans-Otto von Danwitz sehbehinderte und sehende Menschen ein, das Gotteshaus mit allen Sinnen zu entdecken. „Leider ist Barrierefreiheit in vielen kleineren Pfarreien aber noch nicht angekommen“, bedauert Michael Mohr vom Blinden- und Sehbehindertenverein. 
Umso wichtiger ist der Erfahrungsaustausch, der Dialog miteinander. „Wir haben aus Gesprächen mit blinden und sehbehinderten Menschen viele Anregungen erhalten“, berichtet Antje Stevkov vom Pastoralteam der Pfarrei St. Lukas. Im Rahmen der Anna-Oktav werden beispielsweise regelmäßig größere Gebetszettel gedruckt. Auf Nachfrage können Gebetszettel und Liedtexte auch in Braille-Schrift ausgehändigt werden. „Im Idealfall würden schon vor den Gottesdiensten alle Lieder veröffentlicht werden, beispielsweise auf der Homepage der Gemeinde“, regt Katharina Wersig an. So könnten Betroffene ganz unkompliziert zu Hause an ihrem Computer die Liedtexte studieren, sie lesen oder mit Hilfe der Technik vorlesen lassen.

„In dem Moment, in dem wir beten, sieht man den Unterschied zwischen Sehenden und Nicht-Sehenden nicht. Und man spürt ihn auch nicht. Das verbindet uns“, sagt Katharina Wersig. Sie hofft, dass Aktionen wie eine „ver*rückte Bank“ dazu beitragen, dass sich weiterhin etwas bewegt – oder in Bewegung gerät.