Bis zum Schluss „der Chef“

Martina Schütz-Berg, eine lebende Institution in der Jugendarbeit von Düren, ist jetzt Ruheständlerin

Nach 39 Jahren ist Martina Schütz-Berg mit 63 Jahren in den Ruhestand verabschiedet worden. (c) Stephan Johnen
Nach 39 Jahren ist Martina Schütz-Berg mit 63 Jahren in den Ruhestand verabschiedet worden.
Datum:
7. Sep. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 36/2022 | Stephan Johnen

Von der Praktikantin zur Chefin – 39 Jahre lang hat Martina Schütz-Berg das Papst-
Johannes-Haus (PJH) der Pfarrei St. Lukas und die offene Jugendarbeit geprägt. Dass ihr der Abschied in den Ruhestand nicht leichtfallen würde, war ihr klar. Leichtfertig hat sie nach fast vier Jahrzehnten ihren Hut auch nicht genommen. „Aber alles hat seine Zeit“, sagt die 63-Jährige. Wer ihr nachfolgt, wird ein aufgeräumtes Haus finden. Und ebenso Platz für eigene Ideen und neue Möglichkeiten. 

„Als ich damals gerade angekommen war, wurde mir genau erklärt, wo es langgeht und wie die Tassen in der Küche zu stehen haben“, blickt sie auf den eigenen Start als pädagogische Mitarbeiterin zurück. Die ersten sieben bis acht Jahre war sie „die Neue“. „Danach wurde ich unauffällig zum Inventar, begann selbst, die Ordnung der Tassen festzulegen“, scherzt sie. Bereits als Jugendliche war sie oft zu Gast im PJH, absolvierte im Rahmen des Studiums Praktika am Annaplatz. Stillstand gab es in 39 Jahren dennoch nicht, und anders als beim Berufsanfang befürchtet, gingen der Pädagogin auch nie die Ideen aus oder verpuffte die Motivation, nicht immer nur auf der Sonnenseite des Lebens zu arbeiten.

Dass alles immer ganz anders kommt als geplant, soll hier nur kurz erwähnt werden. Drei, maximal fünf Jahre wollte die Berufseinsteigerin in der offenen Jugendarbeit an Bord bleiben. Mehr nicht. Danach vielleicht ein Wechsel in die Stadtverwaltung, ein Schreibtischjob, so wie es viele Vorgänger getan haben.

Es kam anders, natürlich. Sicherlich zum Glück für viele Jugendliche, Mitstreiter und Wegbegleiter. Während der Anna-Oktav wurde die Leiterin des Papst-Johannes-Hauses verabschiedet. Die vollbesetzten Kirchenbänke des Jugendgottesdienstes waren ein deutliches Zeichen, dass Martina Schütz-Berg sich nicht hinter dem Schreibtisch versteckt hat, der ihr spätestens mit der Übernahme der Leitungsfunktion auch dort zustand. Das PJH war und ist Mittelpunkt des sozialen Miteinanders in der Innenstadtpfarrei. Kinder- und Jugendgruppen, Kommunionkinder, Firmlinge, Senioren, Pfadfinder, die polnische oder afrikanische Gemeinde – alles und jeder geht durch dieses Haus am Rand der Annakirche. Mittendrin statt nur dabei: Martina Schütz-Berg. Ansprechpartnerin für alle und definitiv die gute Seele der Einrichtung.

Die Frage, ob sie sich nach fast 40 Jahren in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht irgendwann wie ein Dinosaurier gefühlt habe, verneint sie. „Die Jugendlichen haben bis zum Schluss immer Chef zu mir gesagt. Die Rolle habe ich eingenommen. Ich wurde so akzeptiert, wie ich bin“, sagt sie.

Von Drogen, Gewalt, Armut und der  vordersten Frontlinie der Realität 

„Ich habe nie den Fehler gemacht, Dinge tun zu wollen, für die ich zu alt bin, bei denen ich nicht glaubwürdig gewesen wäre“, fügt sie hinzu. Ob Jugenddisco, sportliche Aktivitäten oder Ferienprogramme – irgendwann gab es den Zeitpunkt, in dem sie sich aus der vordersten Reihe zurückzog, jüngeren eine Möglichkeit der Mitarbeit bot und das Management drumherum erledigte und die Aufsicht führte. Die Arbeit habe sie mental fit und offenherzig gehalten. Daher möchte Martina Schütz-Berg nach 39 Jahren Erfahrung auch auf keinen Fall einen weiteren Fehler machen: zu sagen, dass früher alles besser war.

„Das Papst-Johannes-Haus war zu Beginn meiner Zeit ein sehr etabliertes Haus. Es gab eine Pfarrjugend, Gruppenarbeit mit Jugendlichen aus bürgerlichen Familien. Das PJH war ‚das Zentrum der Mutter Anna‘, wo sich alles abspielte“, reist die Leiterin gedanklich zurück in die 70er/80er Jahre. Doch die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte erreichten auch eine Einrichtung wie das PJH. Hakenkreuze an der Hauswand, Drogenprobleme, Schlägereien vor der Haustür, Kinderarmut – wer in der Jugendarbeit tätig ist, steht oft an der vordersten Frontlinie der Realität.

„Früher war nicht alles besser. Aber Dinge entwickeln sich. Unsere Aufgabe ist es, nicht den Draht zu den Kindern und Jugendlichen zu verlieren“, sagt Martina Schütz-Berg. Eine Aufgabe, die beizeiten schmerzvoll und anstrengend sein könne. Doch genauso gebe es Erfolgserlebnisse, ungezählte schöne Erinnerungen wie Jugendfreizeiten, ein Besuch der Sternsinger im Bundeskanzleramt bei Helmut Kohl, ein gemeinsames Konzert mit Rolf Zuckowski. Es gab und gibt viel Licht. Doch wo Licht ist, ist nun mal auch Schatten.

Lobbyist und Fürsprecher für Kinder und  Jugendliche sein

Rund um die Skizzen für den neuen Jugendraum finden Erinnerungen an gemeinsame Aktionen der vergangenen Jahre Platz. (c) Stephan Johnen
Rund um die Skizzen für den neuen Jugendraum finden Erinnerungen an gemeinsame Aktionen der vergangenen Jahre Platz.

„Die offenen Jugendeinrichtungen sind an vielen Orten dahin gedriftet, dass wir eine Art Heimat für prekäre Zielgruppen geworden sind. Umso wichtiger ist es, dass wir die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir mit unserer Arbeit einen Eindruck hinterlassen, Vertrauen aufbauen und helfen können, indem wir wirklich eine Beheimatung bieten.“ Im Kern steht seit all den Jahren stets die Vertrauensarbeit, das Gesprächsangebot. Vorurteile und Vorverurteilungen seien fehl am Platz. Vielmehr gehe es darum, Lobbyist und Fürsprecher für Kinder und Jugendliche zu sein.

„Es gilt immer noch mein Leitsatz aus dem Studium: Pädagogik ist Vorbild und Liebe, sonst nichts“, sagt Martina Schütz-Berg. Aktuell sind es vor allem junge Flüchtlinge, die die Angebote der offenen Jugendarbeit nutzen. Eine Gruppe kommt – und geht irgendwann wieder. Damit ändert sich die Sozialstruktur, die Anforderungen, die Hintergründe der Besucher, die Herausforderungen an die Betreuer und ja, beizeiten auch die Probleme. „Wir fangen in der Kinder- und Jugendarbeit regelmäßig immer wieder bei Null an“, erklärt die Pädagogin.

Ob es Augenblicke gab, wo sie am liebsten alles hingeworfen hätte? Martina Schütz-Berg denkt kurz nach. „Nicht bei den Kindern und Jugendlichen. Was mich mehr belastet hat, ist der seit Jahren stetig zunehmende Schrift- und Bürokram. Jahresberichte schreiben, Qualitätsberichte, Projektbeschreibungen – das muss alles irgendwie nebenbei bewältigt werden“, bedauert sie eine Bürokratisierung der zwischenmenschlichen Beziehungsarbeit. Sie hatte offenbar schon frühzeitig eine Ahnung, dass ein Schreibtischjob nicht ihre Berufung ist.

Wer auf Martina Schütz-Berg im Papst-Johannes-Haus folgt, hat die Aufgabe, nach zwei Jahren Corona-Einschränkungen aus den zum Teil improvisierten „digitalen Treffen“ wieder eine Präsenz-Jugendarbeit aufzubauen. Für die schicke Neugestaltung des Treffpunkts hat Martina Schütz-Berg noch Klinken geputzt und fleißige Helfer rekrutiert. Ihr war es wichtig, die Jugendlichen „aus dem Keller“ zu holen, sagt sie. Der neue Treffpunkt ist fortan ein multifunktionaler Raum im Erdgeschoss – mit Blick auf die Annakirche. Ihr letztes Projekt im PJH hat sie somit im Sinne der Jugendlichen erfolgreich abgeschlossen. Und gibt es schon private Pläne für den (Unruhe-)Stand?

„Mir wird sicherlich alles zunächst einmal fehlen“, sagt Martina Schütz-Berg. Sie habe schon Angebote erhalten, sich ehrenamtlich zu engagieren. Doch zunächst möchte sie etwas Abstand gewinnen, durchatmen – um sich dann in Ruhe einige Angebote näher anzuschauen. „Ich muss herausfinden, was gut für mich ist und was nicht.“