Als Kirche unterwegs sein

Zwei Wallfahrten, eine mit langer Tradition, eine noch ganz jung: Was Pilgern für die Teilnehmer bedeutet

Durch Wald und Feld: Die Burtscheider Pilger auf dem Weg nach Trier. (c) Matin Feinendegen
Durch Wald und Feld: Die Burtscheider Pilger auf dem Weg nach Trier.
Datum:
24. Juli 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 30/2018 | Andrea Thomas
Wallfahrten haben in vielen Gemeinden eine lange Tradition. So wie in Stolberg-Vicht, wo in diesem Jahr zum 275. Mal die Wallfahrt nach Heimbach stattfand. Andere Gemeinden und Pfarreien entdecken das Wallfahren für sich neu, wie St. Gregor von Burtscheid in Aachen.
Erstmals durften zum Jubiläum vier Vichter Frauen bei der Prozession das Heimbacher Gnadenbild tragen. (c) Berthold Houbé
Erstmals durften zum Jubiläum vier Vichter Frauen bei der Prozession das Heimbacher Gnadenbild tragen.

Seit vier Jahren pilgern hier mit steigender Begeisterung Familien zum Matthiasgrab nach Trier. Auf ihr Wallfahrtsjubiläum sind die Vichter Heimbachpilger schon stolz. In diesem Jahr wurde ihnen sogar die Ehre zuteil, dass erstmals vier Frauen aus ihrer Gruppe das Gnadenbild bei der Prozession in Heimbach tragen durften. Das sei schon etwas Besonderes. Viele gehen schon seit Kindertagen mit, verbinden viele schöne Erlebnisse mit der Wallfahrt. Doch sie müssen auch einräumen, dass sie mehr oder weniger „ein fester Kern mit eisernem Willen“ sind – die Mehrheit 60plus – und es nicht so einfach ist, neue Teilnehmer zu gewinnen. Das Freizeitverhalten habe sich verändert und auch der Bezug zu solch kirchlichen Traditionen. Viele Jüngere schrecke das Rosenkränzebeten ein wenig ab.

Zu Unrecht, wie Helga Nellessen findet: „Das gehört dazu und schafft eine Ordnung. Für mich ist der Rosenkranz auch eine Art Meditation.“ Auf die man sich einfach mal einlassen müsse. Entmutigen lassen sie sich nicht. Über 275 Jahre hinweg seien die Zahlen immer mal schwankend gewesen. „Wir halten es da mit dem Kirchenlied ,Wo zwei oder drei...’. Solange gehen wir Vichter auch nach Heimbach“, sagt Pilgerleiter Otto Essler, der in diesem Jahr zum 50. Mal mit nach Heimbach war. Im Schnitt sind sie mit 25 bis 30 Leuten unterwegs, auf dem Hinweg mehr als auf dem Rückweg. „Man trifft Leute, die man sonst nicht so trifft und es wird unterwegs auch miteinander über ganz viele Dinge geredet. Das gehört auch dazu“, sagt Margit Heinrich. Beten müsse auch Freude machen: „Ich gehe ja nicht als Büßerin mit.“

Sie seien eine schöne Gemeinschaft, da bleibe keiner zurück, bestätigt auch Edith Wahlen. „Einer der Gründe, warum ich mitgehe ist, wir sind Kirche unterwegs und demonstrieren ohne Geschrei, wofür wir stehen.“ Es sei „unterwegs sein mit und zu Gott“, beschreibt es Rudi Dreuw. „Jeder hat seine ganz eigenen Gründe und weiß, wofür er geht und welches Problem er bei der Muttergottes in Heimbach lässt“, sagt Erna Ihrlich. Und die Heimbachwallfahrt hat nach wie vor einen Stellenwert für die Gemeinde. Auch die, die nicht mitgehen, nehmen daran Anteil, nehmen die Pilger zum Beispiel bei ihrer Rückkehr ins Dorf wieder in Empfang. Seit einigen Jahren bringen sie eine in Heimbach gesegnete Kerze für die Kirche in Vicht mit zurück. „Wir dienen weiter als Vorbild, auch die Jüngeren werden älter und gehen dann, wenn sie mehr Zeit haben, auch einmal mit“, fasst Otto Essler zusammen.

Seit vier Jahren pilgern Familien aus der Pfarrei St. Gregor von Burtscheid rund um Christi Himmelfahrt zum Matthiasgrab nach Trier. Entstanden ist diese „alternative und junge Wallfahrt“ wie Pfarrer Frank Hendriks sie beschreibt, aus seinem Wunsch, in den vier Burtscheider Gemeinden eine Wallfahrt anzubieten, die Menschen heute anspricht. Dazu kam ein Kreis aktiver Familien in den Gemeinden, die zum Teil über eigene positive Wallfahrterfahrungen verfügen, die sie in einer Form, die auch ihre Kinder begeistert, aufgreifen wollten. Der Zielort Trier geht ebenfalls auf Pfarrer Hendriks zurück, der eine enge persönliche Beziehung zur Benediktinerabtei St. Matthias und zum dortigen Apostelgrab hat. Hinzu kommt, dass die Strecke durch die Natur der Eifel den Organisatoren für eine Familienwallfahrt reizvoll erschien.

 

Gemeindebildende Erfahrung

Route, Tageskilometer, Übernachtungsmöglichkeiten, Verpflegung, beim ersten Mal hätten sie noch vieles ausprobieren und für sich entdecken müssen, erinnern sich Andreas Goetzenich und Martin Feinendegen, beide von Anfang an dabei. „Wir hatten damit alle noch keine Erfahrung, aber da direkt beim ersten Mal 50 Leute mit dabei waren, war uns klar, das muss auf mehrere verteilt werden“, sagt Andreas Goetzenich. Seitdem gibt es ein Orga-Team. Auch beim vierten Mal war vieles noch „learning by doing“, inklusive des spirituellen Teils. Klar war für sie, sie wollen „weniger Rosenkranz, dafür mehr Impulse“, passend zu den jeweiligen Altersgruppen, Zeit zum Reden und gegenseitigen Kennenlernen, um als eine große Gemeinschaft unterwegs sein. Auch ein „geschnitztes Kreuz“ gibt es nicht, ihr Pilgerkreuz haben sie im Vorfeld selbst gestaltet. „Nach dem ersten Jahr gab es den Wunsch nach etwas mehr Spiritualität, im zweiten Jahr war es einigen dann zu viel. Das muss sich auspendeln“, berichtet Martin Feinendegen. Inzwischen haben sie da eine für sie passende Mischung gefunden. „Es gibt ein gemeinsames Thema, zu dem eine kleine Gruppe im Vorfeld passende Bibeltexte aussucht und Tageszettel mit einer Bibelstelle, einem Lied, einem Psalm und Impulsfragen als roten Faden entwickelt“, erläutert Claudia Feinendegen. Darauf greifen die einzelnen Gruppen dann individuell zurück, die Kindergruppen anders als die Jugendlichen (die ihre Impulse selbst gestalten) und die Erwachsenen. Da die Kinder alle noch bis Christi Himmelfahrt Schule haben, ist die Wallfahrt zweigeteilt, in den sportlicheren und in den Familienteil. Eine kleinere Gruppe startet sonntags von Aachen aus, mittwochs stoßen dann die Familien mit Kindern und Jugendlichen und allen, die arbeiten mussten, in Waxweiler dazu. „Dann beginnt die eigentliche Familienwallfahrt mit kürzeren Etappen“, erläutert Martin Feinendegen. Am ersten Abend steht das Kennenlernen der beiden Gruppen auf dem Programm.

Die Altersspanne der Trierwallfahrer reicht von fünf bis 70plus, mit einer größeren Lücke zwischen 20 und 40 Jahren. Mit dabei sind etwa 30 Kinder und Jugendliche plus 30 bis 40 Erwachsene. Übernachtet wird in Bürgerhäusern und Turnhallen, was schnell zu einem Gruppengefühl beitrage. Gestartet wird morgens mit dem „Pilger-Ei“ – ein sauberer Kreis sei mit so vielen nicht machbar – und dem gemeinsamen Pilgerlied. Unterwegs entwickelten sich auch über den Familienverbund hinweg Kontakte zwischen den Kindern und Jugendlichen und den Erwachsenen, erzählt Claudia Feinendegen. Insbesondere die Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren seien eine feste Clique geworden, die sich auch übers Jahr trifft. Johanna Feinendegen ist 15 und wie ihr Bruder Laurenz (13) begeistert von der Wallfahrt: „Wir sind eine große Freundesgruppe und eine super Gemeinschaft. Mit Freunden ist das auch nicht so anstrengend und die Impulse, die wir selbst gestalten, sind immer auf Situationen aus unserem Leben bezogen.“ Auch für die Erwachsenen ist die Wallfahrt etwas besonderes: „Ich mag die innere Ruhe, die ich trotz allem Trubel dabei finde“, beschreibt es Andreas Goetzenich. „Der Pilgergottesdienst am Sonntag unter freiem Himmel ist ein Erlebnis, Kirche als Gemeinschaft zu wahrzunehmen“, sagt Martin Feinendegen. Und Pfarrer Frank Hendriks bringt es so auf den Punkt: „Das ist eine sehr gemeinde- und kirchenbildende Erfahrung. Wir sind eine große Gruppe, die einander begleitet und stützt. Man fühlt sich mit Menschen, die man vorher kaum kannte, geistig verbunden.“ Davon strahle dann auch wieder viel in das kirchliche Leben der Gemeinden zurück.